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"Freedom rocks"
Mauerstücke auf Reisen

Mauerspechte nahmen den "antifaschistischen Schutzwall" auseinander - die entstandenen Fragmente gingen teils auf spannende Reisen. Zwei kanadische Künstler folgen Mauerstücken, die von Berlin nach Nordamerika gekommen sind, und dokumentieren die mit der Reise verbundenen Geschichten.

Von Kerstin Zilm |
    Ein Mauerspecht sichert sich einige Stücke (November 1989)
    Ein Mauerspecht sichert sich einige Stücke (November 1989) (dpa / picture-alliance / anp)
    Kaum war die Berliner Mauer offen, begannen Menschen, sie mit Hämmern zu bearbeiten. Als Zeugnisse der Geschichte, Symbole des Triumphs über das DDR-Regime, Reisesouvenirs, Kunstobjekt und Mahnmal sind die Fragmente seither überall auf der Welt unterwegs. Zwei kanadische Künstler folgen Mauerstücken, die von Berlin nach Nordamerika gekommen sind und dokumentieren mit der Reise verbundenen Geschichten. Ihr Projekt heißt "Freedom rocks", die in einen Film, eine Ausstellung und ein Buch münden soll. Diese Woche machen die Künstler in Los Angeles Station.
    Vid Ingelevics und Blake Fitzpatrick erklären ihrer ersten Zeitzeugin was sie fragen werden: Name, Wohnort, woher sie ihre Mauerstücke hat und was diese heute für sie bedeuten. Kamera und Scheinwerfer sind auf Angela Thompsons offene Hände gerichtet. Darin liegen drei Stücke der Berliner Mauer - grau mit blauen Farbtupfern. Sie hält sie wie einen zerbrechlichen, wertvollen Schatz. Ihre Stimme bricht als die aus Dresden kommende Germanistin erzählt, wie sie im US-Fernsehen vom Fall der Mauer erfuhr, sofort einen Flug nach Berlin buchte und durch das Brandenburger Tor ging.
    "Dann habe ich Leute gefragt, ob ich ihren Hammer borgen könnte und sie haben für mich ein paar Stücke abgeklopft. Die meisten hat inzwischen mein Enkel. Diese drei Stücke liegen auf dem Bücherregal vor meinem Schreibtisch und sind immer präsent in meinem Leben", sagt Angela Thompson.
    Seit zehn Jahren zeichnen die kanadischen Künstler Geschichten von Mauerfragmenten auf, die in Nordamerika gelandet sind - von selbst abgeklopften Brocken über im Internet ersteigerte Souvenir-Päckchen bis zu großen Mauersegmenten, die in Bibliotheken ehemaliger Präsidenten stehen.
    Vid Ingelevics: "Wir haben festgestellt, dass die größeren Stücke im geschichtlichen Kontext eingefroren sind - meist mit Gedenktafel zum Kalten Krieg etcetera. Zu den kleinen Fragmenten gibt es persönlichere Geschichten und die entfernen sich sehr schnell aus dem historischen Bereich."
    Mauerstücke mit unterschiedlichen Geschichten
    Besitzer von Mauerstücken erzählen von Brieffreundinnen, die ihnen Fragmente schickten, von Trampern, die Stücke verschenkten, von Verwandten und Kollegen, die Souvenirs aus Berlin mitbrachten. Andere haben Mauerstücke verloren, wieder andere versucht, mit ihnen ein Geschäft zu machen. Freiheit, Freundschaft und Macht sind wiederkehrende Motive genauso wie die Spannung zwischen Mauer als Kunst einerseits und Mauer als Mahnmal andererseits.
    Silvester 1989 in Berlin
    Silvester 1989 in Berlin - Feier auf der Mauer (dpa / picture-alliance / Wolfgang Kumm)
    Blake Fitzpatrick sagt: "Nachwirkungen von Geschichte und wie wir ihr Denkmale setzen, das alles verändert sich. Wir wollen die Entwicklung am Beispiel der Berliner Mauer beschreiben und zeigen dass die Bedeutung von Geschichte und wie wir uns an sie erinnern nie feststeht, sich immer bewegt."
    Zum Beispiel die Geschichte der zehn Berliner Mauersegmente, die das Wende-Museum von Los Angeles vor fünf Jahren neben einer Ost-West-Verbindungsstraße platzierte. Teilweise von Künstlern neu gestaltet sollten sie an den 20. Jahrestag des Mauerfalls erinnern.
    Museumsdirektor Justin Jampol: "Dieser Ort hat eine völlig neue Bedeutung bekommen. Wir hatten Konzerte hier, Picknicks und Demonstrationen. Wir haben ein Piano davor aufgestellt, auf dem Leute spielen konnten. Es ist zu einem Treffpunkt für alle geworden."
    Projekt soll jenen Mut machen, die noch kämpfen
    Die kanadischen Künstler wissen, dass sie nur einen Bruchteil der Mauergeschichten dokumentieren können. Angela Thompson, die ihre Mauerstücke wieder eingepackt hat, hofft dass das Projekt denen Mut macht, die noch um ihre Freiheit kämpfen: "Dass dann doch die Menschen daran erinnert werden, dass diese Mauerstücke jetzt überall auf der Welt sind, was ja bedeutet, dass egal wie stark und hoch und fest eine Mauer ist und wie sehr eine Mauer bewacht wird, dass sie eines Tages fällt."