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Gefangenendilemma mit Gefangenen

Mit dem sogenannten Gefangenendilemma simulieren Wirtschaftswissenschaftler Situationen, in denen zwei Parteien entweder kooperieren oder nicht - ohne gegenseitiges Wissen. Dieses Gedankenexperiment haben Hamburger Forscher nun erstmals mit echten Gefangenen durchgeführt.

Von Stefanie Schramm |
    Das Gefangenendilemma - hinter diesem Begriff verbirgt sich ein klassisches Gedankenexperiment: Die Polizei verdächtigt zwei Personen, gemeinsam ein Verbrechen begangen zu haben, beweisen kann sie es aber nicht. Sie verhört die Verdächtigen getrennt. Schweigen die beiden, bekommen sie nur eine kleine Strafe für andere Delikte. Gestehen beide, bekommen sie eine mittlere Strafe, weil sie mit der Polizei kooperiert haben. Gesteht aber nur einer, geht er als Kronzeuge straffrei aus – der andere jedoch erhält die Höchststrafe.

    Es gibt also für jeden der beiden einen Anreiz, auszupacken. Für beide zusammen wäre es jedoch am klügsten, den Mund zu halten. Seit 60 Jahren benutzen Wirtschaftswissenschaftler das Gefangenendilemma, um Kooperationssituationen zu untersuchen. Inzwischen machen sie dazu auch Versuchsreihen, meist mit Studenten. Jetzt haben zwei Forscher von der Universität Hamburg das Experiment erstmals mit rechtskräftig verurteilten Gefangenen durchgeführt.

    "Das war natürlich eine Motivation, das zu machen. Eine andere Motivation war die Überlegung, was bei Studierenden passiert, muss nicht bei anderen Bevölkerungsgruppen passieren. Und dementsprechend dann die Überlegung, das auch mit Strafgefangenen zu testen."

    Andreas Lange und Menusch Khadjavi bauten im Frauengefängnis Vechta ein kleines Labor mit Laptops auf, die durch Stellwände voneinander getrennt waren. Auf den Computern spielten 90 Inhaftierte das Kooperationsspiel paarweise durch. Dabei konnten sie nicht sehen, wie sich die jeweils andere entscheidet. Allerdings ging es hier nicht um Schweigen oder Gestehen, sondern ganz neutral um eine Entscheidung für die Option A oder die Option B.

    Und zu gewinnen gab es keine Verkürzung der Haftstrafe, sondern Guthaben für die Telefonkarte. Wählten beide die Option A, bekamen sie einen mittleren Betrag; wählten beide B, bekamen sie bloß einen kleinen Betrag. Wählte aber nur eine B, erhielt sie ein sehr hohes Guthaben, während die andere fast nichts bekam. Zur Kontrolle machten die Forscher dasselbe Experiment mit Studentinnen an der Uni Hamburg. Das Ergebnis hätten sie so nicht erwartet, sagt Lange:

    "Es ist natürlich schon überraschend, dass die Gefangenen sich kooperativer verhalten als Studierende. Es gab einige Studien, die suggerierten, dass Strafgefangene vielleicht etwas weniger kooperativ, etwas weniger sozial agieren als der Durchschnittsbürger. Das wurde jetzt hiermit widerlegt."

    Von den Strafgefangenen kooperierten 56 Prozent mit ihrer jeweiligen Partnerin, von den Studentinnen nur 37 Prozent. Die Häftlinge verdienten deshalb ein höheres Guthaben.

    "Es gibt auch andere Hypothesen, dass aufgrund dieser besonderen Situation im Vollzug, dieser Gruppendynamik, die sich dort ergibt, dass vielleicht auch kooperativeres Verhalten sich ergibt."

    Diese Annahme hat das Hamburger Experiment nun bestätigt. Vor den Versuchen im Gefängnis hatten sich die Wirtschaftswissenschaftler durchaus einige Sorgen gemacht.

    "Gewisse Bedenken gab es natürlich. Eine Frage war, wie das mit der Disziplin in der Gruppe funktioniert, inwiefern nicht vielleicht eine Person aufsteht und den Raum verlassen möchte oder auf andere Art und Weise das Experiment boykottiert."

    Doch es ging alles glatt.

    "Ich denke auch, dass es den Teilnehmerinnen sogar ein bisschen Spaß gemacht hat, weil sie in eine ungewohnte Entscheidungssituation gebracht worden sind. Entsprechend hatten wir auch im Nachhinein nur positives Feedback."

    Die Gefängnisleitung war sogar ein bisschen stolz, dass die Inhaftierten besser abgeschnitten hatten als die Studentinnen. Besondere Vergünstigungen gab es dafür aber nicht.