Archiv

Fotografie
Der weibliche Blick auf die Welt

Frauen mussten in der professionellen Fotografie lange um Akzeptanz kämpfen. Dabei gab es im 19. Jahrhundert wahre Pionierinnen der fotografischen Technik. Boris Friedewald porträtiert Fotografinnen und ihr Werk aus dem 19. und 20. Jahrhundert nun in seinem Buch "Meisterinnen des Lichts".

Von Simone Hamm |
    Ein Fotoapparat steht in der Natur bei Weißkopfseeadlern.
    Boris Friedewald stellt in seinem Bildband 55 Fotografinnen vor. (picture alliance / dpa / Hinrich Bäsemann)
    Das Umschlagbild zeigt eine Frau bei ihrer Arbeit. Margaret Bourke-White blickt in die Kamera. Sie steht hoch oben auf einem der silbrigglänzenden Adler aus Chrom, die das New Yorker Chrysler Building schmücken. Konzentriert schaut sie in die Tiefe, auf die Hochhäuser unter sich. Höhenangst hatte sie nicht - und auch sonst keine Angst. In den Dreißigerjahren machte sie Reportagen über Fabrikarbeiter, 1942 wurde sie die erste Kriegsberichterstatterin. Sie dokumentierte "The living Dead", die Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald. In Südafrika berichtete sie über die Apartheid. Eine Comicserie machte Margaret Bourke-White zur Heldin. Deren Titel: "Der berühmteste Fotograf der Welt war ein Mädchen."
    "Meisterinnen des Lichts" hat Boris Friedewald seinen Fotoband genannt. Darin stellt er 55 große Fotografinnen aus zwei Jahrhunderten vor. Und natürlich stellt sich beim Betrachten die Frage, warum FotografINNEN? Fotografieren Frauen anders als Männer?
    Eines der schönsten Fotos von Marilyn Monroe
    Einige der Fotografien sind weltberühmt geworden: Dorothea Langes Fotografie der abgearbeiteten, müden Erbsenpflückerin, deren Kinder ihre Köpfe an ihre Schulter lehnen, ist zur Ikone der großen Depression in den USA geworden. Lisette Models üppige Badende auf Coney Island lacht fröhlich in die Kamera und zeigt, wie schön eine Frau sein kann, die so gar nicht den Schönheitsidealen entspricht. Tina Modottis protestierende Mexikanerin ist eine starke Frau, aufrecht geht sie und trägt die Fahne. Martine Francks alte Dame aus dem Pflegeheim legt ihre Fingern ums rechte Auge, als fotografiere sie selbst und lächelt hinreißend dazu. In Nepal fotografiert Franck einen wiedergeborenen Lama, einen Tulku. Zwölf Jahre ist er alt und als eine Taube auf dem kahlen Schädel seines Lehrers Platz nimmt, ist er ganz schelmisches, ausgelassenes Kind, nicht Gottheit. Eve Arnold hat eines der schönsten Fotos von Marilyn Monroe gemacht, während der Drehpause ihres letzten Films "The Misfits". Marilyn Monroe, gezeichnet von ihrer Alkohol- und Tablettensucht, und dennoch atemberaubend schön, in tiefem, dunklen Wasser schwimmend.
    Helen Levitt wollte die Kinder aus den in den Vierzigerjahren berüchtigten New Yorker Stadtteilen Spanish Harlem, der Bronx und der Lower East Side an die Kunst heranführen. Ihr Foto von den Mädchen mit den zwei Milchflaschen ist nicht so bekannt. Doch ihr Mentor Henri Cartier Bresson hat 16 Jahre später ein ganz ähnliches Bild gemacht, dass heute noch in vielen französischen Bistros hängt: den Pariser Jungen mit den zwei Weinflaschen im Arm.
    In der Fotografie gab es noch Freiräume
    Auch jüngere Fotografinnen sind vertreten, die 1974 in Teheran geborenen Shirana Shabhbazi etwa. Ihre Reisende schaut, den Kopf abgewandt, die Haare mit einem weißen Tuch bedeckt, aus einem Zugfenster in die Dunkelheit. Genau 175 Jahre zuvor wurde in Kent Anna Atkins geboren, Pionierin der Fotografie. Ihr 1843 erschienenes Buch von Gräsern, Blumen und Federn war das erste Buch der Welt in dem alle Illustrationen mithilfe einer fotografischen Technik hergestellt worden waren. Ein Buch von einer Frau.
    Boris Friedewald schreibt über jede Fotografin eine kurze Biografie, geht auf ihre Art zu Fotografieren, ihre Bilder ein. Die Künstlerinnen des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts hatten ein Medium für sich entdeckt, dass noch nicht so von Männern besetzt war wie etwa die Bildhauerei. Hier gab es Freiräume.
    Gertrude Käsebier, die bereits um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert mit Schärfen und Unschärfen spielte, wenn sie einen rauchenden Indianer oder spielende Kinder ihren Bilder inszenierte, schrieb 1898:
    "Ich kann künstlerisch veranlagten Frauen nur dazu raten, sich auf das noch unbestellte Feld der modernen Fotografie zu begeben. Es scheint für sie besonders geeignet, und die wenigen, die es gewagt haben, taten es mit erfreulichen und lohnenden Ergebnissen". Gertrude Käsebier verkaufte das Foto einer jungen Mutter in einem Stall für 100 Dollar. Nie zuvor war für ein Foto soviel Geld bezahlt worden.
    Die eine Fotografin gibt es nicht
    Die Meisterinnen des Lichts sind Autodidaktinnen und Frauen, die bei großen Lehrern gelernt hatten, mehrfache Mütter, die eher zufällig zum Fotografieren kamen, und Frauen, die in der Subkultur zu Hause waren, zwischen Dragqueens und Fixern. Frauen, die zu Lebzeiten kein einziges Bild veröffentlicht haben und solche, deren Bilder für Millionen von Dollars verkauft worden sind. Frauen, die sich mit ihren Fotos zur Sprecherin machten für die Entrechteten und Verarmten und solche, die Modeschauen für Vogue aufnahmen. DIE Fotografin gibt es also nicht.
    Und doch gibt es Gemeinsamkeiten. Denn eines fällt sofort ins Auge: Frauen fotografieren Frauen. Die Fotografinnen haben allesamt dieselbe Erfahrung gemacht, nämlich, dass Frauen sich ihnen schneller öffneten, sich ihnen leichter anvertrauten als ihren männlichen Kollegen. Sie sind eher bereit sind, ganz private, Fotos von sich machen zu lassen. Auch erotische.
    Zehn der 55 vorgestellten Fotografinnen sind vor den Nazis geflohen, nach Nord- und Südamerika. Viele waren oder sind Reisende, überall in der Welt zu Hause. New York übte und übt für die meisten eine besondere Anziehungskraft aus. Fotograf, Fotografin war und ist kein einfacher Beruf, keiner, den man so ohne Weiteres mit Kindern und Familie verbinden kann. Vielleicht deshalb haben nur wenige der hier vorgestellten Frauen Kinder, vielleicht deshalb sind so viele Ehen geschieden worden.
    Prächtiger Bildband
    Von jeder Fotografin sind zwei, drei, fünf Fotos zu sehen. Boris Friedewald hat eine kluge Auswahl getroffen, er zeigt die ganze Bandbreite der weiblichen Fotografie. Fotografinnen der ersten Stunde sind wiederzuentdecken: Julia Margaret Camerons elegische Frauenbildnisse im Stile der Präraffaeliten oder Lady Clementia Hawardens Porträt ihrer Tochter, die sehnsuchtsvoll aus Fenster schaut. Fotos aus den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts. Und Bilder junger zeitgenössischer Frauen sind zu sehen, die mit Form und Farbe experimentieren, die mit der Kamera malen.
    Man sollte diesen prächtigen Bildband unbedingt ansehen, wenn man ins Internet gehen kann und sich dann all die Fotografien anschauen, die Boris Friedewald zwar erwähnt, aber nicht auch noch vorstellen kann. Friedewald macht in seinen kurzen Abhandlungen Lust auf mehr.
    Boris Friedewald: Meisterinnen des Lichts. Große Fotografinnen aus zwei Jahrhunderten.
    Prestel. 240 Seiten. 34,95 Euro.