Archiv

Frontex-Chef Leggeri
"Schutzbedürftige werden nicht von Europa ferngehalten"

Das Ziel der erweiterten Grenzschutzagentur Frontex besteht nach den Worten ihres Direktors Fabrice Leggeri darin, die Freizügigkeit im Schengen-Raum wieder herzustellen. Leggeri sagte im DLF, man wolle keine Festung Europa aufbauen. Die EU brauche aber mehr legale Wege der Einwanderung.

Fabrice Leggeri im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Die französische Marine begleitet ein Flüchtlingsboot im Mittelmeer zwischen Malta und Süditalien.
    Die französische Marine begleitet ein Flüchtlingsboot im Mittelmeer zwischen Malta und Süditalien. (pa/dpa/Handout)
    Leggeri legte dar, dass es EU-Verordnungen mit Regeln gebe, wer nach Europa kommen dürfe - und wie. Er berichtete, dass Frontex zuletzt immer mehr Menschen abgeschoben habe, seit Anfang 2016 seien es rund 7.000 gewesen. Er betonte, die EU brauche mehr legale Wege der Einwanderung. Dazu habe die EU-Kommission bereits Vorschläge gemacht.
    Die Lage auf dem Mittelmeer ist nach Leggeris Schilderung immer noch kritisch. Es gebe viele Opfer, weil die kriminellen Netzwerke auf dieser Route grausam seien. Inzwischen seien auf einem der kleinen Fischerboote im Schnitt mehr als 160 Menschen. Im Jahr zuvor seien es noch 100 gewesen. Es sei eine der Aufgaben von Frontex, Menschen zu retten. Dafür dürfe die Agentur jetzt auch eigene Boote besitzen und wolle bald testen, wie man Boote auf Dauer mieten könne.
    Leggeri nahm auch Stellung zu weiteren neuen Befugnissen von Frontex. So darf die Agentur künftig die Lage in den Mitgliedsstaaten bewerten und Vorschläge machen. Prinzipiell dürfen die Staaten dabei auch überstimmt werden. Die Souveränität werde dabei aber nicht verletzt, betonte Leggeri. Vielmehr liege es von nun an in einer gemeinsamen Verantwortung von Mitgliedsstaaten und Frontex, die Außengrenzen der EU zu schützen.

    Das Interview mit Fabrice Leggeri in voller Länge:
    Am Telefon begrüße ich jetzt den Mann, der an der Spitze der europäischen Behörde für Grenz- und Küstenschutz steht, Frontex-Direktor Fabrice Leggeri. Guten Morgen, Herr Leggeri!
    Fabrice Leggeri: Guten Morgen!
    Zerback: Wird Europa nun endgültig zu einer Festung? Ist das das Ziel Ihrer neuen Mission?
    Leggeri: Nein, das Ziel ist nicht, eine Festung aufzubauen, das Ziel ist, zurück zur Freizügigkeit, zur Schengen-Freizügigkeit zu kommen. Das ist das politische Ziel der Europäischen Union, und die Agentur, also Frontex, die jetzt zur Agentur für Grenz- und Küstenwache geworden ist, ist ein Weg, dieses Ziel zu erreichen.
    Zerback: Aber de facto heißt das doch, dass Flüchtlinge aus der EU ferngehalten werden, und damit wälzt die EU doch die Verantwortung ab auf die Länder außerhalb Europas.
    Leggeri: Schutzbedürftige Menschen werden nicht von Europa ferngehalten. Die Rolle dieser Agentur zusammen mit den Mitgliedsstaaten ist, den Schengen-Kodex umzusetzen. Also das heißt, wir haben EU-Verordnungen, und nach diesen EU-Verordnungen gibt es Regeln. Und nach diesen Regeln ist es ganz klar, wie und wer die Außengrenzen überschritten werden dürfen.
    Mehr als 7.000 Migranten zurückgeführt
    Zerback: Und nach diesen Regeln ist auch klar, dass es künftig mehr Abschiebungen geben wird?
    Leggeri: Es wird und es hat schon mehr Rückführungsoperationen gegeben, zum Beispiel seit dem Anfang dieses Jahres hat Frontex mehr als 7.000 Migranten zurückgeführt. Wir haben seit zwei Jahren die Zahl der Rückflüge aufgestockt, das heißt viermal mehr Rückflüge als im Jahre 2014.
    Zerback: Also für die Rückführungen, da organisieren Sie Charterflüge, aber da fragen sich Kritiker, warum nicht auch für Flüchtlinge, die legal Anspruch haben, nach Europa einzureisen. Da würde man große Gefahren, die auf der Fluchtroute über das Mittelmeer ja lauern, minimieren.
    Leggeri: Ja, das stimmt ja schon, und ich habe immer auch das gesagt, dass die Europäische Union legale Wege für Flüchtlinge, für schutzbedürftige Migranten braucht. Und das hat auch die Europäische Kommission vorgeschlagen. Das war letztes Jahr im Sommer, sogar im Frühling hat es einen politischen Vorschlag der Kommission gegeben. Es werden schon Syrer aus der Türkei auch nach Europa übersiedelt, aber das ist natürlich bis jetzt noch eine geringere Zahl.
    Die Aufgabe: Migranten in Seenot zu retten
    Zerback: Da ist bestimmt noch viel Luft nach oben. Bis jetzt hören wir immer nur von den Todesopfern, die es im Mittelmeer gibt, allein im laufenden Jahr sind das über 3.000. Wie erklären Sie sich denn dieses Versagen?
    Leggeri: Zurzeit ist die Zahl der irregulären Grenzüberschritte zwischen Libyen und Italien sehr hoch, ungefähr 23.000 Grenzübertritte im August und noch 12.000 irreguläre Grenzübertritte von Libyen nach Italien im September. Auf dieser zentralen Mittelmeerroute gibt es viele Opfer, weil die kriminellen Netzwerke grausam sind. Letztes Jahr hatten wir festgestellt, dass es ungefähr 100 Migranten per Boot gab, und dieses Jahr gibt es ungefähr durchschnittlich 166 Migranten per Boot. Also es sind ganz kleine Fischerboote meistens, und deshalb kommen diese Unfälle und Notfälle.
    Zerback: Aber was tun Sie denn dagegen, dass die Schleuserbanden da so aktiv sein können, das gehört ja auch zu Ihrer Aufgabe?
    Leggeri: Vor allem ist unsere Aufgabe, diese Migranten zu retten, wenn sie in Seenot sind, und das haben wir letztes Jahr gemacht. 150.000 Menschen sind durch Frontex gerettet worden.
    Zerback: Sie sagen, das gehört zu Ihrer Aufgabe, aber Teil Ihres Mandats ist das ja nicht.
    Leggeri: Ja, doch.
    Zerback: Wäre das nicht an der Zeit?
    Leggeri: Doch, das war sowieso unsere Aufgabe und auch unsere Pflicht, aber das ist auch jetzt in unserem Mandat.
    Zerback: Aber spezielle Seenot-Rettungsboote zum Beispiel, die gehören ja nicht zur Ihrer Ausrüstung, warum?
    Leggeri: Die Agentur hat bis jetzt keine eigenen Boote, diese Boote werden durch die Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt, aber in der Zukunft wird auch, also von nun an darf die Agentur auch ihre eigenen Boote und Flugzeuge oder Hubschrauber oder technische Ausrüstungen besitzen. Jetzt werden wir in den nächsten Monaten auch testen, wie die Agentur auf Dauer solche Boote mieten könnte.
    Außengrenzen kontrollieren
    Zerback: Sie sagen ja jetzt, Frontex sei nicht dazu da, um abschreckend zu wirken, aber da würden Ihnen in diesem Punkt sicherlich eine wachsende Zahl von EU-Staaten widersprechen. Die würden sagen, genau das ist Ihre Aufgabe. Was antworten Sie denn denen?
    Leggeri: Ich glaube, es ist ganz klar, wenn Sie die Verordnung lesen, wenn Sie auch die Kommission und die Mitgliedsstaaten und den Rat hören, es ist unsere Pflicht, die Mitgliedsstaaten zu unterstützen, es ist die Pflicht aller EU-Schengen-Mitgliedsstaaten, die Außengrenzen zu kontrollieren, aber es ist auch unsere gemeinsame Pflicht, die schutzbedürftigen Migranten aufzunehmen.
    Zerback: Jetzt ist die Kritik an Frontex sehr harsch, in den letzten Jahren auch sicherlich immer weiter gewachsen. Eine Stimme der deutschen Linken, Ulla Jelpke, hat quasi noch mal einen draufgesetzt. Dann wurde Ihnen vorgeworfen, Sie würden Boote von Geflüchteten in der Ägäis abdrängen und zurück in türkische Wässer schleppen. Ziehen Sie sich diesen Schuh an, was ist dran an dieser Kritik?
    Leggeri: Also diese Kritik stimmt nicht. Wenn es Zwischenfälle gibt, gibt es auch interne Ermittlungen, und wie Sie wissen, sind auch die Boote und die Offiziere der Mitgliedsstaaten involviert. Bei den Operationen setzt Frontex die Offiziere der Mitgliedsstaaten ein. Es gibt auch ein nationales Kommando über die Einsätze – zum Beispiel in Griechenland werden diese Einsätze unter griechischem Kommando organisiert. Aber jedes Mal, wenn es Zwischenfälle gibt, gibt es Ermittlungen und ich frage die nationalen Behörden ganz genau, mir zu berichten, was geschehen ist.
    Zerback: Jetzt haben wir gerade auch in unserem Beitrag gehört, dass Ihre Befugnisse ja massiv ausgeweitet wurden jetzt seit Donnerstag, auch in Bezug auf Eingriffe in anderen Mitgliedsländern. Für wie wahrscheinlich halten Sie denn, dass Sie dort eingreifen können, ohne eben die Souveränität oder trotz, obwohl Sie ja damit die Souveränität der Mitgliedsstaaten verletzen würden?
    Leggeri: Die Souveränität der Mitgliedsstaaten wird nicht verletzt. Also unter den EU-Verträgen ist es so, dass die Verantwortung für Grenzschutz die Verantwortung der Mitgliedsstaaten ist. Es gibt dennoch eine gemeinsame Verantwortung, und das ist jetzt in der neuen Verordnung ganz klar, seit Donnerstag ist es ganz klar, dass die Mitgliedsstaaten und die Agentur diese Verantwortung und diese Aufgabe haben, die EU-Außengrenzen miteinander zusammen zu schützen und zu kontrollieren. Also ich sehe keinen Eingriff, ich würde eher sagen, ich sehe mehr Möglichkeiten, den Mitgliedsstaaten mitzuhelfen, um unsere gemeinsame EU-Schengen-Außengrenze unter Kontrolle zu haben, sodass die Freizügigkeit, die Schengen-Freizügigkeit wieder möglich ist.
    Die Agentur konnte nicht reagieren
    Zerback: In der Vergangenheit ist das ja nicht immer gut geglückt. Wenn wir da einfach mal aufs vergangene Jahr schauen, da sind allein 1,8 Millionen Menschen illegal nach Europa gekommen. Was ist denn da aus Ihrer Sicht, aus der Sicht von Frontex schiefgelaufen?
    Leggeri: Was der Europäischen Union gefehlt hat, war die Koordinierung. Also die Agentur hatte zu wenig Einsatzmittel, wir hatten auch zu wenig Offiziere. Zum Beispiel im Frühling 2015, also kurz vor der Krise in Griechenland oder als die Krise in Griechenland, die Migrantenkrise in Griechenland ausbrach, konnte die Agentur kaum 454 Offiziere oder Grenzbeamte einsetzen. Das war zu wenig, weil es doch um diese Zeit noch eine Migrantenkrise in Italien gab, und die Mitgliedsstaaten waren nicht bereit, mehr Grenzbeamte zur Verfügung zu stellen. Das war ein Problem. Ein anderes Problem war, dass es der Agentur an Befugnissen mangelte, und ganz genau konnte die Agentur keine Initiative treffen. Ich habe als Exekutivdirektor im Juni 2015 schon festgestellt, dass es eine Krise in Griechenland gab, die Migrantenkrise, und weil die betroffenen Mitgliedsstaaten keine Unterstützung von Frontex verlangt hatten, konnte die Agentur nicht reagieren. Das ist, was meiner Meinung nach schiefgegangen ist – dass wir zu wenig Befugnisse hatten und dass wir auf EU-Ebene zu wenig Einsatzmittel hatten. Das ist jetzt ganz anders.
    Zerback: Das soll jetzt besser werden.
    Leggeri: Ja, das wird in der Zukunft besser werden, ja.
    Zerback: Der Direktor der europäischen Grenzschutzagentur Frontex war das, Fabrice Leggeri. Besten Dank für Ihre Zeit heute Morgen!
    Leggeri: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.