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Funkmaus der anderen Art

Bei der sogenannten Optogenetik werden Nervenzellen genetisch so verändert, dass sie sich mit Licht an- oder ausschalten lassen. Im Prinzip können Versuchstiere dadurch ferngesteuert werden. In der Praxis war es bisher jedoch schwierig, das Licht in das Gehirn der Tiere zu bringen. Forscher aus den USA haben die technischen Bauteile jetzt so weit verkleinert, dass sie die Tiere kaum noch behindern.

Von Michael Lange |
    Die Mäuse in der Versuchskammer an der Washington-University in St. Louis unterscheiden sich kaum von anderen Versuchstieren. Auffällig ist lediglich der kleine Hut, den sie auf dem Kopf tragen. Mit seiner Hilfe kann der Versuchsleiter, der Mediziner Michael Bruchas entscheiden, was die Mäuse am liebsten machen.

    "Die Mäuse erkunden zunächst ihre Versuchskammer. Schnell lernen sie, dass sie sich immer dann am besten fühlen, wenn sie mit der Nase eine kleine Öffnung in der Wand anstupsen. Im gleichen Moment wird eine winzige LED-Leuchte im Innern ihres Gehirns angeschaltet. Das Licht aktiviert die Dopamin-Neuronen, das Belohnungssystem im Gehirn. Die Tiere fühlen sich wohl und mit der Zeit stupsen sie immer öfter mit der Nase an die gleiche Stelle."

    Man könnte auch sagen: Die Mäuse sind süchtig geworden nach dem Glücksgefühl, das die Strahler in ihrem Gehirn auslösen.
    Das Ganze funktioniert so: In der kleinen Öffnung in der Versuchskammer steckt ein Sensor, der auf Berührung reagiert. Sobald die Maus ihn anstupst, aktiviert er einen Sender. Der gibt ein Signal in Form von Radiowellen an den kleinen Hut auf dem Mäusekopf. Der wichtigste Bestandteil des Huts ist eine Antenne. Sie empfängt die Radiowellen und mit ihnen das Kommando "Licht an". Die Radiowellen liefern auch die Energie für die LED-Strahler im Innern des Mäusegehirns. Entwickelt hat diese Strahler der Ingenieur und Materialwissenschaftler John Rogers von University of Illinois:

    "Unsere LEDs sind mehr als 1000 Mal kleiner als alle Strahler, die sie im Handel kaufen können. Wir haben sie kombiniert mit feinen, biegsamen Kunststofffasern, die eine Art Unterstützungsstruktur bilden."

    Die schwierigste Aufgabe für die Forscher ist es, die winzigen LED-Strahler im Innern des Mäusegehirns genau zu platzieren, und sie mit dem Hut auf dem Kopf zu verbinden. Dazu benutzen sie feinste Nadeln, mit denen sie Kunststoff-Kabel in das Gehirn ihrer Versuchstiere hinein spritzen. Der Doktorand Jordan McCall gehört zu den Wissenschaftlern, die die Technik beherrschen.

    "Die Verbindungskabel im Gehirn sind viermal dünner als ein menschliches Haar – und außerdem sehr beweglich. Um sie in das Gehirn hinein zu bekommen, benutzen wir zunächst ein festeres Material. Dieses Material ist wasserlöslich und löst sich nach der kleinen Gehirnoperation in der Gehirnflüssigkeit vollständig auf."

    Die Mäuse spüren angeblich nichts davon und verhalten sich absolut natürlich. Jedenfalls solange, bis das Licht angeht. Das Licht strahlt dann auf einzelne Nervenzellen. Sie wurden zuvor gentechnisch so verändert, dass sie mit Licht ein- oder ausgeschaltet werden können. Das ist das Prinzip der Optogenetik. Bisher nutzten Forscher viel gröberes Material. Die Versuchstiere, meist Ratten, waren über Kabel mit einem Computer verbunden.

    Durch die Verkleinerung der Technik ergeben sich nun neue Möglichkeiten. Forscher können Mäusegehirne genauer als bisher untersuchen oder auch fernsteuern – und zwar drahtlos. Das alles dient der Grundlagenforschung, aber auch der Erforschung von Krankheiten wie Parkinson oder Epilepsie. Eine Erprobung der Technik am Menschen steht aber noch nicht bevor.