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Forschungsarbeiten in der Sportmedizin
"Manipulationen auch härterer Art" an der Uni Freiburg

Im Bereich der Sportmedizin an der Universität Freiburg wurde in vielen Forschungsarbeiten manipuliert und gefälscht. Zu diesem Ergebnis kommt eine unabhängige Kommission. Ein Mitglied des Gremiums, der Sportmedizinier Perikles Simon, spricht im DLF von erschreckenden Manipulationen, die systematisch durchgeführt worden seien.

Perikles Simon im Gespräch mit Kate Maleike |
    Der Sportwissenschaftler Perikles Simon von der Universität Mainz.
    Der Sportwissenschaftler Perikles Simon von der Universität Mainz. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Man habe die unterschiedlichsten Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens gefunden, sagte Perikles Simon in "Campus und Karriere". Es habe ihn erschreckt, wie systematisch manche Autoren Manipulationen durchgeführt hätten. Dies müsse ihnen und dem damaligen Abteilungsleiter Joseph Keul auch bewusst gewesen sein.
    Doch nicht alle wissenschaftlichen Arbeiten aus dieser Zeit seien Betrug gewesen, betonte Simon. Es habe sicher auch gute Publikationen gegeben. Statt mit den Namen an die Öffentlichkeit zu gehen, wolle man stattdessen den Betroffenen die Möglichkeit geben, sich zu melden und Stellung zu nehmen.

    Das Interview in voller Länge
    Kate Maleike: An der Universität Freiburg ist die Doping-Vergangenheit der dortigen Sportmedizin ein großes Thema, vor allem für die unabhängige Evaluierungskommission, die sich um Aufklärung bemüht. Und die hat sich heute mit neuen Nachrichten gemeldet, die auf einen handfesten neuen Forschungsskandal hinweisen: Es geht um erhebliche wissenschaftliche Mängel bei weiteren Dissertationen, Habilitationen sowie Fachpublikationen, vor allem aus den Jahren nach 1980. Professor Perikles Simon von der Universität Mainz ist Mitglied der Evaluierungskommission, guten Tag, Herr Simon!
    Perikles Simon: Guten Tag!
    "Manipulationen auch härterer Art"
    Maleike: Was genau haben Sie denn entdeckt und wie groß ist das Ausmaß?
    Simon: Ja, letztlich haben wir die unterschiedlichsten Formen, die im Wissenschaftsbereich als Betrug oder auch mangelhafte Sorgfalt im wissenschaftlichen Arbeiten bekannt sind, die unterschiedlichsten Formen haben wir gefunden. Was uns so ein bisschen erschreckt hat, war, wie systematisch doch von manchen Autoren eben Manipulationen auch härterer Art durchgeführt wurden, und dass man sagen kann, dass zumindest unter Joseph Keul, dem Abteilungsleiter, also Keul selber, der diese Arbeiten als Autor mitzeichnet, der Umstand der Manipulation voll bewusst gewesen sein muss. Also, ich kann da zu keinem anderen Schluss kommen.
    Und da muss man sich natürlich fragen, wenn ein Abteilungsleiter dann auch die Leute, die den Betrug begangen haben, massiv fördert dann auch nach dem Betrug, nachweislich, ja, welches Ausmaß hat dann der Betrug dort angenommen?
    Maleike: Also, was genau ist denn gemacht worden? Hat man Ergebnisse gefälscht oder sind Publikationen mehrfach verwendet worden, hat man plagiiert? Was haben Sie gefunden?
    Simon: Ja, genau, man hat genau das volle Spektrum gefunden. Das fängt natürlich schon ein bisschen früher an, Sie können zum Beispiel kleine, aber wichtige und essenzielle Informationen vorenthalten in Publikationen, die dann dazu führen, dass Gutachter zu dem Schluss kommen, dass es eine qualitativ sehr hochwertige Arbeit ist, die hier vorgelegt wird. Und dadurch erreicht die ja dann auch das Level, dass sie publiziert werden kann. Und wenn Sie solche Informationen vorenthalten, dann haben Sie sich auch schon einen Vorteil verschafft. Das wäre eine, wenn Sie so wollen, relativ kleine Form des Betrugs, die aber recht effektvoll ist und natürlich auch schon darunter zu subsumieren wäre.
    Koautoren ohne deren Wissen hinzugefügt
    Aber dann geht das weiter, bis ganz zum Schluss natürlich zum Erfinden von Daten oder zum Wiederverwerten alter Daten in einem komplett anderen Kontext beispielsweise. Und wenn Sie die volle Bandbreite finden, dann wissen Sie: Okay, es wurde halt manipuliert. Und dann ist jetzt die Frage, und deshalb wenden wir uns ja an die Öffentlichkeit: Wir sehen schon auch, dass bestimmte Leute offensichtlich diesen Betrug so nicht mittragen wollten. Die sind ganz offensichtlich auch von Publikationen runter, als Autor nicht mit drauf, obwohl wir davon ausgehen müssen, dass sie wesentliche Arbeit an der Publikation geleistet haben. Und in anderen Fällen haben wir sogar Fälle gefunden, wo die Namen von Koautoren falsch geschrieben wurden, sodass wir davon ausgehen, es wurden Leute auf manipulierte Publikationen geschrieben, die davon gar nichts wussten.
    Maleike: Also, das klingt alles nach System, so zumindest, wie Sie es beschreiben. Sie haben in der Pressemitteilung, die Sie heute veröffentlicht haben, auch Wissenschaftler aufgerufen, sich zu melden, die dann anonym bleiben können wohlgemerkt, weil sie womöglich passiv involviert sind. Wie muss man sich das vorstellen?
    Simon: Ja, ein bisschen hatte ich es schon angedeutet, dass eben Leute namentlich falsch geschrieben auf Publikationen auftauchen. Das ist im Grunde verrückt, dann würde ich mal davon ausgehen, derjenige weiß auch gar nicht, dass sein Name im Kontext mit dieser Manipulation steht, zunächst einmal. Vielleicht hat er es dann später gemerkt, Mensch, da tauche ich ja auf einer Publikation auf, die möchte ich so gar nicht zeichnen! Was ist dann die Reaktion? Die kann natürlich unterschiedlich ausfallen. Ich meine, was jetzt für uns als Kommission wichtig ist: Es ist natürlich, nur weil wir massiven Betrug gefunden haben, nicht alles Betrug, was da gelaufen ist, sondern es gab sicher qualitativ hervorragende Arbeiten. Es gibt Leute, die wissenschaftlich sehr sorgfältig gearbeitet haben und immer noch arbeiten. Und was man auch vermeiden will, ist, dass sozusagen das einfach jetzt ausstrahlt. Und ich denke schon, diese Kommission bietet jetzt Leuten eine Möglichkeit, die genau wissen, ja, da gab es Probleme, sich zu melden und das auch klarzustellen, wie das war.
    Wenn wir als Kommission jetzt vorgehen und einfach nur auf den Tisch knallen, welche Arbeiten da alle betroffen sind, und Sie, sagen wir mal, diese 200 Autoren sich dann angucken, eine Liste bilden und dann sagen, ja gut, da, die sind alle involviert: Das ist der falsche Weg. Sondern ich denke schon, man muss jetzt sauber differenzieren, wo ist eigentlich das Problem entstanden, wie ist das entstanden und wer war da überhaupt beteiligt?
    Kommissionsarbeit unter Zeitdruck
    Maleike: Und was sagt die Uni Freiburg zu diesen Vorwürfen?
    Simon: Die hat jetzt zugegeben wenig Zeit gehabt, sich überhaupt zu äußern. Es ist so, dass wir als Kommission leider auch nur noch wenig Zeit haben, diesen Sachverhalt adäquat aufzuarbeiten. Wir werden das auch ehrlich gesagt adäquat gar nicht richtig schaffen. Das heißt also, es wird auf jeden Fall aus meiner Sicht nach Beendigung der Kommissionsarbeit dennoch viele offene Fragen geben und auch ganz klar Evaluierungsbedarf im Sinne der Wissenschaft geben in Freiburg. Aber wir sollten jetzt die Phase nutzen, zumindest mal Gewissheit uns zu verschaffen, dass wir hier nicht über das Maß hinaus den Wissenschaftsbetrieb der Zeit unter Keul infrage stellen, dass wir aber auch ein seriöses Bild vermitteln können, wie schlimm es dann tatsächlich auch war und welche Bereiche konkret betroffen waren.
    Maleike: Damit auch mal klar wird, wie tatsächlich die Dimension ist und ob möglicherweise nicht nur die Sportmedizin betroffen ist. Was schlagen Sie denn vor? Sie schrieben in der Pressemitteilung, eine Task-Force, eine unabhängige wäre eine gute Methode, um da aufzuklären!
    Simon: Ja. Ich denke schon, da müssten auch Spezialisten aus Bereichen rein, die wir nicht abdecken können, beispielsweise Statistiker, die sich das einmal systematisch angucken. Es ist auch wichtig, aus solchen Fällen vor allem zu lernen, also für die Zukunft. Das sollen wir ja eigentlich auch als Kommission tun, wir sind nicht da, irgendwas anzumahnen, anzuprangern, sondern wir sollen eben auch Empfehlungen entwickeln. Und um die überhaupt entwickeln zu können, muss man verstehen: Wie ist dieser Betrug gelaufen, warum ist der so gelaufen in dem Umfang? Und was hat man denn jetzt für Möglichkeiten, um es in Zukunft besser zu machen?
    Konsequenzen auch für die Ausbildung junger Wissenschaftler
    Und einen Schluss würden wir eigentlich schon ziehen und der setzt eben in der Ausbildung der Wissenschaftler an, dass wir sagen, gerade bei Medizindoktoranden beispielsweise scheint es mir jetzt fraglich, ob da schon die nötige Kompetenz vorhanden ist, teilweise im fünften, sechsten, siebten Semester, wenn die mit einer Doktorarbeit beginnen, dass sie erkennen können, ob ihr Betreuer von ihnen Manipulationen verlangt oder sie praktisch dazu anregt zu manipulieren. Und das wäre aber wichtig, dass das eben angehende Wissenschaftler rechtzeitig in ihrer Ausbildung wissen. Und da sehe ich Defizite in der Ausbildung. Und genau um solche Dinge dann auch beurteilen zu können, denke ich, dass auch seitens der DFG Gutachter beispielsweise, ganz unabhängige Gutachter bei so einer Evaluierungskommission mitarbeiten müssten.
    Maleike: Ganz schnell noch zum Schluss: Der Abschlussbericht der Kommission, Ihrer Kommission, liegt ja auch noch nicht vor. Wann kommt der?
    Simon: Ja, also, ich gehe davon aus, dass wir höchst pünktlich sind! Es ist einfach so, dass der Umfang uns hier noch einmal erschlagen hat, das müssen wir sagen. Es gibt auch noch Akten von nicht ganz sicherem Umfang und nicht ganz sicherer Bedeutung, die zu evaluieren wären. Und da können Sie sich ja schon vorstellen: Diese wichtigen Akten sind jetzt ganz zum Schluss aufgetaucht in einem Spind, den man noch nicht kontrolliert hatte, also ... Ich bin da sprachlos selber, ich kann Ihnen da nur sagen: Wir können halt auch nur evaluieren, was man uns gibt. Wenn man sagt, okay, diese Informationen brauchen die Damen und Herren nicht, dann können wir da auch nichts machen. Ich denke, irgendwann müssen wir jetzt einfach einen Schlussstrich ziehen und der wird hoffentlich jetzt im Frühjahr sein.
    Maleike: Die Freiburger Sportmedizin war offenbar nicht nur in Doping-Geschäfte verwickelt, sondern auch in großem Stil wissenschaftlich gefälscht und plagiiert unterwegs. Das hat die unabhängige Evaluierungskommission jetzt bekannt gegeben. Und in "Campus & Karriere" war das dazu Professor Perikles Simon, er ist Mitglied dieser Kommission. Danke für die Informationen!
    Simon: Bitte!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.