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Freihandelsabkommen TTIP
Die Angst vor dem Verkauf der Bildung

Durch das geplante transatlantische Freihandelsabkommen sehen Gewerkschaften das deutsche Bildungssystem in Gefahr. Sie befürchten, TTIP könnte die hohen Qualitätsstandards senken, wenn US-Unternehmen hierzulande Schulen oder Weiterbildungseinrichtungen gründen würden. Häufig wird übersehen: Der deutsche Bildungsmarkt ist bereits in weiten Teilen liberalisiert.

Von Benedikt Schulz |
    Kinder lernen in einem Klassenraum
    Die staatliche Förderung von Bildungseinrichtungen wäre nach der Logik des Freihandels eine unzulässige, marktverzerrende Subvention. (Carsten Rehder/dpa)
    Der deutsche Reggae-Musiker Mellow Mark singt gegen "Tih - Tih - Ei - Pieh" am Brandenburger Tor in Berlin beim bundesweiten Tag gegen TTIP im Mai - organisiert vom Deutschen Kulturrat. Seit Jahren engagiert sich dieser Dachverband der Kulturverbände gegen das umstrittene Transatlantic Trade and Investment Partnership - nicht nur weil TTIP die Kultur in Deutschland gefährde, auch die deutsche Bildungslandschaft sei in Gefahr, meint Kulturratspräsident Christian Höppner:
    "Die Bildung, Wissenschaft und Kulturlandschaft in Europa, auch und gerade in Deutschland, unterscheidet sich dermaßen von der US-amerikanischen, dass hier eine Standardangleichung fatal wäre. Und wir befürchten massiv, dass Bildung, Wissenschaft bei uns Schaden nehmen in ihrer Ausdifferenzierung, wenn der Markt bestimmt, was hier passiert."
    Auch andere Akteure in der deutschen Bildungslandschaft, etwa die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Lehrerverband VBE, warnen inzwischen deutlich vor den Folgen, die TTIP für Bildung in Deutschland haben könnte. Sie befürchten, das transatlantische Freihandelsabkommen werde die hohen Qualitätsstandards im Bildungsbereich senken, wenn US-Unternehmen in Deutschland Kitas, Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen gründen oder kaufen könnten. Deutsche Bildungseinrichtungen stünden dann im internationalen Wettbewerb.
    Hinzu kommt: Die staatliche Förderung von Bildungseinrichtungen wäre nach der Logik des Freihandels eine unzulässige, marktverzerrende Subvention. Und damit würde der deutsche Staat seine politische Gestaltungsfreiheit ohne Not opfern – wo die 16 Bundesländer ihre Bildungshoheit ansonsten doch mit Zähnen und Klauen verteidigen.
    "Es muss transparenter verhandelt werden"
    Hans-Jürgen Blinn ist Beauftragter des Bundesrates im handelspolitischen Ausschuss für Bildungs- und Kulturdienstleistungen des Europäischen Rates. Damit ist der Jurist eine Art Botschafter der deutschen Kultusminister in Brüssel für alles, was mit TTIP und Bildung zu tun hat. Auch wenn Blinn damit also einen staatsoffiziellen Auftrag hat – was den Einfluss von TTIP auf Bildung angeht, kann er bislang nur begründete Vermutungen anstellen:
    "Es muss transparenter verhandelt werden, wir brauchen Texte, an denen wir arbeiten können, Pressemitteilungen der Kommission reichen als juristische Grundlage der Behandlung und auch einer Klärung darüber, was geschehen könnte, nicht."
    Doch bis jetzt ist in Sachen Transparenz nicht viel passiert. Seitdem überhaupt bekannt ist, dass mit TTIP das größte und umfassendste Freihandelsabkommen aller Zeiten zwischen den USA und der EU verhandelt wird - eines, das diese beiden Welthandelsriesen gegenüber China stärken soll –, seit gut zwei Jahren also verweigern die Handelspartner Einblick in Unterlagen und Absichten.
    Immerhin hat die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström inzwischen angekündigt, Berichte über die Verhandlungen zu veröffentlichen.
    EU-Kommissarin Cecilia Malmström m.
    EU-Kommissarin Cecilia Malmström (dpa/picture alliance/Julien Warnand)
    Aber selbst dann wird es schwierig bleiben, die Folgen des Freihandelsabkommens für die deutsche Bildungslandschaft einzuschätzen. Aber sind Befürchtungen berechtigt? Könnte die Qualität der deutschen Bildung tatsächlich leiden? Was bedeutet TTIP für die Bildung?
    TTIP-Kritiker fordern immer wieder, dass die Daseinsvorsorge, etwa die kommunale Wasserversorgung, nicht Gegenstand des Freihandelsabkommens werden dürfe. Aber ist Bildung öffentliche Daseinsvorsorge? Da gibt es durchaus kulturell unterschiedliche Antworten: Dort die USA, wo Bildung ganz selbstverständlich eine Dienstleistung und damit auch ein wirtschaftliches Gut ist. Und hier Deutschland, wo Bildung traditionell als öffentliches Gut gilt, als eine Aufgabe, die genuin dem Staat zukommt – frei von Marktlogik und dem Zwang zur Rentabilität. Christian Höppner vom Deutschen Kulturrat:
    "Es geht hier nicht um eine Qualitätsfrage, was besser ist oder schlechter, sondern es geht um zwei vollkommen unterschiedliche Welten, die historisch gewachsen sind, die ich inhaltlich überhaupt nicht bewerten möchte, die einfach so unterschiedlich sind, dass sie auch nicht in einem Handelsabkommen, hier zu einer Standardangleichung kommen muss. Das ist der Kernpunkt, den Politik im Moment noch nicht verstehen will, und das ist unsere Befürchtung, weil letztlich das Thema Bildung aufgrund des großen ökonomischen Interesses seitens der USA, die das auch als Verhandlungsmasse sehen, unter Umständen dann auch in der letzten Verhandlungsrunde mit in den Topf geworfen werden kann."
    Was jedoch oft übersehen wird: Auch in Deutschland wird mit Bildung inzwischen Geld verdient. Zahllose Anbieter aus In- und Ausland tummeln sich auf dem deutschen Markt – weitgehend unbeachtet von der deutschen Öffentlichkeit. Und ebenso oft wird übersehen: Der deutsche Bildungsmarkt ist bereits in weiten Teilen liberalisiert.
    "Das internationale Phänomen, das wir jetzt mit TTIP diskutieren, ist etwas, was natürlich in den nationalen Räumen längst passiert ist. Das heißt, dass private Anbieter auch die Nischen suchen und dort eben Bildung anbieten. Und wenn wir jetzt über TTIP sprechen, dann ist natürlich eine Entwicklung seit GATS, aber auch anderen Zeiten, in denen sich eben auch diese Märkte sehr viel stärker internationalisieren", so der Vizepräsident der privaten Karlshochschule in Karlsruhe, Peter Weber.
    GATS, das General Agreement on Trade in Services, das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, existiert seit Mitte der 90er-Jahre. Dieser Handelsvertrag der Welthandelsorganisation hat Handels- und Zugangsbeschränkungen reduziert oder abgeschafft. Das GATS-Grundprinzip lautet "Inländerbehandlung", das heißt: ausländische Anbieter werden den inländischen gleichgestellt. Subventionen müssen alle bekommen – oder niemand.
    Der deutsche Bildungssektor ist für das Ausland interessant
    Auch um GATS wurde vor 20 Jahren gerungen: Welche Dienstleistungen sollten erfasst werden, welche nicht? Im Ergebnis wurde nur der engste staatliche Leistungsbereich verschont, in dem es keinerlei Wettbewerb gibt, Justiz zum Beispiel. Der Bildungsmarkt dagegen wurde geöffnet. Peter Weber:
    "Man kann gut behaupten, dass gerade der Hochschulbereich, aber auch der Bereich im quartären ... , also das heißt Weiterbildung im weitesten Sinne, schon gut privatisiert ist in Deutschland. Nehmen Sie die Cognos AG, zu der die Fresenius-Hochschule gehört, auch diese Cognos AG ist schon eben nicht nur in Deutschland vertreten, oder nehmen Sie Aurelius, das ist ein Investor, der unter anderem Bildungseinrichtungen kauft. Beispielsweise ein sehr großer Anbieter aus den USA ist die Laureate Group, die unter anderem in Berlin Hochschulen betreibt."
    Der deutsche Bildungssektor ist für das Ausland interessant. Laut Branchenreport "Erziehung und Unterricht" wird der Umsatz der Branche im laufenden Jahr 2015 deutlich über zehn Milliarden Euro betragen, Tendenz steigend. Private Anbieter gibt es vor allem im Bereich der Erwachsenenbildung, dort stellen sie sogar die Mehrheit, noch vor den Volkshochschulen. Und Weiterbildung ist in Zeiten eines demografisch bedingten Fachkräftemangels ein Wachstumsgeschäft. Hier hat sich die Liberalisierung des Marktes am stärksten ausgewirkt – und in diesem Bereich sind auch die stärksten Änderungen zu erwarten, wenn der Markt durch TTIP weiter liberalisiert wird.
    Erwachsenen-Bildungskurs in Rostock
    Erwachsenen-Bildungskurs in Rostock (picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck)
    Denkbar wäre: Deutsche Weiterbildungsanbieter wären gezwungen, die Löhne zu senken, um gegen die Konkurrenz aus den USA zu bestehen, oder US-Investoren kaufen in großem Stil Weiterbildungsanbieter und setzen niedrigere Gehälter durch. Aber auch auf einem anderen Gebiet könnten deutsche Weiterbildungsanbieter unter Druck geraten: durch digitale E-Learning-Angebote, auch wenn dieser Markt in Deutschland derzeit noch überschaubar ist.
    Christian Höppner vom Kulturrat nennt das Beispiel des Musikunterrichts. Mit noch mehr Markt, so Höppner, würden Bereiche, die weniger Gewinne abwerfen, aussterben – etwa das Ensemblespiel, also Gruppenspiel. Eine Monokultur in der musischen Bildung wäre die Folge.
    Die klassische Bildung von Kita über Grund- und weiterführende Schule bis Uni und Berufsausbildung dagegen ist bislang noch weitgehend vor dem Markt geschützt, aus zwei Gründen: Erstens hat Deutschland hier einen Subventionsvorbehalt, das heißt, der Staat darf subventionieren, sprich bezahlen, ohne dass dies als wettbewerbsverzerrend gilt. Zweitens: Wer hier lehren will, muss sich der staatlichen Anerkennungsmaschinerie aussetzen. Wer etwa einen deutschen Hochschulabschluss anbieten will, muss vom Wissenschaftsrat zugelassen sein. Diese Zertifizierung wird bestehen bleiben, auch mit TTIP. Auch der Subventionsvorbehalt soll bleiben. Dem Bundesratsbeauftragten Hans-Jürgen Blinn fällt es allerdings schwer, daran zu glauben:
    "Wenn ich mir das jetzt anschaue, was politisch gesagt wird, welchen Status wir erhalten wollen, dann wird mir immer wieder bestätigt, auch von der Bundesregierung, wir erhalten den Status Quo von GATS. Und wenn ich mir die Texte von CETA anschaue und das ganze Abkommen - und das muss man ja - dann bekomme ich große Zweifel, dass dieser Status zu erhalten ist aufgrund der juristischen Problematik, es zu formulieren. Aus diesem Grund heraus habe ich Bedenken."
    Beim GATS-Abkommen von 1995 mussten die liberalisierten Bereiche konkret benannt werden. Beim CETA-Abkommen Europas mit Kanada, das als eine Art Blaupause, also Vorbild für TTIP gilt, ist das umgekehrt: Nur was ausdrücklich nicht erfasst werden soll, wird genannt. Das ist ein Unterschied ums Ganze.
    Dieses Prinzip einer "Negativliste" gilt auch für ein weiteres Abkommen, über das noch weniger bekannt ist, als über TTIP: TiSA, das Trade in Services Agreement. Die Auswirkungen von TiSA auf den Bildungsbereich sind derzeit noch überhaupt nicht abzusehen.
    Für Blinn ist das Prinzip der Negativliste, das die aktuell verhandelten Handelsabkommen prägen wird, die vielleicht folgenschwerste Änderung gegenüber GATS – Blinn geht davon aus, dass es bei TTIP nicht anders sein wird.
    "Dazu muss man natürlich auch wissen, dass das innerhalb Europas zu thematisieren ist, und auch da sind wir bestimmt nicht unbedingt in der Mehrheit, und dann ist es nochmal die Frage, ob die Amerikaner sich bei den Verhandlungen drauf einlassen."
    Und das ist ein entscheidender Punkt – zu welchen Zugeständnissen sind die Amerikaner bereit? Denn Ausnahmen gibt's ja bereits: Die USA haben die innere Sicherheit aus den Verhandlungen herausgenommen, Kanada hat sich im CETA-Abkommen seine Kultur- und Kreativindustrie schützen lassen. Warum eigentlich ist Bildung noch in den TTIP-Verhandlungen?
    "Weil die EU-Mitgliedsstaaten der Kommission ein Mandat ohne rote Linien gegeben haben, mit der Ausnahme, dem Bereich audiovisueller Medien, und das nur deswegen, weil sich Frankreich vehement dafür eingesetzt hat."
    Bestätigt hat die Kommission allerdings schon, dass die USA mehrfach Forderungen nach einer Liberalisierung des Bildungssektors erhoben haben. Im EU-Parlament gab es von Anfang an Kritik am Freihandelsabkommen. Im Juli erst hat das Parlament eine Resolution verabschiedet. Es fordert von der EU-Kommission " ... klarzustellen, dass die Befugnis der EU oder der EU-Mitgliedstaaten, die Kulturwirtschaft und Dienstleistungen im Bereich Kultur, Bildung, audiovisuelle Medien und Pressedienste mit Beihilfen und finanziell zu unterstützen, durch keine Bestimmung des Abkommens beeinträchtigt werden darf."
    Das heißt: Für Bildung soll ein genereller Subventionsvorbehalt gelten – ohne Wenn und Aber. Alles schön und gut – nur ist die Resolution für die Kommission nicht bindend. Dennoch ist die Haltung des Parlaments wichtig, meint die grüne Europaabgeordnete Helga Trüpel:
    "Die Kommission weiß ja, dass letztendlich das Parlament zustimmen muss. Wir müssen Ja oder Nein sagen. Und wenn sie gar keine Rücksicht nehmen auf das Begehren des Parlaments, dann riskieren sie ja, dass sie kein positives Votum kriegen."
    Christian Höppner vom deutschen Kulturrat allerdings glaubt nicht, dass es mit den USA ein TTIP ohne Bildung geben wird. "Das ist ein großer Markt, dass darf man nicht vergessen, die USA haben ein vehementes Interesse an den bildungskulturellen Dienstleistungen."
    Und Hans-Jürgen Blinn befürchtet, dass sich die EU am Ende fügen wird.
    "Wir müssen doch sehen, dass wir hier in einen Topf mit ganz vielen anderen Dienstleistungsbereichen, die ja zum Beispiel in zwölf Hauptgruppen unterteilt sind, mit einbezogen sind. Und dann kommt am Schluss die Nacht der langen Messer, und dann wird man sehen, wo gibt die andere Seite zu, im Automobilbereich, im Finanzdienstleistungsbereich. Und dann kann es passieren, und vielleicht sogar sehr wahrscheinlich, dass man dann im Bereich Kultur und Bildung am Ende doch mehr zugeben muss, als es jetzt das Mandat vorsieht. Und dann wird dieses Paket auch dem Bundestag und Bundesrat vorgelegt. Und dann ist eben die Frage, wenn Kultur und Bildung in diesem Sinne nicht mehr so den Status Quo erhält, wie bisher, ob man dann nicht aus Gründen des Gesamtpaketes dem zustimmen muss, von daher ist die Gefahr konkret da."
    Von der Liberalisierung profitieren, das wird oft unterschlagen, aber auch deutsche Bildungsanbieter. Der Bertelsmann-Konzern etwa investiert derzeit massiv in den US-Bildungsmarkt und will das Geschäft mit der Bildung langfristig als dritte Säule neben Medien und Dienstleistungen aufbauen – vor allem durch den Ausbau von E-Learning-Angeboten. Und bis jetzt ist es trotz GATS nicht dazu gekommen, dass ausländische Konzerne hier Schulen en Masse gegründet und die deutschen Anbieter verdrängt hätten. Peter Weber von der privaten Karlshochschule:
    "Man darf eins nicht dabei vergessen: Bildung ist ja eine besondere Dienstleistung, und wir müssen diese besondere Dienstleistung auch immer unter diesem Aspekt sehen. Das bedeutet, es ist nicht so einfach wie ein Produkt auf einem anderen Markt zu kaufen. Und das merkt man ja auch an der Strategie der amerikanischen Unternehmen. Laureate hat im Prinzip schon bestehende deutsche Anbieter aufgekauft oder hat sich eingekauft, es ist eine Strategie, in einen Markt einzutreten, aber schon über bestehende Einrichtungen."
    Die Angst vor den privaten Schiedsgerichten
    Einer der größten Kritikpunkte am geplanten Freihandelsabkommen ist die Einrichtung von privaten Schiedsgerichten, sie heißen Investor-State-Dispute-Settlement-Gerichte, kurz ISDS. Vor diesen Schiedsgerichten könnten Unternehmen klagen, wenn sie sich benachteiligt oder diskriminiert fühlen. Da diese Einrichtungen keiner staatlichen Justiz unterworfen wären, sprechen TTIP-Kritiker von Paralleljustiz. Sie befürchten vor allem, dass auf diesem Wege nationale Gesetze etwa zum Umwelt- oder Arbeitsschutz ausgehebelt würden. Auch etwa bei der SPD werden solche Gerichte nicht gewollt, doch Daniel Caspary, der für die CDU im EU-Parlament sitzt, sagt:
    "Da gibt es Verbesserungsbedarf, ja. Aber nur, weil es Verbesserungsbedarf gibt oder es in Einzelfällen auf fragwürdige Urteile gibt, sollte man doch nicht das ganze Instrument abschaffen, sondern es gehört reformiert. Wir wollen sicherstellen, dass es hier nur wirklich um die Fälle geht, bei denen Ausländer gegenüber Inländern benachteiligt werden. Wir wollen sicherstellen, dass im Bereich Umwelt, Soziales und sonstigen Politikbereichen wir Gesetzgebung machen dürfen, solange wir nicht diskriminieren."
    Wenn man den Befürchtungen der Kritiker wie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft glauben kann, wären solche Schiedsgerichte auch der Weg, auf dem private Bildungsanbieter die staatliche Qualitätssicherung untergraben könnten. Ein Beispiel: Ein US-Konzern für Bildungsdienstleistungen betreibt in Deutschland eine private Fachoberschule, auf der Schülerinnen und Schüler das Fachabitur ablegen können. Und nun will die staatliche Aufsicht wegen Qualitätsmängeln die Schule schließen. Gegen diese Form der staatlichen Regulierung könnte das US-Unternehmen – theoretisch – klagen. Juristen wie der Völkerrechtler Markus Krajewski halten ein solches Szenario zumindest für denkbar. Und auch Hans Jürgen Blinn will es nicht ausschließen:
    "Aus einem ganz einfachen Grund. In dem CETA-Abkommen-Text, den man sich eben anschauen kann, ist die Bildung von dem Investitionskapitel nicht ausgenommen. Und in dem Moment sind solche Klagen möglich. Ob sie kommen oder nicht, das kann niemand beurteilen, auf welche Bereiche sie sich spezialisieren könnten, zum Beispiel vielleicht wegen der Akkreditierung eines Studiengangs einer ausländischen Universität, die im eigenen Land schon längst akkreditiert ist, und hier nochmal, dieses langwierige und kostspielige Verfahren durchlaufen müsste."
    Auch bei Christian Höppner vom Deutschen Kulturrat sinkt das Vertrauen, dass die deutsche Bildungspolitik mit TTIP die Hoheit über die Schulen und Hochschulen behält:
    "Wir dürfen den Blick dafür nicht verlieren, private Investitionen haben auch private Interessen und deshalb hätte ich große Bedenken, wenn TTIP kommt, wie es bisher im Raume steht, dann steht auch die Unabhängigkeit von Wissenschaft und Forschung und der Lehre natürlich infrage, weil - Stichwort Stiftungsprofessuren oder Einwerbung von Drittmitteln - je größer dieser Anteil wird, desto höher sind natürlich auch die Interessen der Kapitalgeber dahinter."
    Überall in Deutschland kämpfen die TTIP-Gegner gegen das ungeliebte Handelsabkommen. Im Oktober startet die nächste Verhandlungsrunde. Für den 10. Oktober hat ein breites Bündnis aus Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Verbänden zu einer Großdemonstration in Berlin aufgerufen. Unter dem Motto "TTIP und CETA stoppen" haben die Organisatoren einen Aufruf im Netz veröffentlicht, in dem es gar nicht darum geht, die Handelsabkommen zu stoppen, sondern sie gerecht zu gestalten. Sie fordern Handelsabkommen, die "öffentliche Bildungsangebote fördern, statt sie als Handelshemmnis zu betrachten".
    Die TTIP-Gegner werden noch einen langen Atem brauchen. Mit einem Ende der Verhandlungen ist frühestens 2017 zu rechnen.