Archiv

Gefahrenpotential Starkregen
Stresstest gegen Hochwasser

Hochwassergefahr besteht auch in Regionen, in denen es normalerweise gar kein fließendes Gewässer gibt. Mit hydraulischen Berechnungen könnten Gemeinden simulieren, wie sich Starkregen verhalte und dann Maßnahmen ergreifen, sagte Wasserbau-Experte Boris Lehmann im Dlf. Für Hausbesitzer gebe es Checklisten im Internet.

Boris Lehmann im Gespräch mit Ulrich Blumenthal |
    Baden-Württemberg, Hochdorf: In einer nach einem Starkregen überschwemmten Tiefgarage stehen Fahrzeuge unter Wasser.
    Baden-Württemberg, Hochdorf: In einer nach einem Starkregen überschwemmten Tiefgarage stehen Fahrzeuge unter Wasser (dpa/Picture Allianz/Alexander Wölfl)
    Ulrich Blumenthal: Auf Hitzetage folgen heftige Gewitter und sintflutartige Regengüsse, diese Mixtur war hierzulande in den letzten Wochen oft zu erleben. Die Folgen: lokale Überschwemmungen mit hohen Schäden. Was kann man tun, um sich künftig für solche Ereignisse zu wappnen?
    Boris Lehmann: Grundsätzlich versucht man im Rahmen des Hochwasserschutzes die Anlieger, also die Bewohnerinnen und Bewohner an Fließgewässern, vor sehr hohen Wasserständen in den Flussläufen selbst zu schützen. Dafür gibt es klassische, traditionelle Maßnahmen wie zum Beispiel Deichanlagen oder auch den Rückhalt des Wassers in Form von Rückhaltebecken, die vor Ortschaften positioniert sind. Bei den Hochwasserereignissen, die sich hier infolge des Starkregens bilden, verhält es sich ganz anders: Es regnet auf eine kleine Fläche sehr konzentriert und sehr heftig, und das führt dazu, dass das Wasser sich jetzt Abflusspfade sucht jenseits der eigentlichen Bäche und Flussläufe.
    Das heißt, Starkregenereignisse führen zu sehr, sehr drastischen Wasserabflüssen entlang von Straßen, entlang von Geländevertiefungen oder Mulden, wo sonst eigentlich normalerweise gar kein Wasser in der Heftigkeit fließt. Und das führt natürlich zu dem Problem, dass eine Hochwassergefahr entsteht in Regionen, wo normalerweise gemäß eines Fließgewässers gar kein Hochwasser ist. Was können jetzt Gemeinden tun, um sich vor solchen Starkregenüberflutungen zu schützen? Nun, Gemeinden könnten vielleicht hergehen und so eine Art Stresstest machen, das heißt, auf Basis von hydrologischen und hydraulischen Begutachtungen und Berechnungen kann man einfach mal simulieren, wie sich ein Starkniederschlagsereignis mengenmäßig verhält und wie sich das Regenwasser dann konzentriert in einer Ortslage verteilt.
    Ein Teil des Wassers wird versickern, ein Großteil wird in der Kürze und Heftigkeit des Ereignisses gar nicht zur Versickerung kommen, sondern oberflächlich abfließen. Und dann kann man herausfinden, was sind da die prägnanten Fließpfade und besteht dort die Gefahr, dass beispielsweise ein Kanalsystem vollläuft, überläuft, kollabiert und das Wasser dann aus den Kanälen rauskommt, den Leuten ins Haus fließt? Oder besteht die Gefahr, dass das stark abfließende Regenwasser sich in Garageneinfahrten, Tiefgaragen oder in Oberlichtern von tief liegenden Wohnungen ergießt? So was können Gemeinden machen.
    Topografische Gefährdungsanalyse
    Blumenthal: Wo macht man so was oder wer kann diese Daten, diese Simulation dann zur Verfügung stellen und rechnen?
    Lehmann: Solche Simulationen werden angeboten und werden auch durchgeführt von klassischen Ingenieurbüros, die im Bereich Wasserbau und Wasserwirtschaft tätig sind. Und die nutzen eben hydrologische Modelle, um die Starkregenmenge zu quantifizieren, und koppeln diese Modelle mit hydraulischen Modellen, die in der Lage sind, wenn eine gewisse Wassermenge jetzt quasi durch das Regenereignis in einer Ortschaft auftrifft, wie verteilt sich diese Wassermenge. Da spielt so eine Art topografische Gefährdungsanalyse eine Rolle, also dass die Topografie einer Ortslage eine wichtige Rolle spielt als auch die vorhandenen Fließpfade, und welche Hindernisse da im Weg stehen, die im Schadensfall dann letztendlich einen Aufstau verursachen können, was dann zu Schädigungen von Bauwerkstrukturen führt, was so gar nicht vorgesehen war.
    "Versiegelungen tunlichst vermeiden"
    Blumenthal: Eine Diskussion ist ja immer wieder die um die Versiegelung der Landschaft. Spielt die eine Rolle bei diesen lokalen Hochwasser- und Starkregenereignissen, oder eine andere Rolle, dass die Böden sehr trocken sind und das Wasser eigentlich gar nicht aufnehmen, sondern dass es an der Oberfläche sozusagen regelrecht abperlt?
    Lehmann: Also der erste Punkt ist die Versiegelung von Flächen und Landschaften. Das spielt eine sehr wichtige Rolle insbesondere, wenn wir von klassischen Hochwasserereignissen entlang eines Fließgewässers sprechen. Wenn man da dann die Gewässervorländer peu à peu versiegelt, dann kann das Wasser natürlich diesen Raum nicht mehr nutzen, um auszuufern, und kommt dementsprechend geballter bei den Unterliegern an. Da sollte man also solche Versiegelungen tunlichst vermeiden.
    Innerhalb von Ortslagen ist natürlich die Versiegelung per se sehr vehement gegeben, weil sich da Infrastruktureinrichtungen wie Gebäude, Straßen, Zuwegungen, Leitungen befinden, die entsprechend dann modelliert worden sind von uns Menschen. Letztendlich ist es aber für das Starkregenereignis gar nicht so ausschlaggebend, ob die Fläche jetzt versiegelt ist oder ob das brachliegender Boden ist, denn das Regenereignis kommt so heftig, da kommen so große Wassermengen so heftig, dass die physikalisch kaum in kurzer Zeit effektiv versickern können. Das heißt, ob der Boden jetzt total ausgetrocknet ist oder bereits komplett vernässt ist, hat im Zusammenhang mit diesen drastischen Gewitterniederschlägen jetzt nicht so die schützende Wirkung.
    Checkliste zum Schutz vor Starkregen für das Haus
    Blumenthal: Am Wochenende fand die Sächsische Hochwasserschutztagung in Bad Schandau statt. Und ein Ergebnis, eine Aussage war, die Bevölkerung soll für die private Hochwasservorsorge sensibilisiert werden. Wie und wohin soll man denn die Bevölkerung sensibilisieren in den Dörfern und Gemeinden, um sich vor solchen lokalen und überraschenden Ereignissen zu schützen?
    Lehmann: Letztendlich kann man die Bevölkerung aufrufen, sich quasi selbstständig auch so ein bisschen gegen Starkregenereignisse zu schützen. Da geht es dann wasserbaulich gesprochen eigentlich um den klassischen Objektschutz, das heißt, die Bürgerinnen und Bürger kann man erst mal für die Gefahr an sich sensibilisieren und dann kann man die Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich ihr eigenes Objekt, ihr eigenes Haus, ihre eigene Wohnung mal genau anzuschauen und so ein bisschen zu schauen, wo gibt es denn mögliche Zutrittswege für das Wasser.
    Das können Fenster- und Türöffnungen sein, das können Lichtschächte oder Kellerfenster sein, das kann ein Rückstau des Wassers aus dem Kanalnetz heraus in das Haus sein, das können aber auch Undichtigkeiten beispielsweise bei der Dachentwässerung, den Dachläufen oder den Regenrohren sein oder halt auch eine Durchnässung von Außenwänden.
    Und für all diese Aspekte, die ich eben genannt habe, gibt es natürlich dann mögliche Maßnahmen, die man vorsorglich treffen kann, dass im Falle eines solchen Starkregenereignisses und im Falle, dass da ein entsprechender Ansturm von Wasser kommt, so ein Gebäude entsprechend geschützt ist. Und das kann jeder für sich selber machen und dazu gibt es halt auch im Internet jetzt bereits eine ganze Liste an Empfehlungen, die auch gut verständlich aufbereitet sind, wo man sein Grundstück oder sein Haus gegen solche Starkregenüberflutungen bis zu einem gewissen Maß ganz gut schützen kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.