Anja Reinhardt: Und wir widmen uns dem Thema der Geschlechtergerechtigkeit im Film. Vielleicht haben sie diese Rede ja noch im Ohr:
O-Ton Patricia Arquette: "It's our time to have wage equality once and for all and equal rights for women in the United States Of America.”
Reinhardt: Patricia Arquette forderte 2015, als sie einen Oscar gewann, gleiche Rechte für Frauen – nicht nur im Film, sondern überhaupt. Dass Schauspielerinnen weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, dass es deutlich weniger Regisseurinnen gibt und Frauen ab 50 langsam ausgemustert werden, das gilt nicht nur für Hollywood, sondern auch für die deutsche Film- und Fernsehlandschaft. Es gibt wenige Ausnahmen, Meryl Streep natürlich, Iris Berben und sicher auch Maria Furtwängler – mit der wir nun über dieses Thema sprechen wollen. Denn Maria Furtwängler hat heute zusammen mit anderen an der Berliner Akademie der Künste die Studie "Geschlechterdarstellung in Fernsehen und Film in Deutschland" diskutiert.
Frau Furtwängler, ist es eigentlich immer noch so, dass sich Frauen vornehmlich um die Kostüme und ums Make-up kümmern und Männer Regie führen und die Hauptrolle spielen?
"Diffuses Gefühl einer gewissen Unsichtbarkeit"
Maria Furtwängler: Ja, das scheint so zu sein. Es gab Anfang des Jahres eine Studie der FFA dazu, die das sehr stark belegt hat. Wir haben jetzt ja uns angeschaut, wie sieht es vor der Kamera aus. Ist denn da das Gefühl, was wir so haben, es gibt ein bisschen weniger Frauen, von den Kolleginnen hört man immer, wenn sie älter werden, haben sie verdammt wenig zu tun oder gar nichts mehr zu tun. Wie sind denn jetzt jenseits dieses diffusen Gefühls einer gewissen Unsichtbarkeit, was ja auch eine Form von Diskriminierung ist, wie sind denn da die Fakten? Das ist höchste Zeit und insofern bin ich ganz optimistisch, dass wir mit diesen Zahlen, die jetzt durchaus zum Teil sehr nachdenklich stimmen, dass wir jetzt hier auch eine gewisse Veränderung haben werden.
Reinhardt: Die Zahlen sind ja sehr aussagekräftig. Zum Beispiel bei den Erscheinungen vor der Kamera: ein Drittel Frauen, zwei Drittel Männer. Ist schlecht und Gerechtigkeit ist was anderes.
Furtwängler: Ja! Wir Frauen kommen halb so oft vor wie Männer, wenn man sich das gesamte TV-Programm anschaut. Bei aller Routiniertheit, die man so hat, zu sagen, na ja, wussten wir eh, ist halt ungerecht, ist das schon interessant. Wir kommen halb so oft vor in diesem sehr öffentlichen Medium Fernsehen.
"Ab 30, 35 verschwinden die Frauen langsam"
Reinhardt: Und wenn wir schon dabei sind, dass Frauen halb so oft vorkommen, als was kommen sie denn vor? Gibt es da auch noch mal signifikante Unterschiede zu den Rollen, die Frauen und Männer übernehmen vor der Kamera?
Furtwängler: In der Fiktion ist es ganz klar so: Da kommen Frauen zwischen 20 und 30 sogar häufiger vor als Männer in dem Alter.
Reinhardt: Die jungen Frauen.
Furtwängler: Aber dann ab 30, 35 verschwinden sie langsam und die Männer werden immer häufiger und präsenter. Wenn man die Gesamtheit des TV-Programms sich anschaut, auf eine Frau mit 50 kommen, glaube ich, fünf Männer mit 50. Da sind wir dann deutlich unterrepräsentiert. Dann schauen wir uns zum Beispiel die Informationssendungen an und dann sehen wir, dass Frauen erheblich seltener als Expertinnen vorkommen als Männer als Experten, sehr viel seltener Sprecher sind und ganz, ganz selten Show-Moderatoren und schon gar nicht jenseits der 30. Sozusagen dieses durch eine Sendung führen, die Welt erklären, Experte in irgendetwas sein, das scheint, doch ein extrem männlicher Bereich zu sein. Das heißt, ganz klare Erkenntnis unserer Studie war, Männer erklären die Welt. Frauen verschwinden, wenn sie älter sind.
Reinhardt: Was könnten denn die Gründe dafür sein? Bleiben wir doch mal bei den Experten. Wieso werden da immer Männer eingeladen? Wieso sitzen da keine Frauen?
Frauen fehle es an Selbstverständnis
Furtwängler: Na ja. Experte ist ja zum Beispiel auch ein Politiker, der zu einem bestimmten Thema sich äußert, ist aber auch der Terrorismusforscher oder Ähnliches. Ein Stück weit ist es ja auch Spiegel der Gesellschaft. Ich glaube, im Parlament sitzen immer noch nur – hoffentlich ist die Zahl nicht so falsch – circa 35 Prozent Frauen. Akademische Abschlüsse werden mehr von Frauen gemacht mittlerweile als von Männern. Dennoch tun sich Frauen schwerer, rauszugehen und darüber zu sprechen. Wir sind weniger geschult darin, einfach rauszugehen. Die Redakteure und Redaktionen erzählen immer:
Wenn sie einen Mann zu einem Thema anfragen, auch wenn es nicht ganz sein Thema ist, sagt er ja, kein Problem, mache ich gerne – zack, bum, raus. Dieses Selbstverständnis, dass wir uns trauen, rauszugehen und den Mund aufzumachen, das ist sicherlich eine frühere Prägung, dass uns das nicht so selbstverständlich offensichtlich leicht fällt wie vielen Männern.
Dann schauen wir uns das Kinderfernsehen an, weil das ist ja irgendwie unsere Zukunft und da wird geprägt für die Zukunft. Nur eine von vier Figuren im Kinderfernsehen ist überhaupt weiblich. Und wenn weibliche Figuren vorkommen, dann sind sie sehr oft in einem schmalen Muster, nämlich sie sind Feen, sie sind Hexen, sie sind die Mütter und sie sind sehr stark das Objekt der Begierde. Sie sind nicht die Entdeckerinnen, sie sind nicht die technischen Erfinderinnen, sie sind nicht die Piraten, die Kosmonauten. Und das ist natürlich ein sehr eingeschränktes Rollenbild, was wir den Mädchen und Jungs ganz früh mitgeben. Ganz früh definieren wir das, so sind Frauen und Mädchen zu sehen und hier bist du und das ist dein Möglichkeitsraum. Und das ist eigentlich das, was daran so schade ist. Wir tun den Möglichkeitsraum so früh einengen für Mädchen und Jungs - für Mädchen und Jungs, sage ich, in der Wahrnehmung von weiblichen Figuren.
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