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Geheimdatei
Auch Hamburg speichert Daten zu Fußballfans

In den letzten Wochen kamen sie in fast jedem Bundesland ans Licht: Lokale Datenbanken über Fußballfans. Darin sind offenbar deutlich mehr Menschen vermerkt, als in der offenen, bundesweiten Datei. Schon allein aus datenschutz-rechtlichen Gründen ist ihre bisher geheime Existenz mehr als bedenklich.

Von Thorsten Poppe |
    Polizeieinsatz beim "Risikospiel" Hamburger SV gegen Werder Bremen am 21. September 2013
    Polizeieinsatz beim "Risikospiel" Hamburger SV gegen Werder Bremen am 21. September 2013 (dpa / picture alliance / Axel Heimken)
    Seit einigen Monaten sind sie mittlerweile bekannt, in einem Bundesland länger, in anderen kürzer. Geheime Datenbanken über Fußballfans, die neben der eigentlich dafür vorgesehenen Datei "Gewalttäter Sport" geführt werden. Während diese eine bundesweite Datensammlung ist, werden dagegen die bisher geheimen Dateien von den örtlichen Polizeibehörden geführt. So mussten Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Berlin, und Schleswig-Holstein zähneknirschend ihre Existenz zugeben. Dazu gesellt sich noch Hamburg. Hier fand mittels einer kleinen Anfrage in der Bürgerschaft die Linken-Abgeordnete Christiane Schneider heraus, dass die Hamburger Polizei darin über 2.000 Personen führt. Allein mehr als 1.000 HSV- und über 400 St. Pauli-Fans sind in dieser lokalen Datei erfasst, dazu etliche Anhänger anderen Bundesligisten. Unverständlicherweise für die Politikerin:
    "Es gibt ja schon die Gewalttäter-Datei "Sport". Da wird ja schon jede Menge erhoben. Und man fragt sich natürlich, warum wird noch eine zweite Datei geführt? Es hat sich dann rausgestellt in Hamburg ist man nicht so zurückhaltend wie in anderen Bundesländern, sondern man führt tatsächlich auch Kontakt- und Begleitpersonen. Das heißt, ich sage es jetzt mal ein wenig einfach. Wenn man schon nach dem Spiel mit jemandem Falsches an der Frittenbude steht, dann ist man schon eine Kontakt- und Begleitperson. Und da fragt man sich natürlich schon, was will die Polizei mit den Daten anfangen?"
    Auch "Begleitpersonen"
    Die Polizei nutzt die darin geführten Informationen beispielsweise um Bereichsbetretungsverbote auszusprechen, bei denen sich Fans an Spieltagen nicht im Umfeld des Stadions oder bei Spielen aufhalten dürfen. In diesen lokalen Dateien scheinen auch mehr Personen über einen längeren Zeitraum mit mehr Informationen gespeichert zu sein, als in der bundesweiten Datei "Gewalttäter Sport" erfasst sind. Für NRW ist das mittlerweile belegt, in Hamburg deutet alles darauf hin: 2.170 gespeicherte Fans im Lokalen sind im Vergleich zu bundesweit insgesamt 13.000 Personen in der Datei "Gewalttäter Sport" schon eine enorm hohe Zahl, erklärt Prof. Johannes Caspar. Er ist der Datenschutzbeauftragte der Hansestadt:
    "Insbesondere werden hier Verdächtige und Beschuldigte geführt, für die die Erforderlichkeit der Speicherung nicht positiv festgestellt werden konnte. Zudem waren zahlreiche Kontakt- und Begleitpersonen dieser Verdächtigen und Beschädigten gespeichert, obwohl die bereits erforderliche Speicherdauer überschritten war. Also die hätten dann im Wesentlichen dann auch gelöscht werden müssen. So dass eigentlich die Datei zum großen Teil rechtswidrig war."
    Ähnliche Verhältnisse in vielen Bundesländern
    Ähnlich ist es auch in den sechs weiteren Bundesländern abgelaufen, die bisher die Existenz einer solchen Datei zugeben mussten. Daneben führt Sachsen seine Datei seit Anfang 2014 nicht mehr, Baden-Württemberg hat seine vormals Geheime in eine Offizielle umgewandelt, und nur Bremen hat bisher öffentlich bestätigt, solche Dateien nicht zu nutzen. In Hamburg kommt nun aber nun noch hinzu, dass diese lokale Arbeitsdatei über angeblich gewaltbereite Fußballfans bisher nicht nur geheim war, sondern ihr Vorhandensein auch offiziell immer geleugnet wurde. Eine 2014 gestellte Anfrage nach dem Hamburgischen Transparenzgesetz wurde damals folgendermaßen seitens Polizei beantwortet: "Die Polizei Hamburg führt keine eigene derartige Datei!"
    Deren Sprecher Timo Zill begründet dieses Vorgehen mit einer nicht genau formulierten Anfrage des Hamburger Bürgers – und dem wenig geschulten Umgang mit diesem damals neuem Gesetz: "Die Transparenzanfrage war mit der Fragestellung an die Polizei Hamburg gerichtet worden, ob wir eine Sport-Gewalt-Datei haben wie in Berlin. Die hat erhebliche Abweichungen zu der Datei in Hamburg, und insofern ist die Antwort damals "Nein" gewesen. Wenn man sich das heute anguckt, und auch die Weiterentwicklung des Transparenzgesetzes, dann würde man heute sicherlich zu dem Ergebnis kommen, diese Antwort von damals war zu eng gefasst. Man hätte dem Bürger sicherlich antworten können: Wir haben eine Szene-Gewalt-Datei, und da finden sich tatsächlich auch Gewalttäter aus dem Fußballbereich wieder."
    Besondere Brisanz in Hamburg
    Dieser Vorfall macht die Sache in Hamburg noch brisanter als in den anderen Bundesländern, wo bisher diese geheimen Datensammlungen entdeckt worden sind. Das hat mittlerweile auch der zuständige Innensenator erkannt, und die Polizei aufgefordert, Defizite umgehend zu beseitigen. Dies führte jetzt schon zur Löschung von 900 der über 2.100 Datensätze. Darüber hinaus will die Hamburger Polizei in Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten Caspar diese Datei auf einen rechtsstaatlich einwandfreien Stand bringen.
    Christiane Schneider geht das nicht weit genug. Schon allein deshalb, weil bisher keiner der darin aufgeführten Personen jemals die Löschung seiner gespeicherten Daten beantragen konnte: "Das war tatsächlich eine Geheimdatei. Es konnte auch deshalb keiner nachfragen. Die Polizei ist mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung umgegangen, als gäbs das gar nicht. Und dass ist ein sehr weitreichender und meiner Meinung nach rechtswidriger Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Und dass die Polizei ein Interesse hat, dass jetzt, sagen wir jetzt mal verfeindete Fangruppen nicht aufeinander treffen, ist gut und schön. Aber dazu hat sie ihre Mittel, und dazu braucht sie diese Datei überhaupt nicht."
    Immerhin hat Hamburg die Explosivität dieses Themas offenbar verstanden. Der offensive Umgang damit kann nur als Vorbild für die anderen Bundesländern dienen, die ebenfalls solche bisher geheimen Dateien über Fußballfans führen.