Vera Zippin liebt die Aussicht von ihrem Grundstück auf das Delta des Flusses João de Tiba. Er grenzt auf der anderen Seite an eine Sandbank, dahinter beginnt das offene Meer. Ein paar hundert Meter flussabwärts mündet der João de Tiba in den Atlantik und unterbricht damit einen kilometerlangen weißen Strand. Vor 30 Jahren kam Vera Zippin hierher ins Fischerörtchen Santo André und sie will nie wieder weg:
"Es ist ein Paradies. Süßwasser und Salzwasser, mal badet man im Fluss, mal im Meer. Die Mangroven... Ich liebe diesen Ort, die Ruhe, die Einheimischen. Hier wurde ich neu geboren."
Vera Zippin ist nicht die einzige, die die Schönheit zu schätzen weiß: die Flussinsel zur rechten gehört einem Millionär. Das Ressort hinter der Mündung, in dem Kaiser Franz Beckenbauer schlafen wird, einem Multi-Millionär. Und in dem diskreten Luxushotel am Horizont entspannen Schauspieler wie Leonardo DiCaprio oder Tom Cruise.
Aber mit der Ruhe in Santo André ist es seit Monaten vorbei: 200 Arbeiter bauen in Schichten am WM-Quartier Campo Bahia. In fünf Wochen kommt die deutsche Nationalelf. Und mit ihr ein Tross aus Funktionären, Journalisten und Sicherheitskräften. Ein Werbeschild am Rand der staubigen Dorfstraße macht sich erst gar keine Mühe mit der Landessprache Portugiesisch: in bestem deutsch ist ein Grundstück "in erster Meereslinie" zum Verkauf angeboten. Nicht weit entfernt wohnt Marcelo:
"Santo André ist fast schon ein Teil Deutschlands, sogar die Schilder sind auf Deutsch geschrieben. Ein guter Teil des Ortes ist schon an die Deutschen verkauft. Wir Einheimischen sollen verdrängt werden, auch mein Haus wollten sie."
14 zweigeschossige Wohnhäuser
Das WM Quartier nebenan ist noch immer eine Baustelle. Durch die Palisaden lassen sich Schaufelbagger und Erdhügel erkennen. Die 14 zweigeschossigen Wohnhäuser wirken aber weitgehend fertiggestellt. Neben der Eingangstür ist ein Wachturm gezimmert. Oben steht ein Sicherheitsmann. Den Zutritt hat der Deutsche Fußballbund verboten. Die Absperrungen wurden verstärkt, nachdem die Zeitung Folha de S. Paulo Ende März Fotos von Arbeitern ohne Helm und Handschuhe veröffentlichte.
"Ich denke, das war eine Kampagne vom Staate São Paulo, uns ein bisschen schlecht zu machen. Wir haben einen Sicherheitsbeauftragten, der läuft täglich durch. Also auch ich mit meinen Schlappen werde angemahnt."
Tobias Junge ist der Bauherr vom WM-Quartier Campo Bahia. Seit 20 Jahren lebt er in Brasilien und hat sein Geld mit Bergbau verdient. Junge informiert sich genau, bevor er Journalisten empfängt. Es gab viele negative Berichte von Verzögerungen und Kriminalität, die er für überzogen hält. Junge steht in der offenen Eingangstür zur Baustelle.
"Was Sie an Wildnis sehen, sind ein Sandberg und wir haben schon im vorderen Bereich mit der Landschaftsgestaltung begonnen. Wir räumen die Häuser ein, ein Großteil der Möbel ist angekommen."
"Die Nationalmannschaft kommt vorne rein und die letzten Arbeiter verdrücken sich hinten diskret"
Laut DFB sollte alles bereits Mitte März fertig sein. Tobias Junge spricht davon, dass er immer Mitte Mai angepeilt habe. Dann sei Übergabe und ein Probebetrieb. Fragt man die Arbeiter auf der Straße, spricht ein Teil davon, dass es wohl knapp werde. Auch der deutsche Geschäftsmann Günter Keseberg, der viele Jahre in Santo André lebt und beste Kontakte pflegt, berichtet:
"Es wird wahrscheinlich so sein, dass die Nationalmannschaft vorne reingehen und hinten die letzten Putzfrauen, Anstreicher und Maurer sich diskret verdrücken. Also es ist sehr, sehr eng."
Keseberg wohnt in einem schicken Haus über dem Dorf auf einem Hügel. Das abgeschlossene Gelände mit drei Villen nennen die Einheimischen auch den "deutschen Berg", weil alle Besitzer Deutsche sind. Nach eigener Aussage hat sich Keseberg von einem der größten Kritiker zu einem Bewunderer von Campo Bahia entwickelt, weil er die Leistung der Bauherren bewundere.
"Meine Kritik ist, dass die Außendarstellung der Bauherren verbesserungswürdig ist. Hier schwirren einfach zu viele Gerüchte, was gemacht wird und was auf die Bevölkerung zukommt."
Nicht nur im Dorf: eigentlich alles ist geheim, wenn es um die Investition und den Deal mit dem DFB geht. Der Deutschlandfunk erfuhr, dass Tobias Junge und sein Jugendfreund Kay Bakemeier das Gelände vor Jahren für umgerechnet 500.000 Euro teilweise kauften, um daraus eine Feriensiedlung zu machen. Aber das Projekt kam nicht richtig voran. Bakemeier holte über seinen Draht als Allianz-Versicherer den Münchner Modeunternehmer Christian Hirmer ins Boot, der über den brasilianischen Unternehmerverband LIDE den Kontakt zu Oliver Bierhoff herstellte. Bierhoff und dem DFB gefielen Lage und Konzept, obwohl die FIFA eine Fähranbindung verbietet, wie sie hier der Fall ist. Aber der deutsche Fußballbund habe eine lange Tradition FIFA-Regeln zu ignorieren, sagt ein Insider.
Die meisten Dorfbewohner freut das: Viele haben Restaurants oder Herbergen und erwarten zahlungskräftige Kundschaft. Nur müssten die dringenden Probleme im Ort gelöst werden, sagen sie. Bewohnerin Lea Penteado versteht sich als Kommunikator zwischen Dorfbewohnern und Stadtverwaltung bei Themen wie Trinkwasserversorgung, Müllabfuhr und Kriminalität:
"Ein Restaurant ist beraubt worden, ein Motorrad gestohlen-, zwei Mädchen wurden gestalkt. Das beunruhigt uns, weil wir wollen, dass wenn die Deutschen kommen, Santo André ein wahres Paradies ist."
Der Staat Bahia bezahlt dem DFB sein 500.000 Euro teures Medienzentrum
Zumindest darum müssen sich die 800 Bewohner während der WM keine Sorgen machen. Im Sicherheitskonzept sind 300 Polizisten zu Wasser, Luft und Pferd vorgesehen. Auch Beamte aus Deutschland waren schon da, um eine Visite von Bundeskanzlerin Angela Merkel vorzubereiten. Bezahlt wird der Polizei-Großeinsatz vom Bundesstaat Bahia. Auch sonst zeigen sich die Brasilianer spendabel: sie bezahlen die Kosten für das deutsche Medienzentrum in Höhe von umgerechnet 500.000 Euro. Inbegriffen ist auch ein nagelneuer Sendemast für die Internetversorgung. Im Haus von Vera Zippins sitzt ihr Mann Nelson vor dem Computer und schaut auf den Bildschirm. Die Downloadzeit liegt im Bereich Null-Komma:
"Das bedeutet, wir haben eine sehr geringe Geschwindigkeit. Bis vor kurzem hatten wir manchmal gar kein Internet. Wenigstens bleibt uns das. Auch wenn wir die schnelle Anbindung erst nach der WM nutzen können."
Denn der Sendemast ist erst einmal exklusiv für DFB und Presse. Genau wie die neue Fähre, die Santo André mit der Straße zum Flughafen in der Provinzhauptstadt Porto Seguro verbindet. Selbst bei starkem Regen soll es da keine Transportschwierigkeiten geben. Für Probleme könnten stattdessen die Ureinwohner der Region sorgen. Letzte Woche haben sie Farmen besetzt, um Druck auf die brasilianische Regierung auszuüben. Denn Mitte Mai soll über Landstreitigkeiten zwischen Grundbesitzern und Indigenen verhandelt werden. Führer der Region Süd-Bahia ist Häuptling Aruã Pataxó. Er will eine Sperre der Verbindungsstraße nicht ausschließen.
"Wir haben die Straße schon letztes und vorletztes Jahr gesperrt. Aber das ist unsere letzte Option, wenn der Dialog keinen Sinn mehr macht."
Für die deutsche Mannschaft würde das einen erheblichen Umweg bedeuten – und für die Marketing-Frau Patricia Martins einen erheblichen Schatten bei der Mission, die Region Porto Seguro ins beste WM-Scheinwerferlicht zu rücken. Denn die Stadt liegt abgelegen hunderte Kilometer zwischen den Touristen-Metropolen Rio de Janeiro und Salvador de Bahia.
"Der Vorteil bei 500 Journalisten ist, nicht nur die Schönheit der Region zeigen zu können und unsere Qualität als Gastgeber zu bestätigen, sondern national und international neue Tourismusmärkte zu eröffnen."
Und davon wollen auch Tobias Junge und seine Partner profitieren. Die Gesamtkosten des Projektes liegen bei rund elf Millionen Euro, wie der Deutschlandfunk erfuhr. Junge will diese Zahl nicht bestätigen, sagt aber man müsste drei bis vier Häuser verkaufen, um in den Gewinnbereich zu kommen. Gerüchte, Nationalspieler Thomas Müller habe sich bereits eines der Gebäude gesichert, weist er zurück. Über die Zukunft von Campo Bahia solle aus Respekt zum DFB erst nach der WM entschieden werden.
"Da sind wir sehr vorsichtig."
Wie überall.