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Für Deutschland verloren

So merkwürdig es klingt: Eigentlich ist Kevin-Prince Boateng, Sohn eines Ghanaers und einer Deutschen, ein gelungenes Beispiel für Integration und Nachwuchsförderung. Boateng hat alle Junioren-Nationalteams des DFB durchlaufen, kaum einer hat so viele Nachwuchsländerspiele wie er.

Von Jens Weinreich |
    Das Talent des Straßenfußballers, der entfernt mit Helmut Rahn verwandt ist, dem WM-Siegtorschützen von 1954, wurde in Berlin früh erkannt und beispielhaft gefördert.

    Bis zu einem gewissen Punkt. In der Phase der Mannwerdung, der ersten Bundesligaspiele, des ersten großen Geldes, hatte Boateng nicht jene souveränen Betreuer und Fußball-Lehrer, die er brauchte. In jenen Jahren wurde sein Rüpelimage geprägt. Er trug mit diversen Eskapaden viel dazu bei. Und dennoch lief er bis zum Sommer 2009 noch für DFB-Teams auf.

    Michael Jahn, Fußballreporter der "Berliner Zeitung", hat Boateng einige Jahre begleitet, sein Bundesliga-Debüt und die Zeit in Berlin miterlebt und beschrieben. Er sagt:

    ""Also für mich war Kevin-Prince Boateng für Deutschland verloren im Sommer vorigen Jahres. Er gehörte ja lange Zeit zum deutschen Aufgebot für die u21-Europameisterschaft und machte sich große Hoffnungen auch bei der EM in Schweden dabei zu sein. Aber Kevin-Prince Boateng wurde als letzter Spieler aus dem Aufgebot gestrichen. Und als Begründung wurde unter anderem aufgeführt, dass er nicht ins Mannschaftsgefüge passe, zu undiszipliniert sei, also von seinem Charakter her eher ein Störfaktor sei. Dann hat sich Boateng umorientiert und für Ghana entschieden.”"

    Unmittelbar vor dem Spiel gegen Deutschland hat sich Boateng dazu nicht mehr geäußert. In einem langen Beitrag kürzlich in der Wochenzeitung "Die Zeit” erzählte er, im Trainingslager habe er zwei Teamkollegen in einer Gaststätte vor einer Prügelei bewahrt und sie ins Taxi gesetzt. Dann wollte er selbst fahren, fand aber kein Taxi – und sei deshalb zu spät ins Quartier gekommen. Trainer Horst Hrubesch wollte eine Erklärung – Boateng sagt, er wollte die Kollegen schützen. Hrubesch schmiss ihn raus und sagt, das sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

    DFB-Sportdirektor Matthias Sammer attestierte Boateng damals "Probleme in der Persönlichkeitsentwicklung”. Boateng sagte: Sammer kenne ihn gar nicht. So gab ein Wort das andere. In dieser Phase behielt niemand die Übersicht und kühles Blut. Und so spielt Kevin-Prince Boateng heute für Ghana – während ein halbes Dutzend Teamkollegen aus der u21 vom vergangenen Jahr heute im deutschen Aufgebot stehen, auch sein Bruder Jerome.