Kurnaz war von 2002 bis 2006 in Guantanamo interniert. Wie auch bei den anderen Gefangenen gab es gegen ihn keine Anklage. Er sei gefoltert worden und habe nie gewusst, ob er der Hölle entrinnen könne, schilderte Bernhard Docke den Fall im Deutschlandfunk. Guantanamo sei ein künstlich rechtsfrei geschaffener Raum ohne Regeln.
Auch US-Präsident Barack Obama hatte Guantanamo bei seinem Amtsantritt als rechtlich ausgesprochen fragwürdig bezeichnet. Docke sagte, er sei damals optimistisch gewesen, dass Obama das Lager schließen wolle. Zwar seien 200 Inhaftierte entlassen worden, aber acht Jahre später seien immer noch 60 Gefangene da. Obama habe das politische Momentum nach seinem Amtsantritt nicht genutzt, sondern lange gezögert, bis sich die Mehrheiten im Kongress zu seinen Ungunsten verändert hatten. "Er hat sich selbst das Leben schwer gemacht, und insofern kann er sich nicht allein mit dem Kongress entschuldigen", sagte Docke.
Die USA hatten Deutschland im September 2002 angeboten, Dockes Mandanten Murat Kurnaz zurückzunehmen. Frank-Walter Steinmeier habe dies damals in seiner Funktion als Kanzleramtschef in Übereinstimmung mit den Chefs der Sicherheitsdienste abgelehnt, obwohl sowohl deutsche als auch amerikanische Experten von der Unschuld Kurnaz' überzeugt gewesen seien. Das hafte an Steinmeier wie ein diplomatischer Mühlstein, sagte Docke. Er sieht eine moralische Mitschuld Deutschlands in Person von Steinmeier. Dieser habe sich bis heute nicht dafür entschuldigt, sondern erklärt, dass er unter gleichen Bedingungen wieder so handeln würde. Kurnaz durfte erst 2006, vier Jahre später, nach Deutschland zurückkehren.
Das Gespräch in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Noch US-Präsident Barack Obama ist auf Abschiedstour durch Europa. Nach einem Besuch in Griechenland kommt er heute nach Deutschland zum Besuch in Berlin. Morgen steht da unter anderem ein Treffen mit der Kanzlerin an, die Obama ja Anfang der Woche noch als wichtigste Verbündete seiner Amtszeit bezeichnete. Und im Angesicht seines Nachfolgers Donald Trump, der hier in Deutschland ja wenig wohlgelitten ist, da scheint es, als würden wir uns vor allem an das Positive an Obamas Amtszeit erinnern, die aber auch von Rückschlägen durchzogen ist.
Eines seiner größten Projekte, das konnte er in zwei Amtszeiten nicht durchsetzen, weil der politische Rückhalt fehlte, nämlich die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo. Etliche Gefangene wurden zwar in andere Länder überstellt, aber das Lager existiert nach wie vor. Einer der ersten Gefangenen dieses Lagers ist der Bremer Murat Kurnaz. Er war hier unter der Regierung Bush von 2002 bis 2006 interniert. Am Telefon ist jetzt Bernhard Docke, der Anwalt von Kurnaz. Guten Morgen, Herr Docke.
Bernhard Docke: Guten Morgen, Frau Büüsker.
Büüsker: Herr Docke, bevor wir über die politische Dimension von Guantanamo sprechen, würde ich gerne zunächst noch mal einen Blick in das Lager selbst werfen. Ihr Mandant hat Ihnen ja umfangreich geschildert, was ihm dort widerfahren ist. Wie waren die vier Jahre Haft für Murat Kurnaz?
Docke: Er ist damals durch die Hölle gegangen. Guantanamo ist ein künstlich rechtsfrei geschaffener Raum, ohne Verfahrensrechte, mit Folter, also ein absoluter Kulturbruch und Rechtsbruch mit dem internationalen Recht, und Obama hat Guantanamo ja zurecht als rechtlich ausgesprochen fragwürdig, als gegen US-Werte verstoßend, als die amerikanische Reputation unterlaufend und als ausgesprochen teuer bezeichnet. Jeder Gefangene kostet dort im Jahr über sieben Millionen Dollar.
Herr Kurnaz hat damals Folter erlebt und es ist für ihn die absolute Härte gewesen, weil er nie wusste, ob er dieser Hölle irgendwann entrinnen kann. Zum Glück hat es dann 2006 geklappt.
"Die Enttäuschung ist groß"
Büüsker: Als Sie gehört haben, dass Obama Guantanamo schließen will, welche Erwartungen hat das bei Ihnen geweckt?
Docke: Ich war da sehr optimistisch, dass er das macht. Er ist Verfassungsrechtler, er weiß genau, dass dieses Lager ein Bruch mit internationalem und amerikanischem Recht ist, und er hat mit großem Schwung direkt nach den Wahlen quasi als erstes verkündet, ich werde dieses Lager schließen. Und in dem Moment hatte ich keinen Zweifel, dass der Rechtsstaat nach Guantanamo kommt. Die Enttäuschung ist groß. Nach acht Jahren sind immer noch 60 Gefangene da und das Lager existiert.
Büüsker: Was bedeutet das für die Rechtsstaatlichkeit der USA, dass es das Lager immer noch gibt?
Docke: Obama sagt ja selbst, das untergräbt unsere internationale Glaubwürdigkeit. Wenn wir, die USA, irgendwo für Menschenrechte Werbung machen, wird uns als erstes Guantanamo entgegengehalten, und das zurecht. Er hat es zwar geschafft, dass in seiner Amtszeit etwa 200 Gefangene entlassen wurden, aber 60 sind immer noch da.
Innerhalb der 15 Jahre hat es nur insgesamt zehn Verfahren vor rechtlich sehr fragwürdigen Militärkommissionen gegeben, bei 780 Gefangenen ein Armutszeugnis. Hier werden Leute dauerhaft allein durch eine Entscheidung der Exekutive - die haben nie einen Richter gesehen - festgehalten, und das ist ein absoluter Verstoß gegen geltendes Recht.
"Obama hat das politische Momentum und seines Schwungs direkt nach den Wahlen nicht zeitnah genutzt"
Büüsker: Wie erklären Sie sich dann, dass Obama die Schließung trotzdem nicht durchsetzen konnte?
Docke: Er entschuldigt sich mit den harten Restriktionen, die der Kongress ihm auferlegt hätte. Das ist allerdings etwas zu einfach gedacht. Obama hat einfach das politische Momentum und seines Schwungs direkt nach den Wahlen nicht zeitnah genutzt, um diesen Knoten durchzuhauen. Er hat zu lange gezögert, bis sich Mehrheitsverhältnisse im Kongress geändert haben. Er hat dann offenbar nicht den politischen Mut gehabt, einen großen Schnitt zu machen, und mit zunehmender Zeit kippte dann auch die öffentliche Stimmung in den USA und es wurde immer schwieriger.
Obama hat dann gegen juristische Erfolge, die die Gefangenen vor amerikanischen Gerichten erzielt haben, Rechtsmittel eingelegt, auch ein Unding gewesen, und Obama hat für alle Jemeniten - und das war ein Großteil der Gefangenen in Guantanamo - einen Bann verhängt, dass sie nicht mehr in den Jemen zurückgeführt werden können, obwohl sie mittlerweile von entsprechenden Kommissionen für ungefährlich und transferierbar gehalten wurden. Er hat sich selbst das Leben schwer gemacht und insofern kann er sich nicht allein mit dem Kongress entschuldigen.
Büüsker: Es ging dann ja auch darum, wohin mit den Gefangenen, wenn sie nicht zum Beispiel in den Jemen zurückkehren konnten. Hat hier die internationale Gemeinschaft auch nicht genug Unterstützungsarbeit geleistet?
Docke: Ja, das kann man so sagen. Auf der anderen Seite betreiben die USA ja auch keine besonders überzeugende Werbung, wenn sie sagen, ja, wir haben die Gefangenen geprüft, die sind ungefährlich, wir selber nehmen sie aber nicht auf, sondern wir wollen sie gerne in anderen Ländern parken. Das ist natürlich nicht besonders überzeugend.
"Insofern besteht hier sicher eine moralische Mitschuld Deutschlands in der Person von Frank-Walter Steinmeier."
Büüsker: Im Fall Murat Kurnaz, im Fall Ihres Mandanten, da soll Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier damals 2002, als die Möglichkeit bestanden hätte, ihn frei zu bekommen, die Rückkehr von Kurnaz abgelehnt haben nach Deutschland. Wie sehr haftet das aus Ihrer Sicht heute noch an Frank-Walter Steinmeier?
Docke: Ja, das haftet an ihm. Wie ein moralischer Mühlstein hängt ihm das um den Hals. Wir haben klare Dokumente, dass die Amerikaner damals im September 2002, also schon sehr früh die Intention hatten, Kurnaz nach Deutschland zu überstellen, und Frank-Walter Steinmeier als damaliger Kanzleramtsminister hat an der Spitze des Kanzleramtes damals in Übereinstimmung mit den Chefs der Sicherheitsdienste entschieden, dass Kurnaz nicht nach Deutschland einreisen darf, obwohl sowohl deutsche wie amerikanische Experten von der Unschuld und Ungefährlichkeit Kurnaz ausgegangen sind.
Büüsker: Hat er sich damit mitschuldig gemacht an dem, was Ihrem Mandanten passiert ist?
Docke: Die Folge war, dass Kurnaz dann erst vier Jahre später aus Guantanamo nach Deutschland zurückkehren konnte. Insofern besteht hier sicher eine moralische Mitschuld Deutschlands in der Person von Frank-Walter Steinmeier. Und er hat sich bis heute nicht dafür entschuldigt, sondern damals, ich glaube, gegenüber dem "Spiegel" erklärt, dass er unter gleichen Bedingungen wieder so handeln würde.
Büüsker: … sagt Bernhard Docke, der Anwalt von Murat Kurnaz. Vielen Dank für dieses Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk, Herr Docke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.