Setz dich, setz dich, sagt die Frau. Doch sie hat gut reden. Sie drückt den Passagier in eine schlaff herabhängende Stoffmatte, die wenig Halt gibt. Der Plan ist, auf der Matte sitzend ein Drahtseil entlang zu sausen, eine tiefe Schlucht zu überqueren. Der Mut schwindet. Da hilft auch der atemberaubende Blick auf das türkisfarbene Wasser des Nu-Flusses in der südwestchinesischen Provinz Yunnan nichts. Doch zu spät. Die Dame, auf einer eigenen Matte neben dem Gast, stößt beide lachend ab. Los geht’s!
Die Flussüberquerung dauert nur 20 Sekunden. Kurz, doch genug Zeit, um für einen Augenblick diese Landschaft ganz zu erfassen, quasi durch sie hindurch zu fliegen. Links und rechts führen die steilen Bergwände schier endlos hinauf in den blauen Himmel. Sie sind teilweise bewaldet, teilweise von Bauern für die Landwirtschaft terrassiert. An den Hängen kleben einzelne Holzhäuser, aus denen Rauch aufsteigt. Tief unten, gurgelnd und klar, da fließt der Nu. Er strömt vom tibetischen Hochland herab, entlang der Grenze mit Myanmar. Das Gletscherschmelzwasser erzeugt im Winterhalbjahr diese schier unwirkliche Flussfarbe.
Die 43-jährige Aqia, eine energische Frau mit streng zusammengebundenem Haar, betreibt die Querungsstation seit 20 Jahren, erzählt sie. Aqia spricht die Sprache der Lisu, einer von sechs Volksgruppen, die hier am Nu zu Hause sind.
"Hier gibt es schon seit über 100 Jahren ein Drahtseil. Acht Personen können den Fluss gleichzeitig an einem Haken überqueren. Ganz früher war das Seil nicht aus Draht, sondern aus Bambus. Das war gefährlich. Die Regierung überprüft das Seil regelmäßig. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, darf man nicht überqueren."
Menschen, Ziegen, ja selbst Pferde und Maultiere wurden hier Jahrhunderte lang an Haken befestigt, wechselten mittels des Seils die Talseite. Heute sind nur noch wenige Seile in Betrieb. Die Regierung hat Brücken gebaut. In einigen Jahren könnten aber auch diese obsolet sein, so wie überhaupt fast alles hier. Die enge 300 Kilometer lange Nu-Schlucht soll de facto in ein einziges großes Wasserkraftwerk verwandelt werden. Eine Kaskade von fünf Staudämmen ist geplant. Das Tal wird sich mit Wasser füllen. Gerüchte kursieren unter den Bauern rings um die Drahtseilstation. He Yong wohnt ein paar Häuser weiter.
"Ich habe gehört, dass das Wasser über 300 Meter hochsteigen wird. Bis da hoch auf den Berg, wo der Signalturm steht. Aber ich mache mir keine Sorgen. Wir vertrauen der Regierung. Wir tun, was uns die Partei sagt. Wenn sie sagt, dass wir umziehen sollen, ziehen wir um. Ich kann auch hoch in die Berge ziehen. Ich will nur nicht allzu weit weg.""
300 Meter mag etwas hoch gegriffen sein. Doch die Staumauern werden wohl riesenhafte Bauwerke sein, glaubt auch der Umweltschützer Yang Yong aus Chengdu. Anders als viele Bauern am Nu ist er entschieden gegen die Staudämme.
"Typischerweise bauen sie heute die Staudämme so hoch wie möglich, um die Wasserkraft voll auszunutzen. Die Stauseen und die gefluteten Flächen werden riesig sein. Das Nu-Tal ist eine Schlucht. Ein großer Teil davon wird verschwinden, ebenso die meisten bewohnten Gebiete auf beiden Seiten des Tals. Die Landschaft wird vollkommen anders aussehen."
Der Nu fließe zudem durch ein seismisch hoch aktives Gebiet, so Yang Yong. Die Dämme könnten zusätzliche Erdbeben auslösen. Seit vielen Jahren schon existieren Pläne, den Nu, den letzten großen frei fließenden Fluss in China, mit Staudämmen zur Stromgewinnung zu überziehen. Dreizehn Stück sollten es ursprünglich werden. Im Jahr 2004 schaltete sich der damalige Premier Wen Jiabao persönlich ein, legte das Projekt auf Eis. Doch während des Moratoriums liefen die Vorbereitungen weiter. Im Januar wurde nun der Baustopp aufgehoben. Fürs Erste sollen in den kommenden Jahren fünf Staudämme entstehen. Wann die Arbeiten beginnen, ist aber noch unklar, sagte der Parteichef der Provinz Yunnan, Qin Guangrong, beim Nationalen Volkskongress in Peking im März.
"Wir bereiten das Wasserkraftprojekt am Nu-Fluss schon seit Jahrzehnten vor. Wir diskutieren noch immer über die Details. Wir werden mit dem Bau erst beginnen, wenn die Regierung unseren Plan gebilligt hat, wenn die Bevölkerung umgesiedelt und wenn die Umweltstudie fertig ist."
Umweltschützer kämpfen gegen Staudämme
Klar ist, dass gebaut wird. Offen ist nur noch das wann. Das Nu-Tal, das ist geologisch betrachtet nichts anderes als eine Falte in einer gigantischen Knautschzone. Der indische Subkontinent drückt von Süden her gegen die eurasische Landmasse. Dabei hat sich im Norden das Himalaya-Gebirge aufgetürmt. Etwas weiter östlich, auf dem Gebiet der chinesischen Provinz Yunnan, sind dabei Faltenwürfe entstanden, als wäre die Erde geraffter Stoff. Diese Falten verlaufen parallel zueinander in Nord-Süd-Richtung. Drei der großen Flüsse Asiens fließen hier in Tälern nebeneinander, getrennt durch hohe Berggipfel: Der Jangtse, der Mekong und der Nu, weiter flussabwärts in Myanmar, dem früheren Birma, bekannt als Salween. Die engen abschüssigen Täler sind ideal für die Wasserkraft.
"Hier gibt es 470 Vogel- und mehr als 300 Säugetierarten. Wir haben allein mehr als 100 verschiedene Eidechsen. Hier in unserem Reservat ist das wichtigste Tier der streng geschützte Takin, eine Ziegenart. Die Takins leben hoch oben in den Bergen. Weiter unten sind die roten Pandas. Wir haben schwarzhalsige und langschwänzige und auch weiße Fasane. Das sind alles seltene Tiere."
Shi Xiaochun ist Naturschützer. Er arbeitet im Gaoligongshan-Naturpark. Hoch über dem Nu-Tal in den Bergen hat die Regierung dieses Naturreservat eingerichtet auf einer Fläche von 1200 Quadratkilometern. In großen Teilen Yunnans sind die Wälder heute bereits abgeholzt. Zumindest hier oben soll der natürliche Lebensraum der Pflanzen und Tiere erhalten bleiben. Bauern, die hier einst lebten, wurden von den Behörden in tiefere Lagen umgesiedelt. Die Naturschützer haben einen wahren Schatz zu verwalten. Die Region der "Drei Parallelen Flüsse", wie sie heißt, ist ein von der Unesco anerkanntes Weltnaturerbe. Tiefe Schluchten mit mildem Klima wechseln sich ab mit eisigen Berggipfeln auf 6000 Meter Höhe. Tier- und Pflanzenwelt, so die Unesco, sind hier vielfältiger als irgendwo sonst in der gemäßigten Klimazone. Der Grund dafür ist die geografische Lage der Region, sagt Shi Xiaochun:
"Die Bergketten hier verlaufen in Nord-Süd-Richtung. Westlich liegen Myanmar, Indien und der Indische Ozean. Im Osten China. Das Klima befindet sich im Übergang zwischen Ost und West, aber auch zwischen Nord und Süd. Ebenso das Ökosystem. Hier kreuzen sich die Wanderrouten der Tiere. Viele anderswo verschwundene Arten konnten sich hier halten. Diese Region ist so etwas wie ein Schutzraum."
Wissenschaftler nennen das eine biogeografische Konvergenzzone. In der Region der "Drei Parallelen Flüsse" trifft das gemäßigt-ostasiatische Klima auf die hochalpine Welt des Tibet-Plateaus und die Ausläufer des tropischen indischen Monsuns von Süden und Westen. Das erzeugt Vielfalt. Mehr als 6000 Pflanzengattungen sind hier zu Hause, viele davon nur hier. Allein 200 Rhododendronarten gibt es und 100 Sorten Primeln. Eine Region des Übergangs und der Vielfalt, einmalig auf der Erde. Doch sie ist in Gefahr. Der Staudamm-Gegner Yang Yong.
"Als Teil der Region der "Drei Parallelen Flüsse" hat das Nu-Tal ein sehr vielfältiges Ökosystem. Wenn sich hier große Seen bilden, wird das Klima mit Sicherheit ein anderes sein. Ein reißender Fluss wird zu einem stillen See. Eine Schlucht wird zu einer großen Wasserfläche."
Nicht nur die Natur ist hier am Nu vielfältig, sondern auch die Bevölkerung. Der Kirchenchor von Xinjian hat heute Abend zum Konzert geladen. Am Eingang zur Kirche stehen die Sänger Spalier, begrüßen die Gäste mit einem Willkommenslied. Sie alle gehören der Volksgruppe der Lisu an. Ethnische Han-Chinesen sind in der Minderheit im Nu-Tal. Die Lisu sind die größte Volksgruppe in der Gegend. Mit ihrer dunkleren Haut sehen sie schon deutlich südostasiatisch aus. Auch in Thailand, Myanmar und Indien leben Lisu.
Der Chor hat ein europäisches Programm zusammengestellt. Und da tut es auch gar nicht zur Sache, dass Weihnachten schon lange vorbei ist. "Stille Nacht" auf Lisu.
"Wir sehen so glücklich aus, weil wir im Namen Gottes singen. Wir Lisu haben ein Sprichwort: Wenn jemand gehen kann, dann kann er auch tanzen. Wenn jemand sprechen kann, dann kann er auch singen. So war das schon immer hier. Wir Minderheiten hier in den Bergen singen alle. Der Unterschied ist aber, dass wir zu Gott singen."
Meint diese junge Sängerin. Viele Lisu hier im Tal sind protestantische Christen. Der britische Missionar James Fraser brachte das Christentum Anfang des 20. Jahrhunderts ins Nu-Tal. Die Lisu sind mehrheitlich Bauern. Zuckerrohr, Reis und Mais bauen sie auf den wenigen geeigneten Flächen in dem engen Tal an. Viel Geld ist dabei nicht zu verdienen. Die Gegend gehört zu den ärmsten in ganz China. Fast alle Haushalte erhalten eine Sozialhilfe von der Regierung.
Die Mitglieder des Kirchenchors wirken zufrieden, tief verwurzelt in ihrer Kultur und Region. Doch auf Nachfrage ergibt sich ein anderes Bild: Der 30-jährige Bauer und Tenorsänger Xiong Guihai erzählt:
"Vier von zehn jungen Leuten gehen zum Arbeiten weg, in die Städte oder an andere Orte hier in der Region. Meistens arbeiten sie auf dem Bau. Ich bin der einzige Sohn der Familie. Deshalb bin ich nicht weggegangen. Ich muss mich um meine Eltern und meine Kinder kümmern."
Xiong Guihai versteht nicht, was die Ausländer hier an der Nu-Schlucht interessiert.
"Hier im Dorf haben wir nur einfache Hütten. In der Stadt gibt es Hochhäuser. Da fahren sie Autos. Das können wir uns nicht leisten. Mittlerweile habe ich immerhin Autos gesehen. Lange wusste ich gar nicht, wie die aussehen. Das Leben da draußen muss so glänzend sein. Das Einzige aber, was wir jeden Tag sehen, sind Berge und Bäume. Ich hoffe, dass meine Kinder irgendwann einmal weggehen. Wenn sie bleiben, heißt das nur, dass sie nicht vorankommen."
Das ist der Grundtenor bei den Bewohnern des Tals. Noch kursieren nur ungenaue Angaben darüber, wie viele Leute für die Staudämme umsiedeln müssen. Vermutlich werden es Zehntausende sein. Alle hier unten am Fluss gehen davon aus, dass sie wegziehen müssen. Das wäre wohl das Ende des Nu-Tals, so wie es die Bewohner seit Jahrhunderten kennen. Doch viele scheint das nicht zu schrecken. Sie erhoffen sich von einer Umsiedlung ein besseres Leben. Der Bauer Li Adeng zum Beispiel:
"Wir werden umziehen müssen. Vielleicht hoch in die Berge. Ich bin mir sicher, dort wird man uns eine neue Lebensgrundlage geben. Das Land hier an den Talhängen ist steil. Der Dünger wird immer gleich hinabgespült. Man kann sich ja kaum ernähren. Keiner hat hier mehr Lust auf Landwirtschaft. Wir sind schon zu lange in dieser Schlucht gefangen. Generation für Generation wird unser Potenzial hier vergeudet."
Menschen in der Region sind arm
Die Schönheit der Landschaft, die einzigartige ethnische und religiöse Vielfalt, die Erdbebengefahr, das Ökosystem – diese Themen sind weit weg vom Leben der Menschen. Die meisten spekulieren auf eine großzügige Entschädigung im Zuge der Staudammprojekte. Sie kennen vermutlich nicht die Geschichten vom großen Drei-Schluchten-Staudamm, von den gebrochenen Versprechen der Regierung, den versickerten Entschädigungszahlungen, den Umsiedlungen in fremde Gegenden ohne Arbeit. Der Glaube an die Regierung scheint im Nu-Tal ungebrochen. Oder ist es die schiere Machtlosigkeit? Der Bauer Yu Zhenhui:
"Unser Ort hier ist sehr schön. Aber wir können nicht einfach sagen, dass wir nicht umziehen wollen. Die Regierung hat uns dafür zu gut behandelt. Wir bekommen Sozialhilfe und andere Unterstützung. Die Regierung hat uns in ihrer Hand."
Weiter stromaufwärts im Ort Fugong ist Markttag. Zweimal im Monat kommen die Bauern aus der ganzen Umgebung hier zusammen. Viele sind aus den Bergdörfern ringsum herabgewandert. Gemüse und Obst türmen sich auf den improvisierten Tischen. Etwas abgetrennt gibt es auch einen Tiermarkt: Ziegen, Kühe und Schweine wechseln dort die Besitzer. Für die Schweine endet der Tag in der Regel auf den Schlachtertischen gleich beim Eingang. Die Bäuerin Na Cuihua verkauft Schweinefleisch auf dem Markt.
"Wir sind eine vierköpfige Familie: Mein Mann, ich und zwei Mädchen. Wir haben gut 1000 Quadratmeter Land. Aber das reicht nicht. Wir produzieren genug, um zu essen, aber mehr auch nicht. Unsere Kinder müssen zur Schule gehen. Das kostet viel Geld. Wir bauen Reis für uns selbst an, haben aber kein Einkommen."
Um Geld zu verdienen, kauft Na Cuihuas Mann jetzt Schweine von den Bauern in den Bergen. Das Ehepaar bringt die Schweine auf den Markt. Dort werden sie geschlachtet und verkauft. Das bringt im Monat umgerechnet 150 Euro ein. Auch Na Cuihua träumt von einem Leben in der Stadt. Von Trauer um die Heimat, sollten die Staudämme kommen, keine Spur.
"Meine Kinder wollen einmal Jura studieren. Ich weiß nicht, wo es sie mal hin verschlägt. Aber ich will, dass sie in der Stadt leben. Wir sind zu arm hier."
Na Cuihua sieht hoffnungsvoll aus, während sie das erzählt. Resigniert ist dagegen der 47-jährige Fischverkäufer Sha Zhusheng, ein paar Meter weiter.
"Als meine Kinder zur Schule gingen, kostete das noch Schulgeld. Das war zu teuer. Sie mussten die Schule verlassen. Jetzt ist es zu spät. Die Kinder sind erwachsen. Wer lesen kann, kann jede Arbeit machen. Meine Kinder sind arbeitslos. Die können nur zu Hause in der Landwirtschaft helfen. Sie sprechen kaum Chinesisch und können nicht lesen. Sie können nicht in der Stadt arbeiten."
Unaufhörlich rauscht der Nu die Schlucht entlang. Er stürzt sich über Felsbrocken, die im Flussbett liegen. Er legt sich in steile Kurven, ruht sich dann wieder in tieferen Wasserbecken aus. Nach Norden hin, in Richtung Tibet, werden die Berge immer höher. Schneebedeckte Gipfel sind zu sehen.
Ab und an gibt es dann doch eine staudammkritische Stimme. Aliwu gehört der kleinen Volksgruppe der Nu an. Sie ist nach dem Fluss benannt. Das traditionelle Holzhaus von Aliwu liegt direkt am Wasser.
"An uns wurden Formulare ausgeteilt. Darin haben sie uns gefragt, was wir von dem Staudammprojekt halten. Viele haben ihre Einwände geäußert. Wir wissen doch gar nicht, wo wir dann sein werden, wenn das Wasser alles flutet. Oben in den Bergen zu leben ist doch nicht praktisch. Viele sagen, wir Dörfler können sowieso nichts machen. Wir kennen uns mit dem Recht nicht aus und wissen auch nicht, wie viel Entschädigung wir verlangen sollen. Wir wollen gern hier bleiben. Hier haben wir Land und unsere Häuser. Wir hängen an dem Ort."
Die Chancen für Aliwu stehen schlecht. Chinas Energiehunger und die Interessen der staatlichen Stromkonzerne haben sich bislang stets als stärker erwiesen als die Anliegen der Anwohner oder Umweltschützer. In China ragen mittlerweile über 25.000 größere Staudämme in den Himmel, etwas mehr als im Rest der Welt zusammen. Kein größerer Fluss im Land außer dem Nu ist noch staudammfrei. Auch unzählige kleinere Flüsse sind aufgestaut. Peking nimmt dabei auch wenig Rücksicht auf die Nachbarländer flussabwärts, im Falle des Nu auf Myanmar. Dort am Unterlauf könnten sinkende Pegel und verringerte Fischbestände die Folge sein. In China selbst wurden zahlreiche Landschaften bereits zerstört. Zu besichtigen ist das Ergebnis der Staudämme gleich im Nachbartal des Nu, am Mekong oder Lancang, wie er auf Chinesisch heißt. Stille braune Seen haben dort bereits die Schlucht aufgefüllt.
Auf 2000 Meter Höhe, kurz vor der Grenze zu Tibet liegt das Dorf Qiunatong. Die Dorfgemeinschaft hat sich zur Abendandacht in der kleinen Kirche versammelt. Die Nu in Qiunatong sind alle katholisch, vor 100 Jahren wurden sie von Franzosen missioniert.
Das Dorf liegt an einem sanften, sonnigen Abhang; die Bewohner blicken auf Wälder, weiße Berggipfel und einen klaren Himmel. Hühner, Hunde, Kälber und kleine, schwarze Ferkel rennen umher. Die 19-jährige Liu Huijuan lebt normalerweise in Kunming, der Provinzhauptstadt von Yunnan, einer Millionenmetropole. Dort studiert sie. Sie ist gerade zu Besuch im Heimatdorf. Als eine der wenigen hier spricht sie Mandarin
"Ich finde das Leben hier schöner als in der Stadt. Die Umwelt ist gesünder, und die Menschen sind freundlicher. Wenn man einmal weg ist, merkt man erst, dass das Leben draußen gar nicht so toll ist. Früher habe ich immer vom Stadtleben geträumt."
Die Flussüberquerung dauert nur 20 Sekunden. Kurz, doch genug Zeit, um für einen Augenblick diese Landschaft ganz zu erfassen, quasi durch sie hindurch zu fliegen. Links und rechts führen die steilen Bergwände schier endlos hinauf in den blauen Himmel. Sie sind teilweise bewaldet, teilweise von Bauern für die Landwirtschaft terrassiert. An den Hängen kleben einzelne Holzhäuser, aus denen Rauch aufsteigt. Tief unten, gurgelnd und klar, da fließt der Nu. Er strömt vom tibetischen Hochland herab, entlang der Grenze mit Myanmar. Das Gletscherschmelzwasser erzeugt im Winterhalbjahr diese schier unwirkliche Flussfarbe.
Die 43-jährige Aqia, eine energische Frau mit streng zusammengebundenem Haar, betreibt die Querungsstation seit 20 Jahren, erzählt sie. Aqia spricht die Sprache der Lisu, einer von sechs Volksgruppen, die hier am Nu zu Hause sind.
"Hier gibt es schon seit über 100 Jahren ein Drahtseil. Acht Personen können den Fluss gleichzeitig an einem Haken überqueren. Ganz früher war das Seil nicht aus Draht, sondern aus Bambus. Das war gefährlich. Die Regierung überprüft das Seil regelmäßig. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, darf man nicht überqueren."
Menschen, Ziegen, ja selbst Pferde und Maultiere wurden hier Jahrhunderte lang an Haken befestigt, wechselten mittels des Seils die Talseite. Heute sind nur noch wenige Seile in Betrieb. Die Regierung hat Brücken gebaut. In einigen Jahren könnten aber auch diese obsolet sein, so wie überhaupt fast alles hier. Die enge 300 Kilometer lange Nu-Schlucht soll de facto in ein einziges großes Wasserkraftwerk verwandelt werden. Eine Kaskade von fünf Staudämmen ist geplant. Das Tal wird sich mit Wasser füllen. Gerüchte kursieren unter den Bauern rings um die Drahtseilstation. He Yong wohnt ein paar Häuser weiter.
"Ich habe gehört, dass das Wasser über 300 Meter hochsteigen wird. Bis da hoch auf den Berg, wo der Signalturm steht. Aber ich mache mir keine Sorgen. Wir vertrauen der Regierung. Wir tun, was uns die Partei sagt. Wenn sie sagt, dass wir umziehen sollen, ziehen wir um. Ich kann auch hoch in die Berge ziehen. Ich will nur nicht allzu weit weg.""
300 Meter mag etwas hoch gegriffen sein. Doch die Staumauern werden wohl riesenhafte Bauwerke sein, glaubt auch der Umweltschützer Yang Yong aus Chengdu. Anders als viele Bauern am Nu ist er entschieden gegen die Staudämme.
"Typischerweise bauen sie heute die Staudämme so hoch wie möglich, um die Wasserkraft voll auszunutzen. Die Stauseen und die gefluteten Flächen werden riesig sein. Das Nu-Tal ist eine Schlucht. Ein großer Teil davon wird verschwinden, ebenso die meisten bewohnten Gebiete auf beiden Seiten des Tals. Die Landschaft wird vollkommen anders aussehen."
Der Nu fließe zudem durch ein seismisch hoch aktives Gebiet, so Yang Yong. Die Dämme könnten zusätzliche Erdbeben auslösen. Seit vielen Jahren schon existieren Pläne, den Nu, den letzten großen frei fließenden Fluss in China, mit Staudämmen zur Stromgewinnung zu überziehen. Dreizehn Stück sollten es ursprünglich werden. Im Jahr 2004 schaltete sich der damalige Premier Wen Jiabao persönlich ein, legte das Projekt auf Eis. Doch während des Moratoriums liefen die Vorbereitungen weiter. Im Januar wurde nun der Baustopp aufgehoben. Fürs Erste sollen in den kommenden Jahren fünf Staudämme entstehen. Wann die Arbeiten beginnen, ist aber noch unklar, sagte der Parteichef der Provinz Yunnan, Qin Guangrong, beim Nationalen Volkskongress in Peking im März.
"Wir bereiten das Wasserkraftprojekt am Nu-Fluss schon seit Jahrzehnten vor. Wir diskutieren noch immer über die Details. Wir werden mit dem Bau erst beginnen, wenn die Regierung unseren Plan gebilligt hat, wenn die Bevölkerung umgesiedelt und wenn die Umweltstudie fertig ist."
Umweltschützer kämpfen gegen Staudämme
Klar ist, dass gebaut wird. Offen ist nur noch das wann. Das Nu-Tal, das ist geologisch betrachtet nichts anderes als eine Falte in einer gigantischen Knautschzone. Der indische Subkontinent drückt von Süden her gegen die eurasische Landmasse. Dabei hat sich im Norden das Himalaya-Gebirge aufgetürmt. Etwas weiter östlich, auf dem Gebiet der chinesischen Provinz Yunnan, sind dabei Faltenwürfe entstanden, als wäre die Erde geraffter Stoff. Diese Falten verlaufen parallel zueinander in Nord-Süd-Richtung. Drei der großen Flüsse Asiens fließen hier in Tälern nebeneinander, getrennt durch hohe Berggipfel: Der Jangtse, der Mekong und der Nu, weiter flussabwärts in Myanmar, dem früheren Birma, bekannt als Salween. Die engen abschüssigen Täler sind ideal für die Wasserkraft.
"Hier gibt es 470 Vogel- und mehr als 300 Säugetierarten. Wir haben allein mehr als 100 verschiedene Eidechsen. Hier in unserem Reservat ist das wichtigste Tier der streng geschützte Takin, eine Ziegenart. Die Takins leben hoch oben in den Bergen. Weiter unten sind die roten Pandas. Wir haben schwarzhalsige und langschwänzige und auch weiße Fasane. Das sind alles seltene Tiere."
Shi Xiaochun ist Naturschützer. Er arbeitet im Gaoligongshan-Naturpark. Hoch über dem Nu-Tal in den Bergen hat die Regierung dieses Naturreservat eingerichtet auf einer Fläche von 1200 Quadratkilometern. In großen Teilen Yunnans sind die Wälder heute bereits abgeholzt. Zumindest hier oben soll der natürliche Lebensraum der Pflanzen und Tiere erhalten bleiben. Bauern, die hier einst lebten, wurden von den Behörden in tiefere Lagen umgesiedelt. Die Naturschützer haben einen wahren Schatz zu verwalten. Die Region der "Drei Parallelen Flüsse", wie sie heißt, ist ein von der Unesco anerkanntes Weltnaturerbe. Tiefe Schluchten mit mildem Klima wechseln sich ab mit eisigen Berggipfeln auf 6000 Meter Höhe. Tier- und Pflanzenwelt, so die Unesco, sind hier vielfältiger als irgendwo sonst in der gemäßigten Klimazone. Der Grund dafür ist die geografische Lage der Region, sagt Shi Xiaochun:
"Die Bergketten hier verlaufen in Nord-Süd-Richtung. Westlich liegen Myanmar, Indien und der Indische Ozean. Im Osten China. Das Klima befindet sich im Übergang zwischen Ost und West, aber auch zwischen Nord und Süd. Ebenso das Ökosystem. Hier kreuzen sich die Wanderrouten der Tiere. Viele anderswo verschwundene Arten konnten sich hier halten. Diese Region ist so etwas wie ein Schutzraum."
Wissenschaftler nennen das eine biogeografische Konvergenzzone. In der Region der "Drei Parallelen Flüsse" trifft das gemäßigt-ostasiatische Klima auf die hochalpine Welt des Tibet-Plateaus und die Ausläufer des tropischen indischen Monsuns von Süden und Westen. Das erzeugt Vielfalt. Mehr als 6000 Pflanzengattungen sind hier zu Hause, viele davon nur hier. Allein 200 Rhododendronarten gibt es und 100 Sorten Primeln. Eine Region des Übergangs und der Vielfalt, einmalig auf der Erde. Doch sie ist in Gefahr. Der Staudamm-Gegner Yang Yong.
"Als Teil der Region der "Drei Parallelen Flüsse" hat das Nu-Tal ein sehr vielfältiges Ökosystem. Wenn sich hier große Seen bilden, wird das Klima mit Sicherheit ein anderes sein. Ein reißender Fluss wird zu einem stillen See. Eine Schlucht wird zu einer großen Wasserfläche."
Nicht nur die Natur ist hier am Nu vielfältig, sondern auch die Bevölkerung. Der Kirchenchor von Xinjian hat heute Abend zum Konzert geladen. Am Eingang zur Kirche stehen die Sänger Spalier, begrüßen die Gäste mit einem Willkommenslied. Sie alle gehören der Volksgruppe der Lisu an. Ethnische Han-Chinesen sind in der Minderheit im Nu-Tal. Die Lisu sind die größte Volksgruppe in der Gegend. Mit ihrer dunkleren Haut sehen sie schon deutlich südostasiatisch aus. Auch in Thailand, Myanmar und Indien leben Lisu.
Der Chor hat ein europäisches Programm zusammengestellt. Und da tut es auch gar nicht zur Sache, dass Weihnachten schon lange vorbei ist. "Stille Nacht" auf Lisu.
"Wir sehen so glücklich aus, weil wir im Namen Gottes singen. Wir Lisu haben ein Sprichwort: Wenn jemand gehen kann, dann kann er auch tanzen. Wenn jemand sprechen kann, dann kann er auch singen. So war das schon immer hier. Wir Minderheiten hier in den Bergen singen alle. Der Unterschied ist aber, dass wir zu Gott singen."
Meint diese junge Sängerin. Viele Lisu hier im Tal sind protestantische Christen. Der britische Missionar James Fraser brachte das Christentum Anfang des 20. Jahrhunderts ins Nu-Tal. Die Lisu sind mehrheitlich Bauern. Zuckerrohr, Reis und Mais bauen sie auf den wenigen geeigneten Flächen in dem engen Tal an. Viel Geld ist dabei nicht zu verdienen. Die Gegend gehört zu den ärmsten in ganz China. Fast alle Haushalte erhalten eine Sozialhilfe von der Regierung.
Die Mitglieder des Kirchenchors wirken zufrieden, tief verwurzelt in ihrer Kultur und Region. Doch auf Nachfrage ergibt sich ein anderes Bild: Der 30-jährige Bauer und Tenorsänger Xiong Guihai erzählt:
"Vier von zehn jungen Leuten gehen zum Arbeiten weg, in die Städte oder an andere Orte hier in der Region. Meistens arbeiten sie auf dem Bau. Ich bin der einzige Sohn der Familie. Deshalb bin ich nicht weggegangen. Ich muss mich um meine Eltern und meine Kinder kümmern."
Xiong Guihai versteht nicht, was die Ausländer hier an der Nu-Schlucht interessiert.
"Hier im Dorf haben wir nur einfache Hütten. In der Stadt gibt es Hochhäuser. Da fahren sie Autos. Das können wir uns nicht leisten. Mittlerweile habe ich immerhin Autos gesehen. Lange wusste ich gar nicht, wie die aussehen. Das Leben da draußen muss so glänzend sein. Das Einzige aber, was wir jeden Tag sehen, sind Berge und Bäume. Ich hoffe, dass meine Kinder irgendwann einmal weggehen. Wenn sie bleiben, heißt das nur, dass sie nicht vorankommen."
Das ist der Grundtenor bei den Bewohnern des Tals. Noch kursieren nur ungenaue Angaben darüber, wie viele Leute für die Staudämme umsiedeln müssen. Vermutlich werden es Zehntausende sein. Alle hier unten am Fluss gehen davon aus, dass sie wegziehen müssen. Das wäre wohl das Ende des Nu-Tals, so wie es die Bewohner seit Jahrhunderten kennen. Doch viele scheint das nicht zu schrecken. Sie erhoffen sich von einer Umsiedlung ein besseres Leben. Der Bauer Li Adeng zum Beispiel:
"Wir werden umziehen müssen. Vielleicht hoch in die Berge. Ich bin mir sicher, dort wird man uns eine neue Lebensgrundlage geben. Das Land hier an den Talhängen ist steil. Der Dünger wird immer gleich hinabgespült. Man kann sich ja kaum ernähren. Keiner hat hier mehr Lust auf Landwirtschaft. Wir sind schon zu lange in dieser Schlucht gefangen. Generation für Generation wird unser Potenzial hier vergeudet."
Menschen in der Region sind arm
Die Schönheit der Landschaft, die einzigartige ethnische und religiöse Vielfalt, die Erdbebengefahr, das Ökosystem – diese Themen sind weit weg vom Leben der Menschen. Die meisten spekulieren auf eine großzügige Entschädigung im Zuge der Staudammprojekte. Sie kennen vermutlich nicht die Geschichten vom großen Drei-Schluchten-Staudamm, von den gebrochenen Versprechen der Regierung, den versickerten Entschädigungszahlungen, den Umsiedlungen in fremde Gegenden ohne Arbeit. Der Glaube an die Regierung scheint im Nu-Tal ungebrochen. Oder ist es die schiere Machtlosigkeit? Der Bauer Yu Zhenhui:
"Unser Ort hier ist sehr schön. Aber wir können nicht einfach sagen, dass wir nicht umziehen wollen. Die Regierung hat uns dafür zu gut behandelt. Wir bekommen Sozialhilfe und andere Unterstützung. Die Regierung hat uns in ihrer Hand."
Weiter stromaufwärts im Ort Fugong ist Markttag. Zweimal im Monat kommen die Bauern aus der ganzen Umgebung hier zusammen. Viele sind aus den Bergdörfern ringsum herabgewandert. Gemüse und Obst türmen sich auf den improvisierten Tischen. Etwas abgetrennt gibt es auch einen Tiermarkt: Ziegen, Kühe und Schweine wechseln dort die Besitzer. Für die Schweine endet der Tag in der Regel auf den Schlachtertischen gleich beim Eingang. Die Bäuerin Na Cuihua verkauft Schweinefleisch auf dem Markt.
"Wir sind eine vierköpfige Familie: Mein Mann, ich und zwei Mädchen. Wir haben gut 1000 Quadratmeter Land. Aber das reicht nicht. Wir produzieren genug, um zu essen, aber mehr auch nicht. Unsere Kinder müssen zur Schule gehen. Das kostet viel Geld. Wir bauen Reis für uns selbst an, haben aber kein Einkommen."
Um Geld zu verdienen, kauft Na Cuihuas Mann jetzt Schweine von den Bauern in den Bergen. Das Ehepaar bringt die Schweine auf den Markt. Dort werden sie geschlachtet und verkauft. Das bringt im Monat umgerechnet 150 Euro ein. Auch Na Cuihua träumt von einem Leben in der Stadt. Von Trauer um die Heimat, sollten die Staudämme kommen, keine Spur.
"Meine Kinder wollen einmal Jura studieren. Ich weiß nicht, wo es sie mal hin verschlägt. Aber ich will, dass sie in der Stadt leben. Wir sind zu arm hier."
Na Cuihua sieht hoffnungsvoll aus, während sie das erzählt. Resigniert ist dagegen der 47-jährige Fischverkäufer Sha Zhusheng, ein paar Meter weiter.
"Als meine Kinder zur Schule gingen, kostete das noch Schulgeld. Das war zu teuer. Sie mussten die Schule verlassen. Jetzt ist es zu spät. Die Kinder sind erwachsen. Wer lesen kann, kann jede Arbeit machen. Meine Kinder sind arbeitslos. Die können nur zu Hause in der Landwirtschaft helfen. Sie sprechen kaum Chinesisch und können nicht lesen. Sie können nicht in der Stadt arbeiten."
Unaufhörlich rauscht der Nu die Schlucht entlang. Er stürzt sich über Felsbrocken, die im Flussbett liegen. Er legt sich in steile Kurven, ruht sich dann wieder in tieferen Wasserbecken aus. Nach Norden hin, in Richtung Tibet, werden die Berge immer höher. Schneebedeckte Gipfel sind zu sehen.
Ab und an gibt es dann doch eine staudammkritische Stimme. Aliwu gehört der kleinen Volksgruppe der Nu an. Sie ist nach dem Fluss benannt. Das traditionelle Holzhaus von Aliwu liegt direkt am Wasser.
"An uns wurden Formulare ausgeteilt. Darin haben sie uns gefragt, was wir von dem Staudammprojekt halten. Viele haben ihre Einwände geäußert. Wir wissen doch gar nicht, wo wir dann sein werden, wenn das Wasser alles flutet. Oben in den Bergen zu leben ist doch nicht praktisch. Viele sagen, wir Dörfler können sowieso nichts machen. Wir kennen uns mit dem Recht nicht aus und wissen auch nicht, wie viel Entschädigung wir verlangen sollen. Wir wollen gern hier bleiben. Hier haben wir Land und unsere Häuser. Wir hängen an dem Ort."
Die Chancen für Aliwu stehen schlecht. Chinas Energiehunger und die Interessen der staatlichen Stromkonzerne haben sich bislang stets als stärker erwiesen als die Anliegen der Anwohner oder Umweltschützer. In China ragen mittlerweile über 25.000 größere Staudämme in den Himmel, etwas mehr als im Rest der Welt zusammen. Kein größerer Fluss im Land außer dem Nu ist noch staudammfrei. Auch unzählige kleinere Flüsse sind aufgestaut. Peking nimmt dabei auch wenig Rücksicht auf die Nachbarländer flussabwärts, im Falle des Nu auf Myanmar. Dort am Unterlauf könnten sinkende Pegel und verringerte Fischbestände die Folge sein. In China selbst wurden zahlreiche Landschaften bereits zerstört. Zu besichtigen ist das Ergebnis der Staudämme gleich im Nachbartal des Nu, am Mekong oder Lancang, wie er auf Chinesisch heißt. Stille braune Seen haben dort bereits die Schlucht aufgefüllt.
Auf 2000 Meter Höhe, kurz vor der Grenze zu Tibet liegt das Dorf Qiunatong. Die Dorfgemeinschaft hat sich zur Abendandacht in der kleinen Kirche versammelt. Die Nu in Qiunatong sind alle katholisch, vor 100 Jahren wurden sie von Franzosen missioniert.
Das Dorf liegt an einem sanften, sonnigen Abhang; die Bewohner blicken auf Wälder, weiße Berggipfel und einen klaren Himmel. Hühner, Hunde, Kälber und kleine, schwarze Ferkel rennen umher. Die 19-jährige Liu Huijuan lebt normalerweise in Kunming, der Provinzhauptstadt von Yunnan, einer Millionenmetropole. Dort studiert sie. Sie ist gerade zu Besuch im Heimatdorf. Als eine der wenigen hier spricht sie Mandarin
"Ich finde das Leben hier schöner als in der Stadt. Die Umwelt ist gesünder, und die Menschen sind freundlicher. Wenn man einmal weg ist, merkt man erst, dass das Leben draußen gar nicht so toll ist. Früher habe ich immer vom Stadtleben geträumt."