Archiv

Foodsharing
Lebensmittelretter unter sich

Über die Internetplattform foodsharing.de haben sich inzwischen mehr als 30.000 Menschen vernetzt, die Lebensmittel vor dem Wegwerfen retten wollen. Bei ihrem ersten internationalen Treffen in Leverkusen tauschten sich die Foodsharing-Aktivisten über Erfolgsgeschichten, Hygiene und Haftungsverantwortung aus.

Von Maike Strietholt |
    Im "Kulturausbesserungswerk", ein alternatives Kulturzentrum in Leverkusen-Opladen, herrscht Stimmengewirr. Rund 150 Personen tummeln sich in dem großen Saal, stehen in Grüppchen beisammen und diskutieren oder sitzen an Tischen, wo sie mit Messern und Holzbrettchen bewaffnet Obst und Gemüse schneiden.
    "Wir haben alles mögliche an Gemüse geschnippelt: Pastinaken, Zucchini, Paprika. Salat haben wir jede Menge gemacht, Obstsalat. Die sind alle gerettet – abgeholt, über lebensmittelretten.de oder teilweise auch gespendet."
    Kistenweise Frischware, aber auch Paletten mit Kondensmilch und Instantkaffee, Safttüten und große Beutel mit bunt gemischten Backwaren häufen sich vor dem Kücheneingang. Für die Essenszubereitung wird das Tagungsprogramm gern unterbrochen.
    "Wir zaubern daraus eine Suppe!"
    Foodsharing-Initiativen in allen Ecken Deutschlands
    Nichts Kompliziertes also, man hat schließlich Erfahrung im Verarbeiten von kunterbunten Lebensmittelsammlungen. Die Teilnehmer der Konferenz kommen aus allen Ecken Deutschlands, auch aus Österreich, der Schweiz und Liechtenstein sind Aktive vor Ort. In den vergangenen Monaten haben sich viele Foodsharing-Initiativen gegründet – so wie die von Olaf in Kaiserslautern:
    "Unser erster Kooperationspartner war der Wochenmarkt. Wir haben dann recht schnell auch Bäckereien bekommen, wo wir täglich Brotwaren abholen können. Wir haben auch einen Verteiler in einem Second Hand Laden, öffentlich zugänglich."
    Bei Sascha, der aus Liechtenstein angereist ist, hat das Ganze schon eine größere Dimension angenommen:
    "Beispielsweise durften wir mit Erlaubnis eines Biobauerns in Liechtenstein seinen Blumenkohl nachernten. Dann haben wir circa 100 Kilo Blumenkohl geernet, und dann sind wir nach Paris gefahren, zum Gedenktag Fukushima, und haben da für 500 Leute Blumenkohlsuppe ausgeben können."
    Und das gegen Spende, um die Fahrtkosten bezahlen zu können. Auch die Konferenz ist völlig kostenlos. Es steht lediglich eine Büchse auf der Theke, um Geld für die Heizkosten zu sammeln; die Betreiber des Kulturzentrums nehmen keinerlei Miete für die Räumlichkeiten.
    Neue Herausforderungen für Lebensmittelkontrolleure
    Nach dem Essen geht es mit dem inhaltlichen Teil weiter. Neben der Vernetzung der Ortsgruppen und allgemeinen Infos für angehende Foodsharer stehen auch schwer verdauliche Themen auf dem Programm: Lebensmittelhygiene und Haftungsverantwortung beispielsweise. Je größer die Struktur, desto mehr Probleme gibt es, sagt Raphael Fellmer. Der Berliner mit den halblangen blonden Haaren lebt komplett ohne Geld und gehörte zu den Ersten in Deutschland, die Lebensmittel in großem Stil "retteten":
    "Ein Grundproblem ist, dass wir mit Foodsharing eine komplett neue Ebene betreten. Das stellt die Überwachungsbehörden vor eine völlig neue Situation – vorher hatten die gar keinen Kühlschrank, der irgendwo rumsteht."
    Zumindest in Berlin und München quittierten die Behörden dies mit einem Verbot der öffentlichen Verteilungspunkte. Eine ernsthafte Gefahr für die Bewegung sieht Fellmer darin jedoch ebenso wenig wie der Dokumentarfilmer Valentin Thurn, der die Foodsharing-Plattform gründete und mit seinem Film "Taste The Waste" das Thema Lebensmittelverschwendung bereits vor zwei Jahren an eine breite Öffentlichkeit brachte.
    "Die Lebensmittelkontrolleure reagieren sehr unterschiedlich. In Berlin wollten sie Lieferscheine haben, in anderen Orten wollten sie Öffnungszeiten haben, in Köln und Hamburg haben sie gesagt: Ihr habt euch Gedanken um die Hygiene gemacht – das reicht."
    Ziel: sich überflüssig machen
    Besteht also die Zukunftsvision der Foodsharer in einer größtmöglichen Ausweitung der Lebensmittelrettung? Valentin Thurn widerspricht vehement:
    "Ich würd's am liebsten sehen, dass wir uns überschüssig machen. Dass wir hier als Reparaturbetrieb des Kapitalismus diese Überschussproduktion ein bisschen verteilen, ist ganz nett. Aber ich will nicht nur die Salatköpfe retten, sondern auch die Köpfe der Menschen verändern. Dass Essen etwas ist, was auch einen ideellen Wert hat, etwas, was man nicht wegwerfen will."