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Fremdenfeindlichkeit
Warum Sachsen so anfällig ist

Die fremdenfeindlichen Parolen der Pegida-Bewegung schallen weit über die Landesgrenzen von Sachsen hinaus. Wenige Wochen nach den Übergriffen auf Flüchtlinge in Clausnitz und Bautzen droht dem Freistaat eine nachhaltige Stigmatisierung. Der Politologe Hans Vorländer spricht von einem schädlichen "sächsischen Chauvinismus". Was sind die Ursachen für die aktuelle Lage und die Fremdenfeindlichkeit in Sachsen?

Von Alexandra Gerlach |
    Ein Feuerwehrfahrzeug steht am 21.02.2016 in Bautzen (Sachsen) vor einem brennenden Haus. In einer geplanten Flüchtlingsunterkunft war in der Nacht zu Sonntag ein Feuer ausgebrochen. Foto: Rico Löb/dpa
    Die Feuerwehr beim Löschen am Brandherd einer geplanten Flüchtlingsunterkunft in Bautzen. (picture alliance / dpa / Rico Löb)
    Dresden feiert in diesen Tagen seinen Kreuzchor. Der 800. Geburtstag des weltberühmten Knabenchors soll endlich wieder schöne Bilder und gute Nachrichten aus Sachsen in die Welt senden. Doch überraschend gerät sogar der Festakt zum Politikum. Geburtstags-Laudator, Bundestagspräsident Norbert Lammert, kommt in seiner Rede an der Aktualität nicht vorbei: "Es gibt in Sachsen zur Zeit nicht nur Grund zum Feiern. Und beim Stichwort Dresden fällt den meisten vermutlich nicht als erstes der Kreuzchor oder die Semperoper ein."
    Eine Festrede sei im Allgemeinen leichter anzukündigen, als zu halten, und manchmal falle sie nicht ganz so fröhlich aus, wie es der Anlass verdient hätte, fügt Lammert fast entschuldigend hinzu. Dann nimmt er die jüngsten fremdenfeindlichen und rassistischen Ereignisse in Sachsen in den Blick und wird ganz ernst: "Wenn die Mehrheit zu leise ist, wird die Minderheit zu laut. Wenn die Mehrheit schweigt, dröhnt die Minderheit."
    Pegida-Parolen schallen weit über die Landesgrenzen hinaus
    Ein Phänomen, das viele Beobachter beschäftigt. Es geht um die Frage, warum die islam- und fremdenfeindliche Pegida-Bewegung sich so beständig in der sächsischen Landeshauptstadt etablieren konnte und warum sich die andersdenkende Dresdner Bürgerschaft so schwertut, sich öffentlich dagegen zu positionieren. So sind die montäglichen Gegenkundgebungen genervter Dresdner Anwohner zahlenmäßig weit kleiner als die der Pegida.

    Nach wie vor folgen montags immer noch 3.000 bis 5000 Menschen dem Ruf der selbst ernannten Bürgerbewegung zur "Rettung des Abendlandes" durch die dann fast menschenleere Innenstadt zu ziehen. Der Hype von über 20.000 Teilnehmern liegt zwar weit zurück, dennoch hat sich Bewegung auch nach einer Spaltung ihrer Anhängerschaft nicht aufgelöst - sondern verstetigt. Ihre fremdenfeindlichen und oftmals beleidigenden Parolen, die mit Vorliebe auf die demokratischen Institutionen und Volksvertreter abzielen, schallen weit über die Landesgrenzen hinaus, zum Schaden Sachsens, wie zwei Leipziger Abiturienten meinen.
    Teilnehmer einer Kundgebung der fremden- und islamfeindlichen "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) in Dresden
    Teilnehmer einer Kundgebung der fremden- und islamfeindlichen "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) in Dresden (dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt)
    "Es ist schon traurig, sag ich mal, zu sehen, dass durch wenige Personen unser Bundesland in so ein schlechtes Rampenlicht geführt wurde, weil ich der Überzeugung bin, dass wir trotz alledem ein sehr offenes und buntes Bundesland sind."
    "Ich denke, dass bei uns in Sachsen es ein großes Problem damit gibt, dass wenn wie diese Mehrheit dieser 'Anständigen' haben, dass die nicht offen genug oder nicht entschieden genug gegen Rechtsextreme dann auch vorgehen. Aber ich denke, dennoch, dass wir eine große Mehrheit haben für Offenheit und Toleranz und Gleichberechtigung aber, dass diese Mehrheit noch deutlich mehr tun muss und auch entschiedener!"
    Sorgen um das Renommee des Landes
    Friedemann Schmidt und Tim Wildermuth machen sich Sorgen um das Renommee Sachsens, den einstigen Klassenprimus unter den fünf ostdeutschen Bundesländern. Wenige Wochen nach den gewaltsamen Übergriffen auf Flüchtlinge in Clausnitz und Bautzen droht dem stolzen Freistaat eine nachhaltige Stigmatisierung. Die Rede ist von einem schädlichen "sächsischen Chauvinismus", der sich gegen alles Fremde richtet. Der Dresdner Politologe Prof. Hans Vorländer hat diesen Begriff geprägt und sich damit nicht nur Freunde gemacht. Im Internet und per E-Mail erhält er seit geraumer Zeit unfreundliche Nachrichten:
    "Bis hin zu der Tatsache, dass man mir auch mal den Galgen angedroht hat oder, dass ich meine gesamte Mischpoke wieder mitnehmen solle und das Land verlassen möge, ich sei ja nie hier heimisch geworden, und das sei auch nicht weiter zu erwarten und deshalb sei es auch gut, wenn wir alle - und damit ist wohl der Zuzug aus dem Westen gemeint, also die nicht in Sachsen Geborenen - sie mögen doch bitte wieder gehen."
    "Die Politik hat zu lange laviert"
    Doch Vorländer bleibt. Und forscht weiter nach den Ursachen für die erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen, die in diesen Wochen und Monaten so gewaltig zutage treten. Gerade hat er seine neue Studie zum Phänomen der islamfeindlichen Pegida-Bewegung veröffentlicht. Eine seiner Schlussfolgerungen lautet, dass die Politik zu lange laviert habe: "Und was man eben auch vermisst hat in der Politik, dass man sehr klar, sehr deutlich die Grenzen markiert hat, dass man sozusagen diese kleinen Grenzüberschreitungen einfach ignorieren wollte, weil man nicht sehen wollte, dass eben Sachsen doch ein Problem hat in diesem Bereich und ich glaube, das gehört auch mit dazu."

    Dass sich das gesellschaftliche Klima verschärft hat, merken neben Politikern, Journalisten und Wissenschaftlern auch diejenigen, die sich aktiv, politisch in der Flüchtlingsfrage engagieren.
    "Ein kalter Wind weht durchs Land", betitelt die Sächsische Zeitung an diesem Mittwoch den Meinungsartikel des 24-jährigen Eric Hattke. Hattke ist Student der Philosophie und Geschichte an der TU Dresden. Er ist in der Landeshauptstadt bekannt als Sprecher des Netzwerks "Dresden für Alle" und hat in den letzten Monaten mehrere Projekte mit und für Flüchtlinge organisiert. Hattke schildert eindrücklich, wie sehr sich das Klima in der Stadt verändert hat, durch Pegida. Er schreibt:
    "Die Bemerkung, dass nicht alle Opfer von Kriegen sind oder nicht alle, die in unser Land kommen, automatisch unsere Gesetze achten, scheint unnötig. Dennoch ist die mittlerweile unumgänglich geworden, will man in der jetzigen aufgeheizten Debatte nicht automatisch den Stempel des blauäugigen Naivlings tragen oder gar des 'Volksverräters' oder 'Volksschädlings'. Denn diese Stempel verpasst zu bekommen, bedeutet Gefahr, Gefahr für das eigene Leben, für die Familie und Freunde."
    Man sieht eine große Halle mit Kartons voller Kleidung, an Tischen stehen Menschen und sortieren die Spenden.
    Auch das ist Sachsen: Ehrenamtliche Helfer sortieren Kleidung für Flüchtlinge - hier in Leipzig. (picture-alliance / dpa / Jan Woitas)
    "Ein Schritt hin zu Zuständen wie 1933"
    Wie aggressiv und aufgeheizt die Stimmung ist, spiegelt sich in diversen Zeitungsberichten über aktuelle Entwicklungen in sächsischen Kleinstädten wie Dippoldiswalde etwa, wo ein Bauunternehmer, der seine Wohncontainer zur Nutzung als Flüchtlingsunterkünfte verkaufen wollte, sein Hab und Gut bei Nacht in Flammen aufgehen sah. Seine Frau, die einen Friseurladen betreibt und dort einen Syrer einstellte, fand plötzlich Aufkleber an ihrem Schaufenster mit der Aufschrift "Asylwahn stoppen". Die Sächsische Zeitung zitiert die junge Frau mit den Worten: "Der Schritt hin zu Zuständen wie 1933 ist bei uns nicht mehr weit." Zitatende.
    Diesem Eindruck wird seitens Politik und Wissenschaft noch heftig widersprochen. Stattdessen ist die Rede von einer erneuten Zeit der Verunsicherung nach der vereinigungsbedingten Transformation der ostdeutschen Gesellschaft. Nochmals der Politologe Hans Vorländer aus Dresden:
    "Und das bricht jetzt wieder auf, weil jetzt wieder die Umwelt sich verändert und neue, unbekannte Gesichter dorthin kommen, Menschen, die man nicht kennt, die auch religiös sind, die auch andere kulturelle Hintergründe mit sich bringen, und das ist sozusagen ein Klima der Verunsicherung und der Instabilisierung auch der eigenen sozialen und auch politischen Psyche. Und das ist so eine Brutstätte dann eben doch für gelegentliche Grenzüberschreitungen."
    Pediga möchte AfD kontrollieren
    Das ist das Milieu, in dem sowohl die AfD als auch Pegida fischen. Neuerdings im Siegestaumel, euphorisiert vom Einzug der ideologisch nahe stehenden AfD in gleich drei Landtage, sehen sich die Redner der Pegida- Kundgebung am vergangenen Montag voll bestätigt und legen die Latte gleich ein Stückchen höher. Pegida, als Kraft rechts von der AfD werde kontrollieren, ob und wie die siegreiche Protestpartei das Vertrauen der Wähler künftig erfülle, kündigt Pegida-Sprecher Lutz Bachmann fast drohend an, und führt aus:
    "Die AfD ist nun in drei Landesparlamenten in der Pflicht, und damit sie diese Pflicht wahrnimmt, ist Pegida wichtiger und nötiger denn je. Schon oft hat man nämlich in der Geschichte gesehen, wie sich einstige Kämpfer fürs Volk nach Antritt ihrer Pöstchen ganz schnell in Systemlinge verwandelt haben. Und zum Schutz ihrer Saläre und Posten anfingen, mit dem Strom zu schwimmen."
    Unter den Anhängern ist die Freude über den Einzug der AfD in die drei Landesparlamente von Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg groß, inhaltlich ist man sich ohnehin sehr nah: "Sie können jeden Pegida-Mann hier fragen, die sind alle für die AfD. In ihrer Politik. Wir haben dieselbe Meinung wie die AfD. Also das steht erst mal klar. Ob die AfD mit Pegida zusammen arbeiten will, ist eine andere Frage. Aber wir haben dieselbe Meinung! Ich bin kein Nazi!"
    Aggressivität als Zeichen der Ohnmacht?
    Politische Beobachter sagen, dass die aufgestaute Aggressivität, die in den Kundgebungen und in den Übergriffen gegen Ausländer zutage trete, auch Folge einer gewissen Ohnmacht sei, die die Bürger verspürten. Ein Aspekt, den die ehemalige Grünen-Politikerin Antje Hermenau durchaus nachvollziehen kann:
    "Die meisten haben eine grundlegende Kritik daran, wie der Westen unseren Alltag managt, unsere Rahmenbedingungen. Das betrifft nicht nur die Zuwanderung, aber da fällt es am meisten auf! Es wirkt absolut planlos und chaotisch, unbedacht. Und dann ist es die Frage mit der Eurokrise, mit der Währungskrise, die seit Jahren dahin schwelt und keiner hat das Gefühl, dass irgendetwas im Positiven aufgelöst ist. Es gibt eine fundamentale Kritik an der Unfähigkeit der Politik, komplexe Probleme zu bearbeiten. Und da offensichtlich innerhalb der etablierten Parteien das nicht gehört wird und nicht weitergetragen wird, sagen die Leute, Ok, dann geh' ich eben zu Pegida."

    Die Frage, wie es weitergehen soll in der Flüchtlingsfrage, spaltet inzwischen Eheleute, Familien, Kirchgemeinden, Freundeskreise und Vereine. Der Spalt geht mitten durch die Gesellschaft, nicht nur, aber augenfällig in Sachsen. Die skeptische bis feindselige Haltung gegenüber den ankommenden Flüchtlingen ist vielfach spürbar, oftmals verbunden mit einer Unwissenheit über Kultur, Gebräuche und Sitten der Neuankömmlinge. Die Reserviertheit durchzieht vielerorts auch die Amtsstuben der Behörden. Daneben gibt es unglaublich vielfältiges Engagement ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer, die sich um die Flüchtlinge kümmern und bemühen.
    Ein Feuerwehrfahrzeug steht am 21.02.2016 in Bautzen (Sachsen) vor einem brennenden Haus. In einer geplanten Flüchtlingsunterkunft war in der Nacht zu Sonntag ein Feuer ausgebrochen. Foto: Rico Löb/dpa
    Die Feuerwehr beim Löschen am Brandherd einer geplanten Flüchtlingsunterkunft in Bautzen. (picture alliance / dpa / Rico Löb)
    Ungeklärtes Verhältnis zu rechtsextremen Gruppierungen
    Dabei funktioniert vieles reibungslos und leise in der Flüchtlingshilfe in Sachsen. Seien es die zahllosen Deutschkurse, Häkel-oder Bastelstunden in den Sammelunterkünften oder die persönlichen Patenschaften vor Ort in den dezentralen Wohnstätten der Flüchtlinge. Gerade deshalb werfen der Brandanschlag von Bautzen auf ein noch nicht bezogenes Asylbewerberheim und der Angriff auf einen Flüchtlingsbus im erzgebirgischen Clausnitz so ein grelles Licht auf den Freistaat Sachsen. In Bautzen applaudierten Schaulustige und behinderten die Löscharbeiten der Feuerwehr, in Clausnitz belagerte ein skandierender Mob über zwei Stunden lang die verängstigten Menschen in einem Flüchtlingsbus. Die zahlenmäßig unterlegene, völlig überforderte Polizei konnte erst spät die Lage unter Kontrolle bringen.
    Wie kann es sein, dass sich die Fremdenfeindlichkeit so drastisch Bahn bricht, von jetzt auf gleich, wie es scheint? Der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer schaut in seiner Analyse zunächst zurück: "Ein Grund ist, dass Sachsen immer schon ein ungeklärtes Verhältnis zu rechten, rechtsextremen Gruppierungen gehabt hat, lange Zeit ist das ignoriert worden. Das heißt, wir haben einen Untergrund, ein Netzwerk von gewaltbereiten Gruppierungen aus diesem Milieu, NPD-nah, Kameradschaften, Hooligans, die schon immer eine gewisse Gewaltbereitschaft hatten, und das äußert sich jetzt und ist nie wirksam, wirklich bekämpft worden."
    Schon zu DDR-Zeiten gab es Nazi-Tendenzen
    Diese Meinung teilt auch Antje Hermenau. Die gebürtige Leipzigerin und langjährige Grünen-Politikerin schaut noch weiter zurück: "Schon zu DDR-Zeiten gab es in Sachsen und im ganzen Osten auch immer solche Nazi-Tendenzen und der SED-Staat hat immer ganz hart durchgegriffen, aber verschwunden sind die dadurch nicht, die haben sich nur versteckt."
    Nach der friedlichen Revolution und der Neugründung des Freistaates Sachsen habe dann lange die Meinung vorgeherrscht, Sachsen sei "immun" und wehrhaft gegen rechtsextremes Gedankengut, sagt Hermenau und fügt hinzu: "Da gibt es ein berühmtes Zitat von einem ehemaligen Ministerpräsidenten, die Sachsen seien gegen Rechtsradikalismus immun, das trifft nicht zu."
    Tillich: Problem unterschätzt
    Diese Einsicht hat nun auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich öffentlich eingestanden. In seiner jüngsten Regierungserklärung zu den Vorgängen von Bautzen und Clausnitz räumte der sorbische Christdemokrat ein, dieses Problem unterschätzt zu haben - wie viele andere Politiker ebenso. Zugleich machte er deutlich, dass der Staat eine weitere Radikalisierung der Flüchtlingspolitik-Gegner nicht zulassen werde. Der starke Staat sei gefordert, sagte Tillich, denn: "Solche Untaten sind ein Angriff auf unsere Werte, auf unsere Grundordnung und ja auf uns selbst. Es ist ein Angriff auf alles, was Sachsen, was Deutschland und Europa ausmacht. Und jeder solche Angriff ist einer zu viel, und alle Rede, die dazu anstiftet, ebenfalls."

    Die Opposition im sächsischen Landtag wirft dem Regierungschef, der zugleich Landesvorsitzender der seit 1990 regierenden Christdemokraten ist, vor, doppelzüngig zu arbeiten. Auf der einen Seite biete er das Bild des weltoffenen, toleranten und willkommensfreudigen Politikers, auf der anderen Seite lasse er seine Fraktion "Feuer an die Lunte" legen, wie Rico Gebhardt, der Landes- und Fraktionschef der Linken, im Landtag kritisiert: "Es war der CDU-Fraktionsvorsitzende Kupfer, also Sie, Herr Kupfer der in der vorletzten Woche in der 'Freien Presse' den Satz gesagt hat, Zitat: ' Die Bevölkerung braucht ein Zeichen in der Flüchtlingskrise, dass jetzt Schluss ist. Einige Bürger haben das daraufhin in Clausnitz in die Tat umgesetzt und ein Zeichen gesetzt. (Tumult) Ich nenne das politisches Zündeln und andere zünden dann tatsächlich in Bautzen."
    Inzwischen hat die schwarz-rote Landesregierung erste Zeichen gesetzt. In einer Sondersitzung des Kabinetts wurde ein Millionen Euro-Paket geschnürt, welches die Integration von Flüchtlingen fördern und den weiteren Personalabbau bei Polizei und Justiz stoppen soll. SPD-Chef Martin Dulig: "Wir sind an einem Wendepunkt angekommen, wo wir Entscheidungen treffen müssen für mehr Sicherheit und für mehr Bildung und mehr Demokratie in Sachsen. Und das sind genau die Punkte, die wir in unsere Pakete geschnürt haben."
    Tillich steht am Rednerpult des Landtages und spricht.
    Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) äußert sich im Sächsischen Landtags in Dresden zu den fremdenfeindlichen Vorfällen in seinem Land. (Sebastian Kahnert/dpa)
    Personalabbau bei Polizei gestoppt
    Allein 34 Millionen Euro fließen demnächst in die Kommunen für die Finanzierung von Sprachkursen, sozialer Betreuung von Flüchtlingen. Daneben erhält der Sächsische Sportverband Mittel für die Extremismus-Bekämpfung in Sportvereinen. Darüber hinaus wird unter dem Motto "Starker Staat" der geplante Personalabbau bei Polizei und Justiz mit sofortiger Wirkung gestoppt.
    In Summe bedeutet das, dass die Stellen bei der Sächsischen Polizei bis 2020 um rund 1.700 aufgestockt werden. Die Justizbehörden erhalten 370 neue Stellen zusätzlich. Investieren will die Landespolitik nun auch intensiv in den Bereich der Politischen Bildung. Das sei längst überfällig, sagt der frühere Leipziger Thomaskirchenpfarrer Christian Wolff. Und gerät bei diesem Thema richtig in Fahrt: "Das Thema Politische Bildung ist in allen wesentlichen Institutionen vernachlässigt worden, Gewerkschaften, Kirchen, natürlich die Bildungseinrichtungen, Universitäten! Wo wird denn noch eine politische Debatte geführt? Wer mischt sich denn ein in die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung?"
    Der streitbare Kirchenmann im Ruhestand hat jüngst einen Debattier-Jugend-Workshop ins Leben gerufen, damit interessierte Jugendliche sich üben können in der Kunst der politischen Debatte. Fast übereinstimmend schildern die jungen Leute, dass die Diskussion politischer Aktualität in ihren prall gefüllten Lehrplänen keinen Platz finde und die Lehrer zudem Angst hätten, sich politisch zu positionieren.
    Bedeutungsverlust der Institutionen
    Für Pfarrer Wolff ist diese Aussage nur schwer zu ertragen. Die Versäumnisse der letzten mehr als zwei Jahrzehnte hätten – nicht nur in Sachsen - zu einem gravierenden Identitäts- und Werteverlust geführt, beklagt er und: "Es ist so, dass ein nicht unerheblicher Teil in der Bevölkerung - auch unter den Wahlberechtigten - die Grundwerte unserer Verfassung nicht mehr achtet. Und meine persönliche These ist dann auch noch, dass wir jetzt auch ein Ergebnis sehen, des Bedeutungsverlustes der Institutionen, die in ganz hohem Maße für die Wertebildung verantwortlich sind, das sind die Kirchen."

    Ohne die Kirchen und die Kraft der Gemeinschaft im geschützten Raum wäre die friedliche Revolution von 1989 im Osten Deutschlands wohl anders verlaufen, das ist bekannt. Ihre Prägekraft von einst kann sie allerdings heute nicht mehr entfalten. Dennoch wirkt Ihre Botschaft von der Kraft des Wortes und des Argumentes fort, wenn beispielsweise der Bundespräsident – ebenfalls ursprünglich ein Mann der Kirche – nach Bautzen reist, um mit Bürgern ins Gespräch zu kommen. Sein Aufruf zum kritischen Dialog beinhaltet auch eine Betonung der grundlegenden Koordinaten im freiheitlich-demokratischen System.
    Bundespräsident Gauck wird im Rathaus Bautzen von Bürgern in sorbischer Tracht und Bürgermeister Alexander Ahrens empfangen.
    Bundespräsident Gauck wird im Rathaus Bautzen von Bürgern in sorbischer Tracht und Bürgermeister Alexander Ahrens empfangen. (dpa / Arno Burgi)
    Wichtig ist der Dialog
    "In der Diktatur war manches einfacher: 'Wir' waren gegen 'Die da oben'. Und einige von uns haben 'Die da oben' mehr unterstützt, waren auf ihrer Seite, und eine Mehrheit der Bevölkerung war es nicht. Jetzt in der Demokratie ist das 'Wir' etwas anderes, da sind 'Wir' nicht die, die dagegen sein müssen, sondern wir sind die Gestaltenden. Wir sind es, die eine ganz neue Wichtigkeit im gesamten Gefüge des Staates haben."
    Inzwischen ist unübersehbar, dass es viel Zeit und Gespräche brauchen wird, um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Einige der Zuhörer Gaucks in Bautzen haben klare Vorstellungen wie es weitergehen soll und warnen vor einer Stigmatisierung des Landes:
    "Wichtig ist jedoch, dass auch Pegida-Menschen nicht ausgeschlossen werden, sondern dass die auch mitgenommen werden müssen, in irgendeiner Form, soweit es möglich ist."
    "Ja ansonsten einfach Dialog, Dialog, Dialog. Mehr bleibt da, glaube ich, nicht zu sagen."