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Gefangen bei den Separatisten
Ein wertvolles Tauschobjekt und gut für die Propaganda

Wieder einmal trifft sich die sogenannte Minsk-Kontaktgruppe. Dort streiten die Parteien immer noch über den Waffenstillstand und den Austausch von Gefangenen, von denen es auf beiden Seiten mehr als Hundert gibt. Wie lange Gefangene grundlos ausharren müssen, zeigt der Fall der pro-ukrainischen Luhansker Journalistin Maria Warfolomejewa.

Von Florian Kellermann |
    Die ukrainische Journalistin Maria Warfolomejewa (Mariya Varfolomeyeva) war mehr als ein Jahr in der Gefangenschaft von Rebellen. Sie wurde Anfang März 2016 freigelassen. Soie spricht auf einer Pressekonferenz am 16. März 2016 in Kiew.
    Die ukrainische Journalistin Maria Warfolomejewa nach ihrer Freilassung. (imago/ZUMA Press)
    Maria Warfolomejewa kommt bedrückt aus dem Konsulat der Tschechischen Republik in Kiew. Die tschechische Organisation "People in Need" hat sie nach Brüssel eingeladen, ins EU-Parlament, und sie braucht ein Visum. Maria bittet um einen Moment Geduld und wählt nervös eine Telefonnummer.
    Die zerbrechlich wirkende Frau muss ausgerechnet die Separatisten in Luhansk um Hilfe bitten, die sie 15 Monate lang gefangen hielten. Diese haben noch ihren alten Pass - und das Konsulat will unbedingt die Kopie eines alten Schengen-Visums.
    Fast zwei Monate ist Maria nun frei, aber die Schatten der Gefangenschaft holen sie immer wieder ein. Manchmal spüre sie Kältewallungen, obwohl in der Frühlingssonne spaziert, erzählt sie in einem Café ein paar hundert Meter weiter: "Es ist, wie wenn Du Dir einen Finger oder das Bein brichst. Am Anfang stehst Du unter Schock und spürst nichts. Du kannst sogar noch ein Stück weit rennen, bis der Schmerz kommt. Ich fange erst an zu verstehen, dass es sehr schwer wird für mich. So viele Informationen, so viele Ereignisse um mich herum, damit kann ich noch sehr schwer umgehen."
    Austausch medial inszeniert
    Die ganze Nation sah die Aufnahmen vom Gefangenenaustausch: eine einsame, kaputte Straße in karger Landschaft, vorne und hinten Männer mit Maschinengewehren. Mit einer großen Tasche über der Schulter geht sie auf die ukrainische Delegation zu, sie macht einen weiten Schritt über eine Reihe von Panzerminen. Ihr entgegen kommt ein junger Mann, ein russischer Staatsbürger, er hatte im Donezkbecken für die Separatisten gekämpft.
    Dann Beifall, Blumen für Maria und ein Anruf vom ukrainischen Präsidenten Poroschenko. Die Abgeordnete von dessen Partei Irina Heraschtschenko sagt in die Kameras: "Wir haben ein Jahr lang darum gekämpft, Maria zu befreien. Der Präsident hat sich persönlich darum gekümmert. Bei den Treffen der Kontaktgruppe in Minsk haben wir das Thema immer wieder angesprochen. Um unsere Heldin zu befreien, hat der Präsident große Menschlichkeit bewiesen und einen Straftäter begnadigt."
    Ob der Präsident die Aktion nicht auch für sein persönliches Image genutzt habe? Die junge Frau sieht das nicht so. Ihr Land habe sie befreit, sagt sie. "In der Gefangenschaft gab es auch einen Plan, wann ich aufs Klo durfte. Dabei habe ich als erstes immer das Fenster aufgemacht und die Luft eingeatmet, die verschiedenen Gerüche. Mal riecht die Luft nach Gras, mal nach Laub. Und dann ging es zurück, in die graue Kellerwelt."
    Andere Häftlinge wurden mit Strom gefoltert
    Maria arbeitete als Journalistin für eine Luhansker Zeitung. Eines Tages bat sie ein Bekannter, Fotos von einem Haus zu machen. Bis heute weiß sie nicht - warum. Sie hat keine Ahnung, dass dort separatistische Kämpfer wohnen. Maria wird vom Fleck weg verhaftet. Eine Spionin sei sie, heißt es, eine Person, die dem Feind Koordinaten durchgibt, damit der genauer treffen kann. "Die Leute, die mich verhört haben, haben schnell verstanden, dass ich unschuldig bin. Aber je mehr in der Ukraine über mich berichtet wurde, desto wertvoller wurde ich als Tauschobjekt. Außerdem konnten die Separatisten mich gut für ihre Propaganda gebrauchen. Schaut her, solche Leute wie diese hier sind schuld an eurem Unglück, sie helfen der ukrainischen Regierung, ihre eigenen Mitbürger zu töten, haben sie gesagt."
    Auch ihre Texte machten Maria nicht gerade beliebt bei den Separatisten: Sie hatte berichtet, wie deren Anführer Hilfspakete nicht etwa an die Menschen verteilten. Sie verkauften sie an Einzelhändler.
    Immer wieder trifft Maria auf russische Staatsbürger unter den separatistischen Kämpfern. Russischen Journalisten muss sie sogenannte Interviews geben. Die Aufnahmen, auf denen sie wie geprügelt auf einem Stuhl sitzt, stehen bis heute im Internet. Körperlich allerdings sei sie kaum angegriffen worden, sagt Maria. "Aber die anderen Häftlinge, alles Männer, wurden mit Strom gefoltert und geschlagen. Auch Erstickungsspiele mussten sie erleiden. Sie haben ihnen eine Gasmaske aufgesetzt und, wenn sie nach Luft schnappten, ihnen Tränengas eingeflößt. "
    Über ähnliche Foltermethoden berichtete auch der Russe, der gegen Maria ausgetauscht wurde, aus dem ukrainischen Gefängnis.
    Wenig Optimismus für das Donezbecken
    Immer wieder platzte der Austausch, obwohl es nach den Minsker Vereinbarungen schon lange gar keine Gefangenen mehr geben dürfte: "Einen Tag, bevor es dann geklappt hab, habe ich die Bibel aufgeschlagen, und da stand ganz zufällig: Der Gefangene wird bald losgelassen, aus Jesaja Kapitel 51, Vers 14, ist das. Das war wie ein Wunder für mich. Gott hat mich die ganze Zeit unterstützt, ich habe immer wieder genau die richtigen Bibelzitate für meine Lage gefunden." Diese Erfahrung möchte sie unbedingt weitergeben, betont Maria, sie mache ihr Hoffnung.
    Weniger optimistisch blickt sie dagegen auf das Donezbecken: "Natürlich wünsche ich mir, dass meine Stadt Luhansk wieder eine normale ukrainische Stadt wird. Aber die Leute dort sind eben schon getäuscht und glauben, dass die ukrainische Regierung die Bevölkerung getötet hat. Fett mischt sich nicht mit Wasser, so auch hier: Sie werden sich nie mehr zugehörig fühlen."
    Wieder draußen geht Maria zur U-Bahn-Station, kurz vor dem Eingang dreht sie plötzlich um. Nein, sie könne die Menschenmassen da noch nicht ertragen, sagt sie - und nimmt lieber einen halbstündigen Fußweg in Kauf.