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Fußballkrawalle in Dortmund
"Wir können nicht neben jeden Fan einen Polizisten stellen"

Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat Fußballfans aufgefordert, die Polizeiermittlungen nach den Ausschreitungen in Dortmund am Wochenende zu unterstützen. Es sei nun an den Fankurven, Videomaterialien zur Verfügung zu stellen und Zeugenaussagen zu leisten, sagte Jäger im Deutschlandfunk.

Ralf Jäger im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) steht im Saal des Innenausschusses.
    Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) steht im Saal des Innenausschusses. (picture alliance / dpa / Federico Gambarini)
    Mehr Einsatzkräfte bei Fußballspielen seien keine Lösung, betonte Jäger. Es sei nicht die Aufgabe der Polizei, neben jeden Fan einen Polizisten zu stellen. 25 Prozent der Arbeit der Bereitschaftspolizei würden bereits darauf verwandt, Fußballspiele zu sichern. Dies sei eigentlich viel zu viel, sagte Jäger.
    Die Störer selbst seien verantwortlich für die Krawalle, meinte der SPD-Politiker - und nicht der Verein, weil dieser zu wenige Ordner stelle, oder die Polizei, weil sie zu wenige Beamte einsetze. Nun müssten die Ultras ihr Schweigen brechen und sich fragen, ob sie wirklich Fans seien, wenn sie die Krawallmacher unterstützten.
    Vorwürfen, der Geschäftsführer des BVB, Hans-Joachim Watzke, habe die Krawalle mit rhetorischen Spitzen gegen Leipzig angeheizt, widersprach Jäger. Konkurrenz dürfe keine Rechtfertigung für Gewalt sein. Einige Dortmunder Fans hatten angereiste Anhänger von RB Leipzig am Samstag angegriffen und mit Steinen beworfen.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Zehn Verletzte, das ist die Bilanz der Bundesliga-Partie vom Samstag, Borussia Dortmund gegen RB Leipzig. Dortmund hat zwar mit 1:0 gewonnen, aber dank einiger idiotischer Fans in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich verloren, denn ein Mob gewaltbereiter Dortmund-Fans randalierte am Rande des Spiels, warf mit Flaschen, Steinen und Feuerwerkskörpern auf die Menge der Leipzig-Fans. Dabei wurden sechs Fans verletzt und vier Polizisten. Die Stimmung im Stadion war auch nicht wesentlich besser. Vor Anpfiff hatten die Dortmunder Fans Dutzende Spruchbänder in die Höhe gehalten. Ich will nur ein paar davon zitieren: "Lieber Ratten mit Ball als Rasenball", "verpisst euch, ihr Kommerzschweine", "ihr seid hier nicht willkommen", "Für mehr Bullenhass hätten wir euch eigentlich nicht gebraucht" und "Pflastersteine auf die Bullen". Eine vollständige Sammlung dieser Sprüche hat das Magazin "Elf Freunde" veröffentlicht.
    All das, was eine Gruppe von Fans da angerichtet hat, das wird heute auch das DFB-Pokalspiel von Dortmund überschatten. Dortmund hat die Hertha aus Berlin zu Gast. Und auch wenn das jetzt ein Traditionsverein ist, der da zu Besuch kommt, und dementsprechend nicht mit dem Gewaltpotenzial wie am Wochenende zu rechnen ist, die Einsatzkräfte werden trotzdem ganz genau hinschauen.
    Was bedeutet dieses Gewaltpotenzial für die Arbeit der Polizei? Darüber möchte ich mit Ralf Jäger sprechen, NRW-Innenminister. Guten Morgen, Herr Jäger.
    Ralf Jäger: Schönen guten Morgen! Ich grüße Sie.
    Büüsker: Herr Jäger, wenn wir auf die Ereignisse vom Samstag schauen, hat die Polizei das Gewaltpotenzial unterschätzt?
    Jäger: Jedes Bundesliga-Spiel wird akribisch vorbereitet, vom Verein, von den Fanbeauftragten, von der Polizei, dem Ordnungsamt. Da fließen alle Erkenntnisse aus Vorjahren ein und man kalkuliert die entsprechende Kräftezahl bei der Polizei, aber vor allem auch die Ordnerzahl des Vereins und danach ist die Zahl ausgerichtet. Es geht darum, dass man jetzt nicht eine Diskussion darüber führt, hätten mehr Ordner da sein müssen oder mehr Polizei, sondern dass man die Täter im Visier lässt, denn die sind die Verantwortlichen dafür, dass es zu diesen Ausschreitungen gekommen ist.
    "25 Prozent der Arbeitszeit der Bereitschaftspolizei Nordrhein-Westfalens werden verwandt für den Fußball"
    Büüsker: Aber trotzdem beanstanden viele Leipziger Fans, dass doch zu wenig Polizei da war, und die Beamten hätten ja dann unter Umständen auch eingreifen können und diese Gewaltübergriffe, die es gab, verhindern können.
    Jäger: Aus Sicht der Betroffenen kann ich das gut nachvollziehen, wenn man solchen Dingen ausgesetzt ist. Aber es kann nicht Aufgabe der Polizei sein, neben jeden Fan einen Polizisten zu stellen. Entscheidend ist: Wir haben in Nordrhein-Westfalen viele Fußballclubs. 25 Prozent der Arbeitszeit der Bereitschaftspolizei Nordrhein-Westfalens werden verwandt für den Fußball, um Fußballspiele zu sichern. Das ist eigentlich viel zu viel und wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass solche Krawalle, solche Krawallmacher, solche Störer, solche Straftäter - das sind keine Fans - aus den Stadien verschwinden.
    Das muss jetzt die Aufgabe sein. Da erwarte ich übrigens auch von der organisierten Fanschaft, die sich für Fußballfans hält, jetzt die Polizeiermittlungen zu unterstützen, Zeugen zur Verfügung zu stellen oder Videomaterial zur Verfügung zu stellen.
    Büüsker: Was die Vereine und die Fans leisten müssen, darauf können wir gleich vielleicht noch genauer gucken. Ich würde trotzdem gerne noch mal zurückkommen auf die Anzahl der Polizisten. Arnold Plickert, der GDP-Landesvorsitzende NRW, der sprach von 240 Beamten, die an diesem Samstag in Dortmund im Einsatz waren. Mehr anfordern, das ging laut seiner Aussage gegenüber der Deutschen Presseagentur nicht, weil die anderen Polizisten bei anderen Veranstaltungen, unter anderem auch anderen Bundesliga-Spielen eingesetzt waren. Können Sie das so bestätigen?
    Jäger: Nein, weil neben den geplanten Kräften, die vor Ort waren, im Zuge des Spiels die Einsatzreserve noch mal mobilisiert worden ist und nach meinem Kenntnisstand in der Spitze 321 Beamtinnen und Beamte zur Verfügung standen. Noch einmal: Über 300 Beamte, um ein Fußballspiel zu sichern, ist ein enormer Aufwand.
    Das ist Tagesgeschäft für die NRW-Polizei an jedem Wochenende. Man darf jetzt nicht aus dem Fokus verlieren, dass diese Störer verantwortlich sind für diese Krawalle und nicht der Verein, weil er zu wenig Ordner zur Verfügung gestellt hat, oder die Polizei, die zu wenig Beamtinnen und Beamte zur Verfügung gestellt hat. Wir müssen die Täter im Fokus halten.
    "Die NRW-Polizei ist personell schon gut aufgestellt."
    Büüsker: Sie haben gerade betont, wie viele Polizisten eingesetzt werden müssen an den Wochenenden in Nordrhein-Westfalen, um die Bundesliga-Spiele zu sichern. Was passiert denn, wenn an so einem Wochenende an anderer Stelle etwas richtig Schlimmes passiert? Nehmen wir mal an, es passiert ein Terroranschlag, ist die Polizei in Nordrhein-Westfalen dann logistisch in der Lage, genug Kräfte einzubinden?
    Jäger: Wir haben in Nordrhein-Westfalen ja Polizei zusätzlich eingestellt seit 2010. Insgesamt steuern wir auf 41.000 Polizeibeamte zu. Wir haben 18 Einsatzhundertschaften. Die NRW-Polizei ist personell schon gut aufgestellt. Aber klar muss doch sein, dass wir uns auf die eigentlichen Arbeiten, auf den eigentlichen Kern der Tätigkeit von Polizei konzentrieren müssen. Dazu zählt nicht, Fußballspiele zu sichern. Das tun wir, damit das Wochenende immer friedlich ist, aber es kann nicht sein, dass so viele Einsatzkräfte insgesamt in Nordrhein-Westfalen durch Fußball gebunden werden, und hier muss etwas passieren.
    Ich glaube, dass der deutsche Fußball am Scheideweg steht. Ich habe mir Spiele angeschaut in England und in Spanien, die faktisch ohne Polizei auskommen. Dort gibt es allerdings auch keine Stehplätze und keinen Alkohol im Stadion, aber übrigens auch keine Stimmung. Und wenn wir diese Fußballkultur in Deutschland erhalten wollen, die ja wirklich einmalig ist, dann müssen die Kurven jetzt dafür sorgen, dass die Straftäter, die dort stehen - und das sind nur wenige -, tatsächlich auch benannt werden, dass wir dann insgesamt auch friedliche Spiele haben.
    Büüsker: Wenn so viel Polizeipersonal gebunden wird bei den Spielen, sind solche Hochrisiko-Spiele dann auch ein Problem für die innere Sicherheit?
    Jäger: Bisher gab es ja im Zusammenhang mit Fußballspielen in Deutschland Gott sei Dank keine größeren Katastrophen, anders als beispielsweise in England. Das ist gut so. Das zeigt, dass die Vereine, dass die Polizei mit ihren Sicherheitskonzepten gut arbeiten. Aber klar ist auch, dass solche Übergriffe, wie sie gegenüber Familien und Kindern stattgefunden haben, eine Schande ist für den Fußball und ein großes Problem für den Fußball.
    Denn wenn der Vater sich nicht mehr mit dem Sohn am Samstag ins Stadion traut, dann ist ein Punkt erreicht, da geht es wirklich nicht mehr weiter. Und klar ist auch, dass die Fußballvereine natürlich Sponsoren brauchen und die solche Bilder keinesfalls sehen wollen.
    "Ich will nicht, dass sich der deutsche Profifußball freikaufen kann aus seiner Verantwortung."
    Büüsker: Sie haben den hohen Personalaufwand betont, die hohen Kosten jetzt mehrfach. Wieso werden dann die Vereine nicht zur Kasse gebeten, um sich an den Kosten zu beteiligen?
    Jäger: Es gibt ja in Bremen ein solches Modell, dass über Gebühr Polizeieinsätze tatsächlich in Rechnung gestellt werden. Das ist juristisch allerdings noch nicht durchgeklagt. Aber klar muss sein, wie die Rechtslage ist. Wir können nicht nur für den Fußball, wenn im öffentlichen Raum Veranstaltungen stattfinden und mehr Polizei eingesetzt wird, ein solches Gesetz begrenzen, sondern dann auf alles: auf jede Kirmes, auf jedes Schützenfest.
    Und ich finde, wir wollen, dass die Menschen friedlich feiern, auch friedlich Fußball feiern können, und nicht, dass wir Rechnungen schreiben. Im Übrigen: Ich will nicht, dass sich der deutsche Profifußball freikaufen kann aus seiner Verantwortung.
    Büüsker: Aber, Herr Jäger, wir reden ja hier über Veranstaltungen, die ein kommerzielles Interesse haben. Warum sollen die nicht auch dafür zahlen, dass der Staat die Sicherheit gewährleistet?
    Jäger: Es geht darum, dass natürlich jeder Bürger Anspruch darauf hat - ich rede nicht über die Einsatzkräfte im Stadion, sondern auf der Straße, wo solche Dinge stattfinden -, dass Polizei ihn schützt, auch bei öffentlichen Veranstaltungen. Und wir können nicht die Grenze ziehen zwischen Fußball und einer kommerziellen Kirmes oder einem kommerziellen Rockkonzert oder ähnlichem.
    Entscheidend ist - ich habe es gerade versucht, schon zu sagen -, ich möchte nicht, dass der Profifußball sich aus seiner Verantwortung rauskaufen kann, ein paar hunderttausend Euro überweist an die Polizei und ansonsten mit der Frage von Problemfans oder Kriminellen im Stadion nichts mehr zu tun hat. Ich möchte, dass die Vereine mit ihre Verantwortung übernehmen, dass die Leute gar nicht ins Stadion kommen.
    "Viele Vereine strengen sich wirklich an, gegen eine Straftäterszene vorzugehen"
    Büüsker: Und wie sehen Sie da die Vereine in der Pflicht? Was müssen die tun?
    Jäger: Es gibt sehr unterschiedliche Maßnahmen. Viele Vereine strengen sich wirklich an, gegen eine Straftäterszene vorzugehen. Dazu zähle ich übrigens auch den BVB. Bei anderen Vereinen ist da noch Luft nach oben. Aber diese Kultur der Ultras in den Kurven, wir verraten niemanden, selbst wenn er schwerste Straftaten begeht, wir arbeiten nicht mit der Polizei zusammen, diese Ultras müssen sich die Frage stellen, ob sie wirklich Fußballfans sind, wenn sie diejenigen schützen wollen, die den Fußball für ihre gewalttätigen Exzesse missbrauchen.
    Büüsker: BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, der ist in den letzten Monaten mit vielen spöttischen Bemerkungen über RB Leipzig aufgefallen, auch mit durchaus ablehnenden Bemerkungen. Wieviel Verantwortung trägt er an der Eskalation vom Wochenende?
    Jäger: Ich glaube, zum Fußball gehört sportlicher Wettbewerb, Konkurrenz auf den Platz wie neben den Platz. Das darf doch niemals Rechtfertigung sein für diese Chaoten, Steine in Richtung von Familien zu werfen. Da glaube ich, für niemanden darf es Rechtfertigung sein, gewalttätig zu werden, und wir müssen das tun, was man mit Gewalttätern machen muss: sie ermitteln, sie bestrafen, sie ins Gefängnis sperren und möglichst nie wieder ins Stadion zu lassen.
    Büüsker: Aber meine Frage war ja, ob Hans-Joachim Watzke Öl ins Feuer gegossen hat.
    Jäger: Es ist doch das Salz in der Suppe im sportlichen Wettbewerb, möglicherweise auch den eigenen Verein über den anderen zu stellen. Noch mal: Das darf doch niemals Rechtfertigung für diese Straftäter sein, so etwas zu begehen.
    Büüsker: … sagt Ralf Jäger, Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Wir haben über die Fankrawalle in Dortmund und die Folgen der Polizeibelastung gesprochen. Danke, Herr Jäger!
    Jäger: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.