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Genscher würdigt Verdienste Schewardnadses

Sylvia Engels: Als georgischer Präsident ist Schewardnadse jetzt abgetreten, nicht eben glorreich, sondern unter dem Druck der Straße. Für die Deutschen in Ost und West hat die Person Eduard Schewardnadses aber einen ganz eigenen, einen hohen Stellenwert. Sein Name ist untrennbar mit der deutschen Einheit verbunden. Als letzter Außenminister der Sowjetunion wirkte er maßgeblich daran mit, dass die deutsche Einigung überhaupt möglich wurde. Mit seinem damaligen westdeutschen Gegenüber sind wir nun verbunden, guten Tag, Hans-Dietrich Genscher.

    Hans-Dietrich Genscher: Guten Tag.

    Engels: Sie nennen Eduard Schewardnadse einen Freund. Welche Qualitäten schätzen Sie besonders an ihm?

    Genscher: Eine, die er in den letzten Stunden gezeigt hat, nämlich dass er, als er die Lage eingeschätzt hatte, zu dem Ergebnis kam, dass sein Rücktritt ein Blutbad vermeiden kann und schlimmer vielleicht noch einen Bürgerkrieg mit vielen Blutbädern. Und das war der Eduard Schewardnadse, wie ich ihn gekannt habe, der in einer solchen Situation eine große Verantwortung gegenüber dem eigenen Volk zeigt, wie wir es auch empfunden haben in den entscheidenden Jahren Ende der 80er und auch noch am Anfang der 90er Jahre für uns. Und das bleibt, wenn wir ihn einschätzen, das bleibt auch für mich. Ich bin ihm das erste Mal begegnet im Juni 1985, wenige Tage, nachdem er Außenminister geworden war. Und aus dieser Zeit ist eine Zusammenarbeit und dann eine Freundschaft entstanden, die ihren Bestand haben wird.

    Engels: Sie beschreiben die eine Seite Eduard Schewardnadses. Wie erklären Sie sich auf der anderen Seite den autoritären, ja autokratischen Stil, der ihm zuletzt in Georgien vorgeworfen wurde?

    Genscher: Ich glaube, dass er natürlich sein Amt ausgeübt hat in einer Zeit großer Instabilitäten in dem Land und deshalb wird man jetzt auch alles tun müssen, um den Kräften, die das Land neu übernehmen, eine solche Phase zu ersparen. Das heißt, dass diejenigen, die Mitverantwortung übernehmen können, das auch tun. Die russische Regierung hat das gezeigt durch die Anwesenheit des Außenministers, der ganz offensichtlich bemüht war, einen Bürgerkrieg nicht entstehen zu lassen, das zeigt die amerikanische Regierung, die neuen Kräften ihre Unterstützung erklärt hat. Das ist auch eine große Verantwortung der Europäischen Union und übrigens auch der OSZE, die ja mit Missionen in Georgien dazu beigetragen hat, dass an den Grenzen des Landes relative Stabilität erreicht werden konnte. Das heißt, es wird jetzt sehr viel Staatskunst notwendig sein in Europa, aber auch bei den beiden großen Mächten, damit nicht aus einem inneren Konflikt in Georgien eine Entwicklung entsteht, die weit über Georgien hinaus reicht und die ersten Anzeichen sprechen dafür, dass das überall so gesehen wird. Und im Übrigen können wir nur sagen, das georgische Volk, das uns seit langem und sehr freundschaftlich verbunden ist, verdient jetzt auch von allen Seiten Unterstützung, auch von der Europäischen Union und natürlich auch von unserem Land.

    Engels: Der Vorwurf an die Adresse Eduard Schewardnadses lautete auch auf Korruption, zuletzt auf Wahlfälschung. Misst man in Deutschland möglicherweise den Politiker Schewardnadse in einem zu milden Licht?

    Genscher: Das glaube ich nicht. Ich meine, das, was er historisch getan hat für die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas, das bleibt als eine wirklich große geschichtliche Leistung. Im Übrigen gehörte er ja auch zu den Mitstreitern von Michail Gorbatschow, die Russland öffneten, die dort das sozialistische System Schritt für Schritt abgelöst haben und diesem großen Land den Weg zur Demokratie geöffnet haben. Das ist schon eine große Lebensleistung und das wird unvergessen bleiben. Was im Übrigen in einer rückliegenden Betrachtung zu sagen ist über die Amtszeit, vor allem der letzten Zeit, ich glaube, dass sollte man am heutigen Tage nicht versuchen einzuschätzen, sondern auf Grund nüchterner Tatsachen.

    Engels: Er ist also Ihrer Ansicht nach nicht zu spät abgetreten?

    Genscher: Das ist eine Frage, die man heute nicht entscheiden kann. Nur richtig ist, dass er in einem Augenblick, wo die Gefahr einer Konfrontation, eines schrecklichen Blutbades bestand, die richtige Entscheidung getroffen hat.

    Engels: Nun ist die Rede davon, dass Eduard Schewardnadse wohlmöglich nach Deutschland kommen könnte. Wissen Sie von solchen Plänen?

    Genscher: Ich weiß von solchen Plänen nicht, aber ich habe eben gerade noch sehr zuverlässig gehört, dass er sich im Lande aufhalte.

    Engels: Also in Georgien?

    Genscher: Ja, ich weiß, ja. Die Erklärung der Bundesregierung, dass er hier in Deutschland willkommen sei, halte ich für eine richtige Erklärung, die auch seiner Leistung für Europa und Deutschland gerecht wird.

    Engels: Wird Ihrer Ansicht nach dieses Wirken von Eduard Schewardnadse überwiegen, das, was er Gutes getan hat im Vergleich zu dem, was ihm auch wirklich von seinen Kritikern vorgeworfen wird?

    Genscher: Man wird sehen, was davon Bestand hat und was nicht, aber ich glaube, das, was er nicht nur für uns Deutsche, sondern für Europa, übrigens auch für die Völker der Sowjetunion, auch für die Unabhängigkeit Georgiens getan hat, wird auch seinen Bestand haben.

    Engels: Besten Dank. Hans-Dietrich Genscher, ehemaliger Bundesaußenminister in den Informationen am Mittag. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.

    Genscher: Auf Wiederhören.