Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Fussball
Vernetzte Stadien

Bundesligisten binden ihre Fans zunehmend auch über Smartphone-Apps an sich und rüsten ihre Stadien mit W-Lan aus, damit die Zuschauer diese Angebote auch während des Spiels nutzen. Ob sie dabei auch die Atmosphäre in der Arena bedacht haben?

Von Daniel Theweleit | 01.03.2015
    Ein junger Düsseldorfer Fan hält gespannt ein Mobiltelefon in der Hand.
    Aufs Handy gucken oder aufs Spielfeld? Diese Entscheidung könnte in Zukunft vielen schwerer fallen. (picture alliance/dpa/Friso Gentsch)
    In vielen Bundesligastadien wird derzeit intensiv gearbeitet. Kabel werden verlegt, Antennen unter den Tribünendächern installiert, die Klubs sind dabei, die Arenen mit einem schnellen W-Lan-Netz für ihre Zuschauer auszustatten. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden die Fans über ihre Mobilgeräte von Bundesligisten hergestellte Bilder und Videos erhalten, die es bislang nur im Fernsehen gibt. Vor und nach den Spielen können dann kleine Interviews mit Trainern und Spielern angeboten werden, und in der Halbzeit übermitteln die Kommunikationsabteilungen Statistiken über Ballbesitz und Zweikampfstärke. Außerdem werden die Stadionbesucher Nachrichten, Fotos und Filmchen an ihre Freunde in aller Welt senden können, was bislang wegen der chronischen Überlastung der Netze unmöglich ist.
    Das so genannte Second-Screen-Phänomen, das die Nutzung eines zweiten Bildschirms während des Betrachtens von TV-Sendungen oder anderen Events beschreibt, wird bald zum Stadionalltag gehören. Und Alexander Wehrle, der Geschäftsführer des 1. FC Köln, freut sich auf diese neue Ära.
    "Wir haben einen ganzen Blumenstrauß an Ideen und wir arbeiten da mit Hochdruck dran. Und sobald die dann auch final sind, werden wir die auch verkünden. Es wird sicher das eine oder andere dabei sein, da wird sich der Fan freuen können."
    Ständig informiert und umworben
    Denkbar ist vieles. Von Exklusivinformationen vom Spielfeldrand zu verletzten Spieler oder zu taktischen Veränderungen, die der Trainer beschlossen hat. Über die Bestellung von Getränken, die dann direkt zum Tribünen-Platz gebracht werden. Bis hin zu Informationen über die Wartezeit vor bestimmten Toiletten oder Wurstbuden. Angestrebt wird sogar, dass die Anhänger auf den Stehrängen andere Nachrichten erhalten, als beispielsweise Leute auf den Business-Seats. Es geht um Service und natürlich um die Erschließung neuer Einnahmequellen. Denn natürlich bieten sich hier auch verlockende Marketingmöglichkeiten. Der Hauptkommunikationskanal wird bei den meisten Klubs dann eine App für Mobilgeräte sein, über die die Fans permanent mit neuesten Nachrichten versorgt werden. Diese kleinen Programme für Mobilgeräte könnten für die Vereine bald bedeutsamer sein als die Internetseiten, die Facebookauftritte und die Stadionhefte, glaubt Carsten Cramer, der Marketingvorstand von Borussia Dortmund.
    "Die Nachfrage ist steigend, weil die Inhalte immer mehr über Smartphones konsumiert werden. Wir stellen bei den Zugriffen auf unserer Homepage eine Seitwärtsbewegung fest. Die Applikation bietet unheimlich viele interessante Inhalte, so aufbereitet, dass man sie eben auf dem Smartphone konsumieren kann. Die Applikation ist extrem stark auf den Spieltag fokussiert mit vielen kleinen Features, die den Menschen morgens Lust machen, sich mit dem BVB auseinander zu setzen."
    Allerdings betonen sowohl die Kölner als auch die Dortmunder, dass die neuen Möglichkeiten nicht voll ausgeschöpft werden sollen, während der Ball rollt. Denn die zunehmende Neigung vor allem junger Leute, alle paar Minuten nach ihren Mobilgeräten zu greifen, stellt eine Gefahr dar. Professor Thomas Knieper, der an der Universität Passau zum Thema Second Screen forscht, hält es sogar für denkbar, dass eine Vernetzung der Stadien die Atmosphäre während der Spiele verändern könnte.
    "Jeder Verein, der durch sein Fanpublikum unterstützt wird, sollte ernsthaft darüber nachdenken, ob er das tatsächlich will. Denn die Prognose geht natürlich in die Richtung, dass dann die Leute ihre Euphorie auf dem Second Screen mitteilen - und nicht mehr im Stadion. Wenn ich mir Bayern München anschaue, wo es ja doch eine große Fangruppe gibt, die eher nicht ganz so mitgeht: Wenn dann zusätzlich Aufmerksamkeit auf den Second Screen gelenkt wird, dann könnte das atmosphärisch sehr übel werden."
    Die Klubs sehen diese Gefahr auch, spielen sie aber erstmal herunter: "Unsere 90 Minuten sind in der Regel so faszinierend, da schaust Du nur auf das Spielfeld und beschäftigst Dich eigentlich nicht mit Deinem Handy", sagt der Kölner Geschäftsführer Wehrle. Und sein Dortmunder Kollege Cramer ergänzt: "Der Vollgasfußball, der in Dortmund zelebriert wird, führt automatisch dazu, dass Sie ihren Körper für andere Dinge brauchen als für Ihr Smartphone."
    Stimmungskiller Smartphone?
    Das hoffen auch einige aktive Fans, die aber befürchten: Viele Leute, die nicht ganz so leidenschaftlich sind, die sich aber gerne von einer guten Stimmung mitreißen lassen, könnten künftig passiver werden. Denn das Bedürfnis, die eigene Anwesenheit bei einem stark beachteten Ereignis mitzuteilen, wächst. Zudem hat das vernetzte Publikum die Möglichkeit, beispielsweise die Konferenzschaltungen im Fernsehen mit allen Bundesligaspielen laufen zu lassen. Die Motive für die Second-Screen-Nutzung gehen weit über das Bedürfnis nach Zusatzinformationen zu einem konkreten Spiel hinaus, sagt der Wissenschaftler Knieper.
    "Das kann zum Beispiel Mood-Management sein, man regelt seine eigene Gefühlswelt, dann wenn die eigene Spannung zu groß wird, kann man was reinschreiben, baut seine Spannung darüber ab. Man teilt seine Freude beim Tor. Man kann über die Fehlentscheidung des Schiedsrichters schimpfen. Man kann auch selbst Hintergrundinformationen einspeisen, kann Empathie mit verletzten Spielern artikulieren, und das ist auch ein ganz wichtiger Punkt: Man kann das Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Fans zum Ausdruck bringen."
    Sollte sich die Vernetzung der Stadien tatsächlich auf die Stimmung auswirken, gibt es bei Borussia Dortmund sogar einen Notfallplan. Es sei denkbar, "die eine oder andere Servicekomponente während des Spiels schlichtweg zu reduzieren oder gar ausfallen zu lassen", sagt Cramer. Technisch wäre das kein Problem. Allerdings würden sich wohl viele Leute ärgern, wenn bestimmte Angebote im Stadion nicht laufen. Erst recht, wenn sie einige Wochen vorher noch verfügbar waren.