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Genital-OP
Kleine Jungs mit großen Problemen

Angeborene Fehlbildungen im männlichen Genitalbereich, zum Beispiel Hodenhochstand, sind gar nicht so selten. Bei den Eltern löst das Unsicherheit darüber aus, ob und wann eine Operation sinnvoll ist. Grundsätzlich gilt: je früher operiert wird, desto besser. Die Kleinen kommen damit oft besser zurecht als ihre Eltern.

Von Axel Schröder |
    Kinderfüße in Turnschuhen
    Bei Leisten- oder Bauchhoden und bei Hodenhochstand empfehlen Mediziner eine frühe OP - um künftige Risiken wie Hodenkrebs zu reduzieren. (imago/Westend61)
    Je früher, desto besser. Nach diesem Grundsatz werden an deutschen Kliniken Fehlbildungen der männlichen Geschlechtsorgane operiert. Besonders häufig sind dabei der Hodenhochstand, aber auch die sogenannte Hypospadie:
    "Die Harnröhre endet nicht an der Eichelspitze wie normal, sondern darunter. Entweder im Bereich der Kranzfurche, also der Grenze zwischen Penisschaft und Eichel oder auch noch tiefer, im Bereich des Hodensäckchens. Oder – ganz extrem – im Analkanal. Da gibt es viele Variationen."
    Einer von 250 bis 300 Jungen kommt mit einer Hypospadie zur Welt
    Das erklärt Prof. Maximilian Stehr von der Cnopf’schen Kinderklinik in Nürnberg. Durchschnittlich ein neugeborener Junge von 250 bis 300 kommt mit einer Hypospadie zur Welt. Oft ist bei ihnen auch die Vorhaut nicht vollständig zusammengewachsen. Und es kann - je nach Schwere der Fehlbildung, je nachdem, wie stark die Harnröhre verkürzt ist - eine Penisverkrümmung vorliegen.
    Die Folgen: beim Wasserlassen tritt der Urin unterhalb des Gliedes aus. Und in späteren Jahren kann eine starke Penisverkrümmung zu Problemen beim Geschlechtsverkehr führen. – Im besten Fall erfolgt eine Korrektur der Fehlbildung aber schon zwischen dem neunten und zwölften Lebensmonat.
    "Das hat im Wesentlichen kinderpsychologische Hintergründe. Die Kinder haben sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit ihrem eigenen Geschlecht identifiziert. Operationen am äußeren Genitale in dieser Phase noch nicht als bedrohlich und übergriffig empfunden. Im Vergleich dazu, zu einem späteren Zeitpunkt, mit drei oder vier Lebensjahren kann – jedenfalls nach kinderpsychiatrischer Sicht oder psychoanalytischer Sicht Kastrationsängste erheblich hervorrufen. Das fällt alles zu diesem frühen Zeitpunkt weg."
    An sieben Klinikstandorten in Deutschland werden Hypospadien korrigiert
    In Deutschland sind sieben Klinikstandorte auf die Korrekturen von Hypospadien spezialisiert: in München und Nürnberg, Tübingen und Hannover, in Berlin, Bremen und Hamburg hat man die größte Erfahrung mit den mehrere Stunden dauernden Operationen:
    "Die Harnröhre wird in aller Regel mit körpereigenem Material nach vorne hin verlängert und die Eichel darüber verschlossen. Da gibt es ganz viele und unterschiedliche Operationsmethoden. – Das geht nur mit feinsten Materialien, mit feinsten Nahtmaterialien, Instrumenten, Lupenbrille. Und Geduld."
    Öfter als um Hypospadien kümmert sich das Team von Maximilian Stehr um Hoden, die im Laufe der embryonalen Entwicklung nicht vom Bauchraum in den Hodensack verlagert wurden. Auch in diesen Fällen, bei Leisten- oder Bauchhoden, rät der Mediziner dringend zu einer frühen OP:
    "Aus zwei Gründen: erstens wird ein Hoden, der in seiner Fehllage, insbesondere im Bauchraum belassen wird, steril, der trägt zur Fruchtbarkeit nicht mehr bei. Zum Zweiten steht doch mit zunehmendem Alter des Nicht-Korrigiertsein eine gewisse Potenz zur Malignitätsentwicklung, also: Hodenkrebsentwicklung."
    Ohne OP steigt das Hodenkrebsrisiko um bis zu 25 Prozent
    Untersuchungen haben gezeigt: Wenn ein Hodenhochstand nicht bis zum elften Lebensjahr behoben wurde, steigt das Hodenkrebsrisiko um bis zu 25 Prozent. Und auch nach einer erfolgreichen Operation wird Betroffenen dazu geraten, schon ab dem 15. Geburtstag regelmäßig die Hoden auf Veränderungen hin abzutasten. Eltern, die sich darum sorgen, wie ihr Kind auf chirurgische Eingriffe an seinen Geschlechtsteilen reagieren könnte, können, so Maximilian Stehr, beruhigt sein: Untersuchungen haben ergeben, dass diese Kinder ihre Situation zwar nicht gelassen, meist aber entspannter sehen als ihre Väter und Mütter.