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Fußball-WM in Brasilien
Der lange Weg der Dopingproben

In Brasilien gibt es zur Fußball-WM kein lizensiertes Labor für Doping-Kontrollen. Die FIFA lässt die Proben daher jede Nacht in ein Labor in Lausanne fliegen. Dieser komplizierte und lange Transport erhöht die Anfechtbarkeit der Proben.

Von Carsten Upadek |
    Fifa-Chefarzt Jiri Dvorak.
    Hätte die Dopingproben während der WM lieber in Brasilien analysiert: Fifa-Chefmediziner Jiří Dvořák. (dpa/EPA/Lynn Bo Bo)
    So richtig zufrieden war wohl kaum jemand gestern im Morumbi-Stadion in São Paulo. Ein müdes 1:0 lieferte die brasilianische Seleção gegen Serbien beim letzten Test vor der WM ab. Außer vielleicht einer: Jiří Dvořák, der Chefmediziner des Weltfußballverbandes FIFA. Seine Doping-Kontrollen laufen nach Plan.
    "Heute haben wir das brasilianische Team getestet in ihrem Trainingscamp. Alle 23 Spieler der Seleção. Der letzte, den wir getestet haben, war Neymar als Nummer 777."
    Röhrchen 777 und die anderen hat Jiří Dvořák dann in einer Spezial-Kühlbox gesichert, verplombt und sie seinem Kurier gegeben.
    "Das geht direkt zum Flughafen und ab die Post."
    Richtung Schweiz. Mitarbeiter im Labor in Lausanne untersuchen die Proben nun auf verbotene Substanzen. Ähnlich soll der Prozess während der WM ablaufen. Nach jedem Matsch sollen zwei Spieler pro Mannschaft von Dvořáks Ärzten Urin und Blut abgenommen werden. Auch diese Proben gehen über São Paulo in die Schweiz. Doch weil Brasilien etwa so groß wie Europa ist, haben die Proben vorher oft schon mehrere tausend Kilometer Reiseweg hinter sich. Komplizierter war es noch bei keiner Herren-WM. Und teurer auch nicht: rund eine Millionen Euro kostet die Methode, hat der Deutschlandfunk erfahren. Jiří Dvořák:
    "Das ist das Leben. Und man muss mit solchen Situationen umgehen können, flexibel sein, sich anpassen."
    WADA-Standards nicht erfüllt
    Zur Anpassung hat die FIFA Brasilien gezwungen: Eigentlich sollten die Doping-Kontrollen in einem Labor in Rio de Janeiro stattfinden. Ladetec unterm Zuckerhut war das Einzige in Brasilien, das die hohen Qualitäts-Standards der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA erfüllte. Doch dem Labor wurde im vergangenen August überraschend die Genehmigung entzogen. Die Mitarbeiter hatten sich bei zwei von der WADA eingereichten- und einer so genannten Blindprobe geirrt. Damit war die Qualitätsnorm unterschritten:
    "Jedes Mal, wenn Du einen Fehler machst, verlierst Du Punkte, bei einer bestimmten Anzahl verlierst Du die Genehmigung."
    Eduardo de Rose ist der meist respektierte Dopingexperte Brasiliens und Gründungsmitglied der WADA. Aber auch er hatte eine Schließung so kurz vor der WM nicht erwartet – ebenso wenig wie der Welt-Fußballverband:
    "Die FIFA wurde überrascht ohne einen Plan B zu haben, ihnen gelang nur einen Plan C zu realisieren, wie ich es nenne. Der ist, die Proben nach Lausanne zu schicken.##"
    Mit dem Labor in der Schweiz arbeitet die FIFA seit Jahren zusammen. Allerdings ist die Distanz ein echtes Problem, sagt Thomas Summerer, Vorsitzender der AG Sportrecht im Deutschen Anwaltverein:
    "Es muss gewährleistet sein, dass eine Probe, die genommen wird, tatsächlich auf dem sichersten und schnellsten Transportweg zu einem akkreditierten Labor gelangt."
    Die Reise beginnt in den WM-Spielorten und geht immer über São Paulo. Am weitesten ist die Amazonas-Metropole Manaus entfernt – ein Direktflug dauert fünf Stunden. Ein Weitertransport mit dem täglichen Transportflug um 22:50 Uhr am gleichen Tag ist dann ausgeschlossen. Die Proben müssen also gelagert und vor Zugriff gesichert werden. Mindestens zwölf Stunden dauert der zweite Flug in die Schweiz. Im Labor angekommen will die FIFA eine positive Probe in 48 Stunden liefern. Zwischen den WM-Spielen liegen aber oft nur vier Tage. Deshalb bilanziert die Rechercheplattform „Fussballdoping.de", es sei extrem unwahrscheinlich, dass eine positive A-Probe vor dem nächsten Spiel veröffentlicht werde. Auch ein Protest im Nachhinein ist dann kaum möglich: Laut FIFA-Regelwerk müssen Proteste schriftlich bis zwei Stunden nach Spielende eingereicht werden, sonst würden sie nicht berücksichtigt. Doch es gibt noch ein weiteres Problem mit den Proben, sagt Sportrechtler Summerer:
    "Die Anfechtbarkeit ist erhöht, der Veranstalter wird beweisen müssen, dass dieser Transport der einzig mögliche war und auch der schnellstmögliche und sicherste. Je länger der Transportweg, noch dazu bei den sommerlichen Temperaturen, desto mehr steigt das Risiko einer Anfechtung."
    Per Computerchip gesteuerte Kühlboxen
    FIFA-Chefarzt Jiří Dvořák hält dem entgegen, dass die Kühlboxen per Computerchip gesteuert würden und komplett überwacht. Trotzdem hätte er lieber in Rio getestet:
    "Natürlich ist man nicht begeistert. Das ist eine nächste Herausforderung. Ich möchte niemandem den schwarzen Peter zuschieben, aber mit diesen Rahmenbedingungen müssen wir leben."
    Dabei gibt es für den schwarzen Peter nur einen Kandidaten: die brasilianische Regierung. Lange Zeit nahm sie das Thema Doping im Sport nicht Ernst. Das WADA-akkreditierte Labor Ladetec musste so gut wie ohne Subventionen auskommen. Es überlebte durch Aufträge des brasilianischen Fußballverbandes. Erst als das Internationale Olympische Komitee 2009 die Olympischen Spiele 2016 nach Rio de Janeiro vergab, änderte sich die Haltung der Regierenden langsam. Zu spät, sagt Marco Antonio Teixeira. Er ist ehemaliger Generalsekretär des brasilianischen Fußballverbandes und Pionier der Doping-Bekämpfung: die Mitarbeiter von Ladetec trügen keine Schuld:
    "Körper und Seele haben sie für das Institut gegeben. Aber der Umbau war sehr schleppend, dauerte, litt und führte zu dem Chaos, das wir jetzt sehen."
    Ladetec ist momentan eine Baustelle. Das Labor soll zumindest für die Olympischen Spiele 2016 wieder einsatzbereit sein. Dann müssen mindestens 5500 Proben analysiert werden. Doping-Koryphäe Eduardo de Rose hofft zwar auf eine neue Lizenz der WADA:
    "Ich bin aber nicht sicher, weil das von der Zeit abhängt, in der das Gebäude fertig ist, die Maschinen aufgebaut sind und adäquat mit geschulten Mitarbeitern arbeiten und der Zeit für den Prozess einer Re-Akkreditierung, der normalerweise ein Jahr dauert."
    Darauf will sich de Rose nicht verlassen. Schließlich ist er auch Anti-Doping-Berater für Rio2016. Damit es ihm nicht wie der FIFA geht, hat er einen Plan B. Welchen, will er nicht verraten. Vieles spricht aber dafür, dass das IOC sein eigenes Labor für die Olympischen Spiele aufbaut. So mancher brasilianische Funktionär könnte sich eine schlimmere Demütigung für den Sport seines Landes nicht vorstellen.