Ein ungewöhnliches Foto zeigt der Einband des neuen Buchs von Necla Kelek. Die streitbare türkisch-deutsche Soziologin steht fröhlich lachend inmitten einer Gruppe von einander umarmenden Frauen. Alle tragen Kopftuch oder Schleier - außer Necla Kelek selbst. Ungewöhnlich ist die fröhliche Szene, weil die Autorin Kopftuchträgerinnen seit Jahren als Propagandistinnen des Islamismus anprangert. Das Foto soll nun auf Keleks Eindrücke von der Revolte der arabischen Frauen einstimmen. In den vielen Büchern, die inzwischen über den arabischen Frühling erschienen sind, standen die daran beteiligten Frauen bisher kaum im Fokus. Die deutschtürkische Sozialwissenschaftlerin Kelek wollte sich deshalb vor Ort ansehen, wie weit es die Bürgerrechtlerinnen gebracht haben. Im Vorwort ihres Buches "Hurriya heißt Freiheit" schreibt sie:
Ich wollte mit Frauen sprechen, mir ansehen, wie sich ihr Alltag gestaltet. Welche Rolle Tradition, Sitte und Religion spielen und was sich geändert hat. Ich wollte erkunden und erspüren, wie diese nordafrikanischen Gesellschaften funktionieren. Sind es von Moscheen und Militärs dominierte Männergesellschaften, oder hat der frische Duft der Jasmin- und Lotusrevolution den patriarchalen Muff vertrieben?
Breiten Raum nehmen in der Darstellung Reflexionen über die Geschichte der Region ein. Kelek bereiste auf den Spuren großer Arabien-Reisender des 19. und 20. Jahrhunderts unter anderem per Schiff den Nil, das tunesische Kairouan, die Hochburg islamischen Gelehrtentums im achten Jahrhundert oder die ehemalige Piratenrepublik Salé in Tunesien, von wo aus bis ins 17. Jahrhundert muslimische Korsaren die Weltmeere unsicher machten. Ihre Erlebnisse und Gedanken auf ihren Streifzügen durch Märkte und Cafés fließen ebenso ein, wie ihre Begegnungen mit Vertreterinnen verschiedener Frauenorganisationen, Studentinnen und Professorinnen. Schon das Auftauchen von Frauen in der Öffentlichkeit ist eine Provokation, erläutert Kelek:
Das Auftauchen der Frau in der Öffentlichkeit, etwa bei Demonstrationen, und die selbstständige Vertretung der eigenen Interessen machen die Männer nervös. Allein mit ihrem Auftritt in der Öffentlichkeit stellen die Frauen die fest gefügte Ordnung infrage. Die Frauen kämpfen in der islamischen Welt einen Mehrfrontenkrieg. Gegen die Despotie der Herrscher, gegen die Geschlechterapartheid.
Die Aktivistinnen mit denen sich Kelek traf - Frauen jeden Alters - scheinen ernüchtert. Etwa in Ägypten: die Frauenrechtlerin Amal, die bürgerrechtsbewegte Politikwissenschaftlerin Olga und die Internetaktivistin Mona: Sie alle haben konkrete Vorstellungen und Forderungen zur Verbesserung der desolaten Lage der Frauen in ihrem Land. Doch durch das Erstarken der islamistischen Kräfte wurden sie alle erneut ausgebremst. Schlimmer noch: Die unter Mubaraks Regime auf den Weg gebrachte Säkularisierung des Familienrechts oder das Gesetz zur Ächtung der weiblichen Beschneidung werden wieder kassiert. Nach den Gesprächen beschreibt Kelek, wie groß deren Enttäuschung ist:
Alle redeten von Frauenrechten. Aber in der Praxis tue niemand etwa für die Frauen. Die ganze Bewegung werde langsam erwürgt und den Klugen schlage man die Köpfe ab. Weder die Parteien noch die Gewerkschaften würden sich um die Frauen kümmern.
Kelek beschreibt, wie sehr die Bürgerrechtlerinnen in Ägypten bedauern, dass es ihnen bisher nicht gelungen ist, sich untereinander zu vernetzen. Anders als in Tunesien - zumindest formal. Bei ihrem Besuch bei der Tunesischen Vereinigung demokratischer Frauen ATFD trifft Necla Kelek auf bestens organisierte Frauen, die innerhalb eines Netzwerks aus Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen erfolgreich Hilfe zu Selbsthilfeprojekten leisten. Die 1989 gegründete Organisation ist aber ebenfalls besorgt, dass bereits erreichte Fortschritte zunichtegemacht werden könnten. Gerade kassierte die neue Frauenministerin aus der Ennahda-Partei eine Studie über Gewalt in der Familie. Die als gemäßigt geltende Partei ist von Salafisten unterwandert, beobachtet Kelek. Die greifen inzwischen auf offener Straße unverschleierte Frauen an:.
"Es ist sehr traurig zu sagen, dass sie unter Mubarak und Ben-Ali eigentlich mehr Bürgerrechte gehabt haben, also das Recht zu arbeiten, das Recht, kein Kopftuch tragen zu müssen. Die kleine Gruppe, die bürgerliche Ideen umsetzen wollte, bleibt auf der Strecke, war sehr ohnmächtig gegenüber der Wucht, mit der die islamistischen Parteien das Ruder an sich gerissen haben."
Die Rufe nach Freiheit, die die Massen während der arabischen Revolte skandierten, werden von den Kommentatoren falsch verstanden, moniert die Autorin. Der arabische Begriff Hurriya steht für die Freiheit, Allah zu dienen. Noch kann von Revolution nicht die Rede sein. Wenn überhaupt, könne eine echte Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse in den arabischen Ländern nur von den Frauen ausgehen, argumentiert sie.
"Wenn eine Veränderung überhaupt stattfinden soll: Das werden die Frauen sein! Die Frauen leiden viel mehr unter der Unterdrückung. Nicht nur vom Staat, sondern auch innerhalb der Familie."
So ganz neu ist diese These nicht. Doch in der Gesamtschau dieses Buchs ergibt sich eine vielschichtige Momentaufnahme der Region. Kelek erzählt in packender Sprache. Ihre Wahrnehmung zeugt von großer Empathie. Ihre Versuche allerdings, die aktuellen Entwicklungen einzuordnen, berühren leider oftmals nur die Oberfläche - ebenso wie viele Gespräche mit den Protagonistinnen vor Ort. Fast scheint es, als habe sich die Autorin vom touristischen Zauber des Morgenlands einfangen lassen. Und so bleiben leider viele Fragen offen: Wie stehen die eigenen Männer, Brüder, Väter zum Engagement der Frauen? Wer das Buch allerdings als Reisebericht begreift, der wird bestens informiert und wunderbar unterhalten.
Necla Kelek:
Hurriya heißt Freiheit: Die Revolte der arabischen Frauen, Kiepenheuer & Witsch, 237 Seiten, 18,99 Euro
ISBN: 978-3462044843
Ich wollte mit Frauen sprechen, mir ansehen, wie sich ihr Alltag gestaltet. Welche Rolle Tradition, Sitte und Religion spielen und was sich geändert hat. Ich wollte erkunden und erspüren, wie diese nordafrikanischen Gesellschaften funktionieren. Sind es von Moscheen und Militärs dominierte Männergesellschaften, oder hat der frische Duft der Jasmin- und Lotusrevolution den patriarchalen Muff vertrieben?
Breiten Raum nehmen in der Darstellung Reflexionen über die Geschichte der Region ein. Kelek bereiste auf den Spuren großer Arabien-Reisender des 19. und 20. Jahrhunderts unter anderem per Schiff den Nil, das tunesische Kairouan, die Hochburg islamischen Gelehrtentums im achten Jahrhundert oder die ehemalige Piratenrepublik Salé in Tunesien, von wo aus bis ins 17. Jahrhundert muslimische Korsaren die Weltmeere unsicher machten. Ihre Erlebnisse und Gedanken auf ihren Streifzügen durch Märkte und Cafés fließen ebenso ein, wie ihre Begegnungen mit Vertreterinnen verschiedener Frauenorganisationen, Studentinnen und Professorinnen. Schon das Auftauchen von Frauen in der Öffentlichkeit ist eine Provokation, erläutert Kelek:
Das Auftauchen der Frau in der Öffentlichkeit, etwa bei Demonstrationen, und die selbstständige Vertretung der eigenen Interessen machen die Männer nervös. Allein mit ihrem Auftritt in der Öffentlichkeit stellen die Frauen die fest gefügte Ordnung infrage. Die Frauen kämpfen in der islamischen Welt einen Mehrfrontenkrieg. Gegen die Despotie der Herrscher, gegen die Geschlechterapartheid.
Die Aktivistinnen mit denen sich Kelek traf - Frauen jeden Alters - scheinen ernüchtert. Etwa in Ägypten: die Frauenrechtlerin Amal, die bürgerrechtsbewegte Politikwissenschaftlerin Olga und die Internetaktivistin Mona: Sie alle haben konkrete Vorstellungen und Forderungen zur Verbesserung der desolaten Lage der Frauen in ihrem Land. Doch durch das Erstarken der islamistischen Kräfte wurden sie alle erneut ausgebremst. Schlimmer noch: Die unter Mubaraks Regime auf den Weg gebrachte Säkularisierung des Familienrechts oder das Gesetz zur Ächtung der weiblichen Beschneidung werden wieder kassiert. Nach den Gesprächen beschreibt Kelek, wie groß deren Enttäuschung ist:
Alle redeten von Frauenrechten. Aber in der Praxis tue niemand etwa für die Frauen. Die ganze Bewegung werde langsam erwürgt und den Klugen schlage man die Köpfe ab. Weder die Parteien noch die Gewerkschaften würden sich um die Frauen kümmern.
Kelek beschreibt, wie sehr die Bürgerrechtlerinnen in Ägypten bedauern, dass es ihnen bisher nicht gelungen ist, sich untereinander zu vernetzen. Anders als in Tunesien - zumindest formal. Bei ihrem Besuch bei der Tunesischen Vereinigung demokratischer Frauen ATFD trifft Necla Kelek auf bestens organisierte Frauen, die innerhalb eines Netzwerks aus Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen erfolgreich Hilfe zu Selbsthilfeprojekten leisten. Die 1989 gegründete Organisation ist aber ebenfalls besorgt, dass bereits erreichte Fortschritte zunichtegemacht werden könnten. Gerade kassierte die neue Frauenministerin aus der Ennahda-Partei eine Studie über Gewalt in der Familie. Die als gemäßigt geltende Partei ist von Salafisten unterwandert, beobachtet Kelek. Die greifen inzwischen auf offener Straße unverschleierte Frauen an:.
"Es ist sehr traurig zu sagen, dass sie unter Mubarak und Ben-Ali eigentlich mehr Bürgerrechte gehabt haben, also das Recht zu arbeiten, das Recht, kein Kopftuch tragen zu müssen. Die kleine Gruppe, die bürgerliche Ideen umsetzen wollte, bleibt auf der Strecke, war sehr ohnmächtig gegenüber der Wucht, mit der die islamistischen Parteien das Ruder an sich gerissen haben."
Die Rufe nach Freiheit, die die Massen während der arabischen Revolte skandierten, werden von den Kommentatoren falsch verstanden, moniert die Autorin. Der arabische Begriff Hurriya steht für die Freiheit, Allah zu dienen. Noch kann von Revolution nicht die Rede sein. Wenn überhaupt, könne eine echte Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse in den arabischen Ländern nur von den Frauen ausgehen, argumentiert sie.
"Wenn eine Veränderung überhaupt stattfinden soll: Das werden die Frauen sein! Die Frauen leiden viel mehr unter der Unterdrückung. Nicht nur vom Staat, sondern auch innerhalb der Familie."
So ganz neu ist diese These nicht. Doch in der Gesamtschau dieses Buchs ergibt sich eine vielschichtige Momentaufnahme der Region. Kelek erzählt in packender Sprache. Ihre Wahrnehmung zeugt von großer Empathie. Ihre Versuche allerdings, die aktuellen Entwicklungen einzuordnen, berühren leider oftmals nur die Oberfläche - ebenso wie viele Gespräche mit den Protagonistinnen vor Ort. Fast scheint es, als habe sich die Autorin vom touristischen Zauber des Morgenlands einfangen lassen. Und so bleiben leider viele Fragen offen: Wie stehen die eigenen Männer, Brüder, Väter zum Engagement der Frauen? Wer das Buch allerdings als Reisebericht begreift, der wird bestens informiert und wunderbar unterhalten.
Necla Kelek:
Hurriya heißt Freiheit: Die Revolte der arabischen Frauen, Kiepenheuer & Witsch, 237 Seiten, 18,99 Euro
ISBN: 978-3462044843