Noch gestern habe sie in der TV-Runde versucht, ein "menschlicheres Gesicht" zu zeigen und sanftere Töne anzuschlagen, sagte Foussier im DLF. Damit sei es heute Morgen vorbei gewesen: Sie habe eine "heftige" Rede gehalten, in der sie erneut "drastische Maßnahmen" gefordert habe.
Der liberale Kandidat Emmanuelle Macron habe in der TV-Runde keine gute Figur gemacht, meint Foussier, Chefredakteur des deutsch französischen Magazins "Dokumente / Documents". Auch stelle sich Macron dem Thema Innere Sicherheit nicht überzeugend: Die Verhaftung von zwei Terrorverdächtigen in Marseille habe Macron als Erfolg bezeichnet - das käme jedoch nicht gut an.
Boomerang-Effekt bei Fillon?
François Fillon wiederum, Kandidat der Konservativen, habe es schwer, sich zum Thema Innere Sicherheit zu positionieren, da er in der Vergangenheit als Ministerpräsident die Sicherheitskräfte reduziert habe. "Das könnte einen Boomerang-Effekt geben", meint Foussier.
Foussier glaubt nicht, dass der Kandidat der Linken, Jean-Luc Mélenchon, im ersten Wahlgang unter die ersten drei kommt. Festlegen will er sich aber nicht: Die Umfragen seien nicht unbedingt verlässlich, da viele Wähler ihre Wahlentscheidung nicht kundtun würden.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Jasper Barenberg: Wir wollen jetzt über die möglichen politischen Folgen sprechen. Gibt es die, sind die absehbar? Darüber kann ich mit Gérard Foussier, dem Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift "Documents". Schönen guten Tag nach Frankreich!
Gérard Foussier: Guten Tag!
Barenberg: Herr Foussier, wir haben es gerade gehört, der Innenminister sagt, man solle sich jetzt bitte nicht einschüchtern lassen durch diese jüngste Tat in einer ganzen Reihe von terroristischen Anschlägen, die Frankreich ja auch erlebt hat. Wie groß ist die Gefahr, dass das doch passiert?
Foussier: Von Panik ist wahrscheinlich im Moment nicht die Rede. Wir sind auch in Frankreich ziemlich gewöhnt jetzt, seit fünf Jahren, dass Anschläge verübt werden. Man weiß eigentlich, das hat jeder Kandidat für diese Präsidentschaftswahlen wieder einmal behauptet, es gibt kein Null-Risiko. Es wird weiterhin einen Kriegszustand geben gegen den Terrorismus. Das Problem ist nur dabei, dass keiner weiß, wie man noch diesen Krieg führen sollte. Und interessant war, dass gestern die elf Kandidaten live im Fernsehen zu hören waren, getrennt, jeder hatte 15 Minuten, um sein Programm noch einmal zu erläutern. Und interessanterweise hat man erst nach anderthalb Stunden erfahren, das heißt, vier, fünf Kandidaten haben schon das Wort ergriffen, als dann die Kandidaten erfahren haben, da auf den Champs-de Elysee ist was passiert. Und wenn man vergleicht, was die Reaktionen der Kandidaten – nein, nicht die Reaktion, sondern die Stellungnahme der Kandidaten vor der Ankündigung des Attentats und die Reaktion heute Morgen, dann ist das sehr interessant. Zum Beispiel Marine Le Pen, die wird wahrscheinlich am meisten davon profitieren, dass so etwas passiert ist. Gestern hatte sie auch noch versucht, irgendwie sanfter zu formulieren, was sie in ihrem Programm hat. Sie will ja auch ein, ich sage mal so, menschlicheres Gesicht zeigen zwei Tage vor den Wahlen. Heute Morgen hat sie eine Reaktion gegeben, das war eine so heftige Rede – die Frage wird sein jetzt, inwiefern das Wahlvolk darauf reagiert und sagt, die Frau hat recht, und wir geben ihr jetzt unsere Stimme.
Barenberg: Wie schätzen Sie das denn ein, wenn Marine Le Pen etwa davon spricht, dass Frankreich ein ohnmächtiges Land sei? Kann man dann sagen, dass sie von dieser Mordattacke mit Sicherheit profitieren wird, wenn am Sonntag die erste Runde der Präsidentschaftswahlen laufen wird?
"Macron hat keine gute Figur gemacht"
Foussier: Ich glaube, am besten die Wahlbeteiligung. Die Wahlbeteiligung nach Schätzungen, die noch gestern veröffentlicht wurden, hieß es also, höchstens 60 Prozent oder 65 Prozent der Leute gehen zur Wahl. Möglicherweise werden einige mehr übermorgen zur Wahl gehen, weil die jetzt verstanden haben, also Nichtstun ist keine Lösung, und jetzt müssen wir endlich mal einen, der das Thema anpackt und die richtigen Entscheidungen trifft. Wer ist das? Ist das Le Pen mit drastischen Maßnahmen, also ziemlich gewaltig, oder ist es Fillon, der zwar auch selbstbewusst und stark, aber immer noch im Rahmen der republikanischen Demokratie in Frankreich, oder ist es Macron, der eigentlich keine gute Figur gemacht hat. Gestern, wenn man ihn beobachtet hat, der hat doch mit der Hand immer gezittert. Der wusste im Grunde genommen nicht, was er sagen sollte. Heute Morgen hat er auch seine Rede ein bisschen geändert und gesagt, ja, wir müssen stark sein, wir müssen gegen den Terrorismus kämpfen. Aber er hat die falschen Beispiele genannt. Er hat zum Beispiel gesagt, das, was in Marseille Anfang der Woche passiert ist, nämlich dass zwei Terroristen verhaftet worden sind, bevor die überhaupt einen Anschlag verüben, sei ein Erfolg. Und das kommt natürlich nicht an. So was ist kein Erfolg, sondern ist der Beweis, dass immer noch solche Leute in der Landschaft sind und die man möglicherweise kennt, aber wo man nicht weiß, wo sie sind. Und das ist kein Erfolg.
Barenberg: Sie haben auch François Fillon angesprochen, den konservativen Kandidaten, der schwer geplagt ist von den Vorwürfen der Vetternwirtschaft gegen ihn. Ist das für einen Konservativen jetzt möglicherweise auch, so bitter das sein mag, eine Chance, beim Thema Innere Sicherheit noch Punkte zu sammeln bei diesem ja ohnehin sehr engen Rennen?
Foussier: Vor fünf Jahren hätte ich gesagt, ja – oder auch vor zehn Jahren –, das ist genau die richtige Haltung. Nur, das Problem von Fillon, er war ja fünf Jahre lang Premierminister, und unter seiner Regierung sind die Sicherheitskräfte reduziert worden. Er hat also weniger Polizisten, der hat auch weniger Geld für die Armee da ausgegeben. Und das kann natürlich jetzt ein Bumerang-Effekt geben: Ja, das ist deine Schuld. Wenn du das nicht gemacht hättest, hätten wir mehr Möglichkeiten, gegen den Terrorismus zu kämpfen. Deswegen ist er ein bisschen vorsichtig in seinen Formulierungen und etwas vorsichtig in den Zielen, die er darstellt. Zwischen Machtlosigkeit und Stärke muss man irgendwo auch einen Weg finden. Und da ist die französische Sprache zwar vielseitig, aber das ist sicherlich eine große Herausforderung für Politiker, und vor allem zwei Tage vor einer Präsidentschaftswahl.
Barenberg: Aber was Sie uns schildern, ist ein wenig, dass keiner der Kandidaten, die am aussichtsreichsten sind, jetzt ein Rezept hat beim Thema Innere Sicherheit, und da eine besonders starke Haltung gezeigt hätte.
Le Pen macht "Sprüche"
Foussier: Wer hat das Rezept? Das Rezept von Marine Le Pen, wir müssen alle verhaften, wir müssen alle zurückschicken – was heißt zurückschicken? Der von gestern Abend, der erschossen worden ist, ist Franzose. Wohin will man ihn zurückschicken. Und verhaften? Ja, die Regierungen, die beiden, also Sarkozy und Hollande, hatten in den letzten zehn Jahren so viel Gefängniszellen geschlossen – man kann nicht jetzt für 15.000 Leute von heute auf morgen einfach verhaften und ins Gefängnis bringen. Also, das sind Sprüche, auf Deutsch gesagt. Das sind keine Entscheidungen. Und heute hat Frau Le Pen in ihrer starken Rede gesagt, was sie machen würde, aber noch schlimmer, sie hat gesagt, was die Regierung, die heutige Regierung, die auch noch bis, sagen wir, Mitte Mai im Amt ist, sofort, ab morgen schon unternehmen müsse, gegen den Terrorismus. Das ist natürlich nicht glaubwürdig.
Barenberg: Lassen Sie uns gegen Ende noch sprechen über Jean-Luc Mélenchon, den Linksaußen in der französischen Politik, der in den letzten Tagen ja gewaltig zugelegt hat oder in den letzten Wochen in den Umfragen. Hat Sie das eigentlich überrascht, dass es so eine Entwicklung noch mal in diesem engen Rennen geben würde?
Foussier: Welche Überraschung? Was gestern passiert ist, oder die Reaktion darauf, oder die Entwicklung jetzt?
Barenberg: Insgesamt in den vergangenen Wochen, dass er als Kandidat jetzt vor dem ersten Wahlgang noch mal so gute Umfragewerte erzielen würde.
Foussier: Es ist keine so große Überraschung gewesen, aus dem einfachen Grund: Die Linken haben es nicht geschafft, einen gemeinsamen Kandidaten zu haben. Und sie haben aus verschiedenen Gründen – das würde also Stunden dauern, das zu erläutern, und ich glaube nicht, dass die Politiker in der Lage sind, heute das zu erläutern, dass der ausgewählte Kandidat der Sozialisten keine Chance hat, auch zu gewinnen. Und der war zwar direkt nach seiner Wahl, bei den sogenannten Primaires, bei der Urwahl hat er zwar die meisten Stimmen bekommen, und ist von heute auf morgen von acht Prozent auf 16 Prozent gekommen nach der Voraussage. Nur, nach einer Woche war es vorbei. Und die Stimmen, die Amon bekommen sollte, hat im Endeffekt Mélenchon bekommen. Mélenchon ist sicherlich der einzige wahre Kandidat der Linken, auch wenn Hollande das anders sieht. Nur, ich glaube nicht, dass er in die Gruppe der ersten drei kommt. Das würde die große Überraschung am Sonntag, wenn es so weit käme.
Barenberg: Wir haben nicht mehr arg viel Zeit, Herr Foussier. Trotzdem noch die Frage: Macron, Le Pen, ist das immer noch das wahrscheinlichste Szenario?
Foussier: Ich habe mir die Finger so oft verbrannt mit Voraussagen, da bin ich ganz vorsichtig. Man darf auch nicht vergessen: Wir erleben einen Effekt im Moment, der bekannt war damals auch für Le Pen. Kein Mensch in den Umfragen hatte den Mut zu sagen, dass er Le Pen wählen würde. Dieses Jahr ist es Fillon. Die Leute wollen das nicht verraten, dass sie für Fillon sind.
Barenberg: Dann müssen wir es abwarten, Herr Foussier. Vielen Dank für die Zeit heute Mittag, danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.