Das Bedürfnis nach Helden scheint so alt wie die Menschheit. Und die meisten von uns träumen davon, auch einmal selber Helden zu sein. Helden gab und gibt es allenthalben: in den antiken Mythen, im Leben und in der Literatur, im Kino, im Comic und in der Sportarena. Von Achill und Odysseus über Robin Hood und Jean d'Arc bis zu Superman und Lara Croft, vom weltberühmten Fußballhelden bis hin zum unbekannten Feuerwehrmann in der Hölle des 11. September. Braucht jede Gesellschaft Helden? Was macht den Helden eigentlich aus?
- Ronald Asch, Historiker: "Die übermenschliche Leistung, das Kämpferische: Das kann auch ein Kampf mit der eigenen Schwäche sein, es muss kein äußerer Gegner sein. Und die Opferbereitschaft. Das sind eigentlich Dinge, die von der Antike bis ins 20., 21. Jahrhundert wiederkehren."
- Barbara Korte, Anglistin: "Der Alltagsheld steht neben dem Kriegsheld, neben dem Wissenschaftlerheld. Und das seit den älteren Epochen bis heute. Dieses Nebeneinander ist genauso wichtig wie der einzelne Typus."
- Ralf von den Hoff, Altertumswissenschaftler: "Es geht ganz wesentlich darum: Wie macht wer wann welche Figuren zu Helden? Und welche Funktionen diese Figuren in verschiedenen Gesellschaften erfüllen. "
- Ulrich Bröckling, Soziologe: "Helden sind erst einmal die, die von den Verehrern dieser Helden als solche bezeichnet werden."
Vier Stimmen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Freiburg. Sie arbeiten seit vier Jahren mit zahlreichen Kollegen an dem Sonderforschungsbereich "Helden – Heroisierungen – Heroismen" disziplinübergreifend zusammen. Beteiligt sind Geschichts-, Sozial-, Literatur- und Musikwissenschaften, ebenso Kunstgeschichte und demnächst auch Theologie.
Man hat sich zum Ziel gesetzt, nicht wie üblich isolierte Heldenfiguren und ihre Rezeptionsgeschichte zu analysieren, sondern den Zusammenhang zwischen Held und jeweiliger sozialer Ordnung in den Mittelpunkt zu rücken. Wie wird man zum Helden für eine bestimmte Gesellschaft, wer sind die Macher, wie funktioniert die mediale Vermittlung, welche Vorstellungen, Werte, Probleme werden am Beispiel des Helden abgehandelt? Das sieht allerdings in der Antike ganz anders als in der jüngeren Geschichte.
"Für antike Helden muss man zunächst einmal sagen, dass sie ganz anders als heutige - insofern auch fremd für uns - immer eine religiöse Komponente mit einer Tatkomponente verbinden."
Erläutert der Altertumswissenschaftler Professor Ralf von den Hoff:
"Für die Antike ist ein Heros nicht denkbar, ohne dass er auch eine religiöse Figur ist. Achill zum Beispiel ist eine Figur, der man auch opfert, der man Weihegeschenke bringt. Und über die man große Geschichten hört. An diesen Figuren, und Achill in der Ilias ist ein gutes Beispiel, werden Probleme verhandelt. Und zwar durchgespielt: Welche Rolle spielt Brutalität? Wie verhält man sich im Krieg? Sodass man Orientierungspunkte, aber auch Gegenpositionen zu dem hat, was man selbst machen soll oder machen kann."
Klassische griechische Helden
Homers Ilias schildert Achill als den größten und stärksten Kämpfer im Trojanischen Krieg. Aber als sein Vetter Patroklos von Hektors Hand gefallen ist, wird er maßlos in seinem Zorn und seiner Rachsucht. Nicht nur, dass er Hektor zum Duell fordert und tötet, nein er schleift den Leichnam um Trojas Mauern, verweigert dem Feind die Ehre einer Totenfeier, bis dessen Vater, der trojanische König Priamos ihn auf Knien anfleht, die Leiche freizugeben.
"Damit wird beispielsweise das Phänomen Rache, das in antiken Gesellschaften eine ganz andere Rolle spielt als heute, behandelt, sozusagen durchgespielt: Wie kann man Rache ausleben und was passiert mit anderen dabei? Die Geschichte der Rückforderung der Leiche ist insofern spannend, weil sie dem Helden Achill eine Art menschliches humanes Antlitz gibt. Heroische Figuren sind menschliche Figuren und als menschliche Figuren haben sie eine Nähe zu ihren Verehrern und zu denen, die über sie hören. Und diese Nähe muss einerseits bedient werden, aber sie darf auch nicht ins Extrem verfallen, wenn der Held einem zu nahe kommt, wenn er zu alltäglich wird, verliert er seinen Status an Außerordentlichkeit."
"Für einen Kammerdiener gibt es keinen Helden." (nach Plutarch)
Der Historiker Prof. Ronald G. Asch hat sich mit dem Typus des kriegerischen Helden in einer ganz anderen Zeit und Gesellschaft befasst, nämlich im Europa der frühen Neuzeit, im 16. und 17. Jahrhundert.
"Der kriegerische Held in der frühen Neuzeit ist im Normalfall ein Adliger, ein Aristokrat. Es gibt Gesellschaften wie die Schweiz, wo das vielleicht nicht ganz so ausgeprägt ist, aber wir haben das Phänomen, dass eine ganze soziale Schicht auf einen heroischen Habitus ein Stück weit festgelegt ist. Es wird von einem Adeligen, jedenfalls in einer Gesellschaft wie Frankreich, erwartet, dass er bereit ist zum Kriegsdienst und dass er auch bereit ist, dort zu sterben."
Nun taugt aber nicht jeder Adlige zum Kriegshelden, ist weder tapfer noch opferbereit. Wie stellt sich der Einzelne zu diesem Ideal, an dem er gemessen wird, wie bringt er Heldenrolle und eigene Lebenswirklichkeit zusammen? Mit dieser Leitfrage geht Ronald Asch an Selbstzeugnisse und Biografien Adliger aus dieser Zeit.
"Ein klassischer Held dieser Art ist der Grand Condè, ein französischer Adeliger, aus dem Königshaus selber stammend, 1643 Sieger in der Schlacht von Rocroi über die Spanier. Das ist der klassische aristokratische Held, für den der eigene Ruhm sehr stark im Vordergrund steht. Der offensichtlich durch seine Romanlektüre dazu veranlasst wird, sich selbst mit diesen Augen zu sehen, sich selbst so zu inszenieren. Man hat immer gesagt, mit dessen Karriereende ist das Zeitalter dieser aristokratischen Helden vorbei."
Mit der Aufklärung Forderung nach mäßiger Gewaltanwendung
Im 18. Jahrhundert vollzog sich ein Umbruch, eine Transformation der Gestalt des Kriegshelden. Die Gesellschaft erwartete, dass er seine Taten in den Dienst des Königs stellte, zum Wohl des Lande vollbrachte und nicht mehr in erster Linie, um seinen persönlichen Ruhm zu mehren. Der humanistische Geist der Aufklärung verlangte, dass der Held seine Gewaltanwendung mäßigt.
"Zum kriegerischen Helden gehört auch immer das Maßlose. Das Maßlose unter Umständen auch in der Gewalt. Insofern sind es moralisch ambivalente Figuren. Es gibt auch den reinen Tugendhelden, aber der ist natürlich etwas langweiliger. Das Maßlose gehört dazu. Aber im Zeitalter der Aufklärung wird gerade das zunehmend kritisch gesehen. Diese maßlose Gewalt, das will man eigentlich nicht mehr. Es wird dann auch der Grand Homme, der Wohltäter der Menschheit, dem klassischen Helden gegenübergestellt als Gegenfigur, die friedlicher ist, wo diese Maßlosigkeit der Gewalt fehlt."
"Was ist ein Held ohne Menschenliebe!" (Gotthold Ephraim Lessing)
Und doch haben im Fortgang der Geschichte immer wieder Demagogen und Regime auf das alte Konzept des Kriegshelden zurückgegriffen, um die Menschen für ihre Zwecke zu manipulieren, um Gewalt zu rechtfertigen und sinnloses Leid zu verherrlichen, am extremsten der Nationalsozialismus, so der Soziologe Professor Ulrich Bröckling.
"Der Kriegsheld ist nicht zuletzt im Nationalsozialismus totalisiert worden. Alle Deutschen sollten in diesem Sinne heroisch werden, opferbereit sein bis zum Tode, bis zum Untergang notfalls. Also ein Exzess der heroischen Anrufungen. Das nicht zuletzt hat dazu geführt, dass in der Nachkriegszeit heroische Orientierungen, insbesondere wenn sie mit Krieg und Militär zu tun haben, als sehr problematisch empfunden werden."
Die sogenannte skeptische Generation der 50er-Jahre in Deutschland hat mit größtem Misstrauen auf alles reagiert, was mit Pathos und Opfergeist verbunden wurde. Heldentum - nüchtern betrachtet - schien ihr nur Blendwerk.
"Ein echter Held ist nur ein Besoffener oder ein Idiot." (Helmut Schmidt, Ex-Bundeskanzler)
Wissenschaftler sprechen von einem postheroischen Zeitalter. In einer demokratischen Gesellschaft, die das individuelle Leben als höchstes Gut schätzt, scheint der Held zumindest als Kriegsheld, der sein Leben riskiert, keinen Platz mehr zu haben. Postheroisch bedeutet jedoch nicht, dass man in einer Epoche nach dem Heldenzeitalter angelangt sei, wohl aber, dass das Heldentum problematisch geworden ist.
Ulrich Bröckling: "Eine der Thesen, die im Zusammenhang mit der postheroischen Gesellschaft diskutiert werden, ist, dass westliche Gesellschaften nicht mehr willens und nicht mehr in der Lage seien, eine große Anzahl von Soldaten tatsächlich zu mobilisieren, weil diese Opferbereitschaft nicht mehr gegeben ist. Da wird zum Teil demografisch argumentiert: Wenn man nur noch ein oder zwei Kinder hat, wiegt das schwerer, die eigenen Kinder als Soldaten in den Krieg ziehen zu lassen, als wenn man acht oder zehn Kinder hat. Es wird aber auch argumentiert mit einem kulturellen Wandel, einer elementaren Zivilisierung, die eine Ablehnung von Gewalt in den letzten Jahrzehnten noch hat stärker werden lassen."
"Unglücklich das Land, das Helden nötig hat." (Bertolt Brecht in Galileo Galilei)
Der Blick auf das 20. Jahrhundert und auf die Gegenwart zeigt, dass die Helden im postheroischen Zeitalter keineswegs verschwunden sind, wohl aber dass sich Gestalt und Charakter gewandelt, Funktionen und Schauplätze gewechselt haben. So spürt die Anglistin und Literaturwissenschaftlern Professorin Barbara Korte den Helden in Fernsehen und Kino nach.
"Was wir unter anderem untersuchen, ist das Fernsehen, speziell das britische Fernsehen und die Fernsehserie, weil das ein Medium ist, das sehr stark in den Alltag von Zuschauern immer noch verwoben ist, wo auch verschiedene Vorstellungen von Heldentum ausgetestet werden."
Ein Held ist wie ein Brennglas, erklärt Barbara Korte, wie eine Lupe, die eine Gesellschaft und ihre Probleme in aller Schärfe und Deutlichkeit hervortreten lässt. Bei fiktiven Helden muss der Autor oder Regisseur auch keine Rücksicht auf biografische Fakten walten lassen. Er kann der Figur ein neues Profil geben. Ein Geheimagent wie James Bond, der dem Vaterland stets treu diente – und nebenbei die Welt mehr als einmal rettete - überrascht neuerdings als Staats- und Regierungskritiker.
"Und zwar in Spectre, im neuesten Film, wird die Figur James Bond benutzt, um den Überwachungsstaat zu kritisieren. Das ist eine ganz intelligente Art, einen etabliertes Heldenbild so umzumodellieren, dass man tatsächlich an der eigenen Gegenwartsgesellschaft auch Kritik üben kann. Und das ist eine Art Populärkultur einzusetzen, die ab den 1990er-Jahren häufiger auftritt und vorher weniger ausgeprägt war."
Auch IS-Terroristen folgen einem Heldenbild
Im postheroischen Zeitalter ist das Bedürfnis nach Helden keineswegs verschwunden. Gerade in der Popkultur sind Helden höchst präsent.
Ein anderer bedeutender Schauplatz für postheroisches Heldentum ist die Sportarena, allen voran das Fußballstadion. Hier werden neue Helden geboren und hochgejubelt und alte vom Sockel gestoßen. Zwar stirbt keiner wie bei den Gladiatorenkämpfen im alten Rom, aber um Kampfgeist und Opferbereitschaft geht es immer noch. Wenn etwa ein Bastian Schweinsteiger im WM-Finale 2014 - von den Argentiniern heftig malträtiert, schon blutend – nach kurzer Behandlung auf den Platz zurückkehrt und sich mit unbeugsamen Kampfeswillen erneut in die Abwehrschlacht stürzt.
Was man dabei hervorheben muss, weil es oft übersehen wird, ist die Rolle der Medien. Ein große Tat im Verborgenen erschafft keinen Helden, so Ralf von den Hoff:
"Es geht ganz wesentlich seit der Antike um eine mediale Vermittlung dessen auch. Wenn die nicht stattfindet, sei es durch das Auftreten einer Person oder von konkret umsetzenden Medien, dann kann es nicht zu einer Heldenverehrung kommen: Wenn Schweinsteiger nicht inszeniert wird in Bildern, in denen man die Wunden auch sieht, wird das Ganze nicht heroisiert."
Johanna Pink: "Wir haben jetzt gerade in der zweiten Förderphase allerdings auch das Phänomen, dass wir mit der Einbeziehung von China uns auch mit Heldentypen beschäftigen müssen, bei denen gerade das Alltägliche, Gewöhnliche, Normale hervorgehoben wird. Und trotzdem bestimmte individuelle Figuren zu Vorbildern hochstilisiert werden, zum Beispiel der Bauern, der eine besondere Produktionsleistung erbringt. Das gleiche gilt für Industriearbeiter und so weiter: Das sind Modellfiguren, da werden zwar konkrete lebende Personen genommen, um die Funktionen dieses Modells zu erfüllen, aber es sind eben trotzdem Typen."
Der Islamwissenschaftlerin Professor Johanna Pink zufolge erlebt das alte Heldenkonzept des Kriegers derzeit eine schreckliche Wiedergeburt. Da werden Jugendliche verführt, im Namen eines falsch verstandenen Heldentums sich zum Herrn über Leben und Tod aufzuschwingen.
"Das kann man ganz gut erkennen bei dem Thema, das gegenwärtig sehr stark für Aufmerksamkeit sorgt: bei dem sogenannten islamischen Staat. Der Protagonist des Terrorismus im Irak, Abu Musa al-Sarkawi, hat in Gefängnissen rekrutiert, vor allem unter bildungsfernen Leuten, die bereits kriminell sozialisiert waren, für die zum Beispiel es völlig unerreichbar war, religiöse Meriten zu erwerben durch besondere Kenntnisse des Koran oder ähnliche Dinge. Aber dieser Tenor: Hauptsache, du tötest möglichst viele Ungläubige - und dann bist du ein besonders guter Muslim. Der hat sie sehr angesprochen, weil das für sie erreichbar war. Zumindest für ein Segment der Leute, die sich jetzt dem IS anschließen, kann man genau das beobachten."
Steht die postheroische westliche Gesellschaft dieser Wiederkehr eines gewalttätigen Helden hilflos und mit leeren Händen gegenüber? Bis jetzt, so umreißt Ralf von den Hoff ein Zwischenfazit des Sonderforschungsbereiches, sei noch keine Kultur oder Epoche ohne Heldentum beziehungsweise das Bedürfnis nach Helden ausgekommen.
Aber es gibt ein Heldentum, das die negativen Seiten ausspart, das auf Gewalt verzichtet und dennoch die positiven Momente in sich aufbewahrt: Solidarität, selbstloses Eintreten für den Anderen, Verantwortung und Zivilcourage. Unvergessen sind die Feuerwehrleute des 11. September, die ihr Leben einsetzten, um das anderer zu retten.
"Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto weniger Helden wird es einmal brauchen." (Franca Magnani, Journalistin)