Im ersten Stock eines alten Lagergebäudes im Zentrum von Neumünster sitzen an diesem Montagabend sechs Frauen und Männer an einem langen Tisch. Das wöchentliche Planungstreffen des Freien Radios findet in einer provisorischen Umgebung statt: voller kahler Whiteboards, Kartons und Büromöbel. Neumünster liegt in der Mitte von Schleswig-Holstein.
Doch die 80.000-Einwohnerstadt hat nicht das beste Image. Das weiß auch Annika Reepening. "Also: Jedem, dem ich erzählt habe, ich wohne in Neumünster: Was, wie kannst du in Neumünster wohnen? So ungefähr." Früher war Neumünster eine brummende Industriestadt. Doch in den letzten Jahren und Jahrzehnten hat die Stadt immer wieder Schlagzeilen gemacht: Wegen der Schließung von Fabriken und Betrieben, des Einwohnerschwunds oder der Aktivitäten von Rockerbanden und Neonazis.
Internet ab Frühjahr, später UKW
Doch die Stadt ist bunt sagt Stefan Tenner. Seit fünf Jahren treibt der freie Journalist das Freie Radio Neumünster voran. Ohne einen sehr langen Atem geht es nicht, sagt Tenner. "Das Problem ist die Finanzierung gewesen. Ende des Monats wird die Stadt entscheiden, ob wir jetzt noch eine Finanzierungsübernahme für die Räume bis im nächsten Jahr bekommen."
Schon heute stellen die selbsternannten Radiopioniere eigene Beiträge und sogar ganze Sendungen auf die Homepage. Eigentlich war für diesen Mittwoch der Start des Livebetriebs angepeilt. Doch das verzögert sich noch etwas, sagt Stefen Tenner: "Also, wir müssen noch ein paar Papiersachen machen und diese ganzen Anmeldungssachen. Und die ersten Sendungen waren jetzt auch geplant. Aber wir werden vielleicht noch um die Woche verschieben oder so. Aber im Frühjahr wollen wir auf jeden Fall ein Streaming anfangen, und dann haben wir ein halbes Jahr ungefähr Zeit, bis diese ganze UKW-Sache losgeht."
Hoffen auf Gelder der Medienanstalt
Das Freie Radio Neumünster ist Schleswig-Holsteins erstes nicht kommerzielles Lokalradio. Ein weiteres freies Radio entsteht derzeit in Flensburg. Ermöglicht werden die beiden Projekte durch eine Änderung des Medienstaatsvertrags zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg, die 2015 in Kraft trat. Die Dauerfinanzierung für die freien Radios sei allerdings immer noch nicht geklärt, so Tenner: "Also, wir haben für dieses Jahr noch die Zuversicht, dass wir das sozusagen schaffen werden. Aber nächstes Jahr ist noch unklar. Also, es gibt einen Fehlbedarf ab 2019."
Die Stadt Neumünster unterstützt das Projekt jeden Monat mit 1.000 Euro. Der Großteil des Budgets kommt bisher von der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein. Die unterstützt das Freie Radio mit Geldern für die Sendungs- und Verbreitungskosten, habe aber nicht den Auftrag, Medienkompetenz zu fördern. "Das ist das einzige Bundesland oder die einzige Medienanstalt, die das nicht mehr machen muss. Und da fehlen eben Gelder in dem Bereich. Und die nicht kommerziellen werden eben nicht so gut gefördert wie in anderen Bundesländern, die das großzügiger tun."
Die Finanzierungslücke belaufe sich derzeit auf 70.000 bis 80.000 Euro pro Jahr. Hoffnung setzt der freie Journalist Stefan Tenner vor allem auf das Land. Gespräche dazu liefen mit der CDU, die in Kiel den Ministerpräsiden stellt. Bundesweit ist die Partei bisher nicht gerade als glühende Befürworterin der freien Radios in Erscheinung getreten. Doch die Signale aus Kiel seien positiv, so Tenner. Ihm schwebt eine auf vier Säulen verteilte Finanzierung für den Sender vor: Medienanstalt, Stadt, Land und Mitgliedsbeiträge.
Und Träumen von der nächsten Frequenz
26 Mitglieder zählt das Freie Radio in Neumünster derzeit. Die um den Tisch versammelte Truppe ist an diesem Abend bunt gemischt: eine Grafikdesignerin, ein Übersetzer, eine Försterin, ein Computer-Journalist und ein Kaufmann für Naturprodukte sitzen am Tisch. Sönke Jahn beschreibt den Spirit so: "Wir sind hartnäckige, wühlende, Freigeister mit großem Mitteilungsdrang, würde ich sagen. Und dickschädelig würde ich sagen."
Doch junge Leute zu finden, sei nicht einfach, so der Tenor am langen Tisch. Denn Neumünster sei nun mal keine Studentenstadt. Und kein einfaches Terrain für ein freies Radio, meint Christiane Hertie. "Und hier ist es ja schon was Besonderes, wenn dann hier ein Konzert stattfindet, dann gehen ja alle hin. Weil es gibt ja nur das eine Konzert. Und von daher wird's dann auch schwierig, da irgendein Publikum zu finden, das sich interessiert für so Radiosachen vielleicht dann."
Doch die potenzielle Hörerschaft könnte sich vergrößern, sagt Stefan Tenner. Es bestehe die Chance, eine weitere UKW-Frequenz aus Schleswig zu übernehmen. "Also, wir haben 80.000 Einwohner. Und wir würden auch noch zusätzlich ca. 200.000 noch mal mehr erreichen. Also, das wäre schon mehr als ein Lokalradio in dem Sinne."