Sie treffen sich in einem belebten Café in Frankfurt – genauer: in Frankfurt-Niederrad, am Rande der Stadt. Irgendwo in Richtung Flughafen. Noch hat der Liberal-Islamische Bund – kurz LIB – keine eigenen Gemeinderäume in der Main-Metropole. Das soll sich ändern. Demnächst wird es in der Frankfurter City einen eigenen festen Treffpunkt für die kleine Gemeinde geben. Sie zählt zurzeit rund 25 Mitglieder.
"Liberaler Islam bedeutet für mich, dass ich meinen Glauben so leben darf, wie ich ihn verstehe. Nicht nur aufgrund meiner Prägung, sondern dass ich das hinterfragen darf", sagt die Deutsch-Marokkanerin Fatima. Ihren Nachnamen will sie nicht nennen, um ihre Kinder zu schützen, sagt sie. Einzelne Mitglieder des Liberal-Islamischen Bundes sind von Salafisten attackiert worden. Auch die Konvertitin Agnes, die neben Fatima sitzt, bleibt beim Vornamen. Ihr ist es wichtig, dass bekannter wird, dass es neben rund 50 konservativen Moscheevereinen in Frankfurt am Main eben auch Angebote für liberale Muslime gibt: wo Männer und Frauen gemischt beten, wo auch eine Frau Vorbeterin sein kann. Wie eben in der Frankfurter Gemeinde des Liberal-Islamischen Bundes.
"Es wird auch in den Medien sehr viel nur über diesen patriarchalen Islam berichtet. Dass es uns gibt, kam jetzt erst auf. Auch andere, die sich hier in Frankfurt schon versucht hatten, hatten wohl einen so schweren Stand, dass es nicht präsent wurde."
Nach dem gemeinsamen Gebet werden Themen wie die Gleichberechtigung von Frauen diskutiert:
"Dass Frauen ein gemischtes Gebet leiten, dass Männer hinter einer Frau beten, das ist schon was sehr besonderes. Da gibt es vielleicht ein Dutzend weltweit, die das machen. Und in Deutschland sind es meines Wissens nur zwei, die gemischte Gebete leiten. Und bei uns ist eben auch das Angebot, dass man gemischt betet, bei uns gibt es eben keine Geschlechtertrennung beim Gebet", sagt Annika Mehmeti, die eigens 80 Kilometer aus dem Raum Koblenz zu den Gemeindetreffen anreist. Die Deutsch-Marokkanerin Fatima beschreibt, dass es auch in der liberal-islamischen Gemeinde Meinungsverschiedenheiten darüber gibt, wie weit die Gleichberechtigung beim Gebet gehen kann.
"Es ist wieder individuell verschieden. Es gibt Menschen, denen ist das mit der Imamin irgendwie ein Dorn im Auge. Das geht gar nicht. Und dann gibt es da Leute, die sagen: Ohne Kopftuch beten, das ist ja auch ein No Go."
Für eine historisch-kontextuelle Koran-Auslegung
Einig sind sich die Mitglieder des Liberal-islamischen Bundes jedoch darüber, dass der Koran nicht buchstabengetreu gelesen werden darf; sondern dass es heute um eine historisch-kritische Lektüre gehen muss. Annika Mehmeti:
"Der Liberal-Islamische Bund hat sich gegründet, um eben eine historisch-kontextuelle Auslegung möglich zu machen, die zu propagieren in Deutschland. Und wir haben auch Theologinnen bei uns, die das durchaus machen. Rabea Müller ist da zu nennen, als feministische Theologin, die da doch sehr viel Arbeit leistet. Layma Kaddor sowieso. Er ist ja verfassungsgebunden, unser Islam. Und da bleibt eine historisch-kontextuelle Auslegung nicht aus."
Gefordert: Toleranz auch gegenüber Schwulen und Lesben
Fatima ist bereits 2010 zum Liberal-Islamischen Bund gekommen. Damals war sie auf der Suche nach islamischem Religionsunterricht für ihre Tochter – jenseits des Angebots in den traditionellen Moscheegemeinden. Jetzt hilft sie mit, ein eigenes, liberales Angebot zu schaffen. Wer zur Gemeinde des Liberal-Islamischen Bundes stoßen möchte, müsste ein paar Bedingungen erfüllen, sagt die Deutsch-Marokkanerin:
"Er müsste auf jeden Fall einen offenen Charakter haben und für alle Strömungen im Islam offen sein und eben eine große Toleranz mitbringen."
Toleranz auch gegenüber Schwulen und Lesben, ergänzt Annika Mehmeti:
"Es geht uns darum, dass man den Leuten sagt: Ihr steht vor Gott in der Eigenverantwortung, aber nicht vor uns. Also seid ihr willkommen, Ihr könnt mit uns zusammen beten, Ihr könnt am Gemeindeleben teilnehmen. Und es ist auch ganz wichtig, dass es sie gibt, Homosexuelle im Islam. Und dass man das nicht versucht, solche Leute aus dem Gemeindeleben auszuschließen, sondern das man sie auch willkommen heißt."
Jetzt geht es in Frankfurt am Main darum, einen Ort zu finden, wo man sich nicht nur alle vier Wochen zum Gebet und Gespräch treffen kann. Die Gemeinde träumt letztendlich vor einer eigenen Moschee:
"Das ist unser aller Traum, natürlich. Aber dass wir nicht nur eine Moschee sind, zum Beten. Wir möchten, glaube ich, auch ein Beratungszentrum sein, eine Anlaufstelle für ganz offenen Dialog mit Andersgläubigen. Mit Leuten, die Probleme haben aufgrund ihrer Glaubensauslegung in den Familien. Ich glaube, so ein Zentrum wäre schön. Dazu gehören eine Moschee und ein Gebetsraum. Aber so ein liberales muslimisches Zentrum, das wäre schon unser Bestreben."