Ist Egoismus asozial?
Hinter dieser Frage lauert eine Variation des Widerstreits der beiden maßgeblichen philosophischen Menschenbilder. Ist der Mensch per natura ein egoistisches Individuum, weswegen der einzige Grund des Zusammenschlusses von Menschen der eigene Vorteil ist, wie der Engländer Thomas Hobbes annahm? Oder ist, im Gegenteil, der Mensch per natura von vornherein als prosoziales Wesen auf Kooperation und Hilfsbereitschaft angelegt, ehe es von der Gesellschaft verdorben wird, wie der Franzose Jean-Jacques Rousseau behauptete?
Keine kleine Angelegenheit, vor allem wenn es – zur Zähmung von Exzess, Gier und ungehemmtem Wachstum – um die Rolle des Staates und die Überlegung geht, wer reguliert wann wen warum. Vor dem Hintergrund von kleiner und großer Korruption, von Lügen, Irreführungen, Steuerhinterziehungen, von kriminellen wie legalen Manipulationen durch Banken, Tricksereien bei Konzernen, systematischem Doping bei Sportlern und bewussten Täuschungen etwa durch Online-Portale ist von einer neuen Rationalität zu sprechen. Ohne einzelne und ihre Verfehlungen in Schutzhaft nehmen zu wollen, wären die meisten Abzock-Aktionen ohne einen kulturellen Nährboden nicht möglich. Das zumindest ist die in langen Jahren der Forschung über Formen zwischenmenschlichen Respekts gewachsene Erkenntnis des Sozialpsychologen Niels van Quaquebeke, Professor for Leadership and Organizational Behavior an der Kühne-Logistics-University Hamburg.
"Wir haben eine Kultur geschaffen, und die wird generell von der Medienlandschaft geprägt, von der Art, wie wir sozialisieren, wo es weniger um die Tugenden geht. Unsere Heroen der Neuzeit, da geht es nicht mehr um Ehre, um Ehrlichkeit, Tapferkeit, um Aufopferung. Sondern: Wer kann höher, schneller, weiter und ist besser als die Anderen, und das alles vor dem Hintergrund von Materialismus. Sei es auf Instagram oder Facebook wird fotografiert, was ich habe: Yachten, Urlaub, tolles Essen. Diese Geschichte der menschlichen Ur-Tugenden geraten zunehmend in die Märchenwelt. So wie man früher Märchen las, gibt es heute noch einzelne Leute, wo man sagt: Mensch, das sind die Vorbilder, aber die tut man fast ab als Märchen, die für einen selbst nicht mehr gelten. Wenn ich heute Realist sein will, muss ich das andere Spiel spielen."
Wenn der Egoismus die Zentrifugalkraft dieses anderen Spiels ist, und wenn Gier die ins Maximale gesteigerte Form des Egoismus ist, dann braucht diese Geisteshaltung, um gedeihen zu können, ein Habitat, einen Lebensraum. Dieses Habitat ist der Wettbewerb. Selbst soziale Bereiche sind dem Wettbewerbsprinzip unterzogen worden, Konkurrenzdenken beherrscht sogar soziale Beziehungen, und Freundschaften oder Partnerschaften werden einer Leistungsbilanz unterzogen: Was muss ich geben, um wieviel zu erhalten? Wer bringt mir was? Wie spare ich Kosten ein, um möglichst viel Nutzen zu haben?
Die Kosten-Nutzen-Ökonomisierung des Lebens ist – nicht bei allen Menschen, nicht in allen Regionen, aber bei immer mehr Individuen – zur handlungsleitenden Maxime geworden. Dass jeder seines Glückes Schmied sei, war die große Verheißung vergangener Epochen; so lautete das Credo der großen Freiheits-Epiker, die auf die Freisetzung von Kreativität, Schaffenskraft und damit auf Fortschritt für die Menschheit hofften. Man ging stets davon aus, dass gut für alle sei, was gut für einen selbst ist. Wenn alle Egoisten sind, kommt Egoismus allen zugute. Die Ökonomisierung der Moral und des Alltags hat bisweilen totalitäre Züge. Wer scheitert, versagt. Und wer versagt, ist selbst schuld. Der Einzelne hat sich die Verantwortung für sein mögliches Scheitern vollständig selbst zuzuschreiben. Eine Ethik des Scheiterns gibt es nicht. Die Zuwendung zum Gescheiterten gilt als Schwächung des Systems.
Ohne größeren Widerstand haben wir uns seit gut 20 Jahren zu berechnenden, kalkulierenden, abschöpfenden Wesen selbst erzogen – oder erziehen lassen.
"Wir haben ein Problem, dass im Bereich der Wirtschaft, dass das Konkurrenzdenken, den Wettbewerb auch zwischen zwei Arbeitnehmern, immer weiter entfesselt worden ist und dass uns damit der Blick darauf, das der Andere ein Mensch ist mit personaler Würde, mit klaren Menschenrechten, die Schwester oder der Bruder ist, denen wir begegnen können, dass diese Perspektiven unterzugehen drohen unter diesem wirtschaftlichen Druck, weil der Wettbewerbsdruck immer größer geworden ist."
… sagt Bernhard Emunds, Theologe, Sozialphilosoph und Leiter des Oswald-Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main und weist sogleich darauf hin, dass die Menschen im Dauerwettbewerb zunehmend die eigenen vor die gemeinsamen Interessen stellen. Die entscheidende Frage nun lautet: Bringt die bestehende Wirtschafts- und Sozialordnung den Geist der Abzocke erst hervor? Oder verleibt das System sich Vorteilssucht und Egoismus – die anthropologischen Grundkonstanten des Menschen – elegant ein?
Bernhard Edmunds: "Wir müssen einsehen dass da, wo Leute nur ihr kurzfristig ihr eigenes Interesse verfolgen, nur engstirnig schauen, was nutzt mir und nur mir, dass damit die Lebensbedingungen für alle schlechter werden, weil damit unser gemeinsames Interesse an einem Staat, der funktionsfähig ist, an einer Infrastruktur, die funktioniert, an einer Gesundheitsversorgung, von denen wir gemeinsam profitieren, die drohen dann unter Räder zu geraten, wenn Leute zu eng auf ihren eigenen Vorteil schauen und nicht sehen, wo gemeinsame Interessen da sind."
Zerrieben zwischen widersprüchlichen Anforderungen und getrieben zur Selbstbezüglichkeit – dem Narzissmus des Sei-Du-Selbst!, der uns zu jeder Minute abgefordert wird – gibt das zeitgenössische Individuum die Pflicht zur Wahrung der eigenen Integrität auf. Es verletzt dadurch, meist sogar wissentlich, das ethische Prinzip der Gegenseitigkeit: Es schadet dem Gemeinwohl, indem es sich nicht mehr selbst verantwortet. Es verlagert Verantwortung nach außen.
Der einzelne Akteur nimmt zwar das Risiko in Kauf, sucht es im Streben nach Steigerung und Superlativ geradezu, haftet aber für riskante Manöver nicht mehr selbst
Nach mir die Sintflut
Wie könnte man gegensteuern? Braucht die aus den Fugen geratene Gesellschaft statt angeheizter Ego-Inflation eine bewusst geförderte Ego-Deflation?
Bitte keinen Rückgriff auf alte Tugenden, sagt sinngemäß Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche Deutschlands, der eine "moralische Ökonomie" fordert. Im Zentrum seiner Überlegungen steht ganz klar: Praktizierte Solidarität. Aus Wegners Sicht: Strukturelle Umverteilung. Der Einzelne könne mit noch so viel Tugend nicht viel ausrichten; gefragt sei der Staat.
"Wenn Sie "Teilen" im größeren Zusammenhang realisieren, müssen Sie gesetzmäßig verankern, Mechanismen finden, die das Teilen nicht nur der Freiheit der Einzelnen überlassen sondern vernünftig organisieren. Dann brauchen Sie, immer umstritten, eine progressive Steuergesetzgebung, dass diejenigen, die mehr verdienen, auch mehr Steuern zahlen, nicht nur absolut, sondern prozentual. Das ist eine Form von Teilen. Politisch heißt Teilen Umverteilung betreiben, dass alle genauso gute Chancen haben. Das haben wir bei uns im Sozialstaat verankert, zum Teil ist das brüchiger geworden. Nehmen Sie die Renten, das ist kein Zustand, Deutschlandrente wird diskutiert, bisher ist das freiwillig. In diese Richtung muss man denken, so fließen christliche Impulse auch strukturell in die Gesellschaft ein."
Und wenn das Problem doch der Mensch, das Individuum, der jeweils Einzelne ist? Jenseits staatlicher Steuergesetzgebung und organisierter Umverteilung steht ja der Arbeitenehmer heute, in der Epoche des radikalen ICHs, vor einem unlösbaren Widerspruch: der Verantwortungs-Verlagerung. Wenn keiner schuldfähig ist – wer übernimmt dann Verantwortung?
"Nach mir die Sintflut" hieß in den zurückliegenden Jahren das agnostische Credo eines radikal diesseitigen Lebensentwurfs, der keine Metaphysik der Errettung, kein Heil, keine Erlösung mehr anbietet und dem zeitgenössischen Subjekt jede Last der Verfügung über seine Zeit selbst auferlegt.
Neue Wir-Formationen
Nun aber scheint sich etwas zu ändern. Keine Revolution, kein Umsturz, nein, eine Evolution, eine Bewegung. Aus der Erkenntnis, dass abzockender Egoismus, Gier und Konsum und Abschöpfung das Glück des Menschen offenbar nicht steigern, suchen immer mehr ihr Heil in der Umgestaltung des Habitats. Sie sehnen sich nach Verzicht, Drosselung, Abkühlung, nach Maß, Mitte und Mitmenschlichkeit. Sie kehren in Gemeinschaften zurück und setzen dem Verlust der Vielfalt des Lebens einen neuen Lebensentwurf entgegen: Teilung der Ressourcen, Teilung der Güter, Teilung der Chancen. Nach Einschätzung des Sozialphilosophen Emunds werden somit auch Restmomente einer allgemeinverbindlichen Moral reaktiviert.
"Es ist so, dass man feststellen kann, dass an allen möglichen Ecken und Enden die Leute einen Blick dafür bekommen, dass ein Großteil unserer Lebensqualität auf geteilten Gütern beruht und dass man dafür was einbringen kann. Die Kehrseite ist, dass das auch Kompensation für den Rückbau von staatlichen Leistungen ist. Die Stadtgartengeschichte auch eine Reaktion darauf ist, dass die Städte nicht mehr genügend Geld ausgeben, um entsprechende Grünbereiche entsprechend zu pflegen."
In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren sind zahlreiche neue Formen gemeinschaftlicher Selbstorganisationen entstanden – Soziologen sprechen von einem Bewusstseinswandel unter den jungen Leuten. Es sind – nach zweihundert Jahren Flucht des Individuums aus der Gemeinschaft mittels zunehmender Individualisierung seit der Aufklärung – Versuche, neue Wir-Formationen zu schaffen. Die Wir-Schmieden stehen mitten in den Städten der Republik, in urbanen Habitaten, bei denen es allerdings gerade nicht auf Gewinnerwartung und Umsatz-Rationalität, sondern auf Gemeinwohl und Gemeinsamkeit ankommt. Man kann all diese Entwicklungen subsumieren unter die Bewegung der "Commonisten". Dem Prinzip Abzocke steht hier das Prinzip Wertschöpfung gegenüber, dem Ich-Atom die Wir-Crowd.
Das Prinzip Commonismus
Mit Kommunismus im alten Sinn hat der neue Commonismus nichts zu tun, vom Geist des hippie-esken Kommunardentums ist er ebenso weit entfernt wie von dogmatischen Weltbildern. Zu einer "Wir-Crowd" gehört jeder, der dies möchte; auf eine Ideologie muss sich niemand verpflichten; Individualität muss nicht ins Kollektiv eingepasst werden und Verschiedenheit ist ausdrücklich gewollt. Es geht nicht darum, zielstrebig und rücksichtslos die eigene Absicht umzusetzen, sondern sich in einen Fluss von Ereignissen zu begeben, der mal mehr oder weniger dynamisch ist. Man zielt auf immer wieder neu anzustoßende Prozesse sozialer Verbindung und findet sich zusammen im "Prinzessinen-Garten" oder im "Himmelbeet", in der "Dingfabrik" oder dem "Haus der Eigenarbeit" mitten in Hamburg, Berlin, Leipzig, Köln oder etwa München, wo die Soziologin Christa Müller die Stiftung "anstiftung" leitet und seit Jahren über neue Formen der Arbeit und des Engagements jenseits des Marktes nachdenkt. Sie hat über urbane Gemeinschaftsgärten geforscht, von denen es, in größeren wie zunehmend kleineren Städten Deutschlands, mittlerweile 500 gibt.
"Es geht nicht darum, in von kürzester Zeit, ganz viel Material umzusetzen und ganz viele Produkte zu erwirtschaften, die dann verkauft werden, sondern es geht darum, überhaupt sich Prozessen der Produktion anzunähern… In so einem urbanen Gemeinschaftsgarten kommt sehr viel Wissen zusammen. Da sind dann Leute, die haben Tischlerlehre gemacht, oder eine ist Ingenieurin, einer hat eine Gärtnerausbildung, es kommen viele Migranten, die Überlebensproduktion von zuhause her kennen und unter provisorischen Verhältnissen wissen, wie man eine Kiste baut, wo man urbane Landwirtschaft betreiben kann und so weiter. All dieses Wissen, diese unterschiedlichen Wissensformen werden in so einem urbanen Garten zusammengebracht, die werden auch gut moderiert, das heißt, dass alle, die kommen, häufig etwas können. Da kommt es nicht mehr darauf an, ob man Uni-Studium hat oder Analphabet ist, sondern da geht es darum, dass das Wissen, was jetzt gebraucht wird, das dann fruchtbar zu machen."
Durch getauschtes und geteiltes Wissen, aus dem sich in der globalen Wissenschaftsgesellschaft sonst kein Kapital schlagen lässt, wird in erster Linie soziale Anerkennung produziert. Gerade in den Großstädten hat diese Form der Wertschätzungs-Produktion für immer mehr junge Menschen offensichtlich einen hohen Mehrwert: Sie teilen sich die Commons, die Grundgüter. Sie treffen auf Gleichgesinnte, verschieben die Grenzen der eigenen Privatsphäre zugunsten einer Kooperation mit denen, die gerade da sind. Sie nutzen, was sie vorfinden. Sie nehmen das, was am Ort selbst vorhanden ist und schaffen daraus gemeinschaftlich etwas Neues. Jeder setzt sich in Beziehung zum Anderen, der seine Spuren hinterlassen hat. Werden statt Haben, Produzieren statt Konsumieren. So entsteht ein Wohlstand, der zwar als post-materiell verstanden werden kann, aber dennoch sehr materialistisch ist: Materie, Material, Dinge also werden repariert, wenn sie kaputt sind, Zivilisationsmüll wird auf Gebrauch hin neu begutachtet, weggeworfene Dinge werden wiederverwertet. Eine konsumkritische, aber konstruktive und mittlerweile vor allem kollektive Bewegung, die auf klassenkämpferische Parolen verzichtet und in der sinnlich erfahrenen Vita activa ein höheres Glück findet als in der Akkumulation von Geld und Gütern.
Christa Müller: "Man könnte diese neuen Orte der Subsistenzproduktion oder des Do-it-yourself schon als Laboratorien bezeichnen, weil Arten und Weisen des Miteinanders und des Umgangs mit den Dingen erprobt werden, die in Zukunft möglicherweise eine sehr viel größere Rolle spielen werden: Weil das Öl knapp wird, weil die Gesellschaft es verstanden hat, dass sie es nicht mehr leisten kann, Gemüse aus wasserarmen Gegenden zu importieren … weil wir mehr und mehr merken, dass alles in Beziehung zueinander steht, und gerade viele der jüngeren Leute ziehen aus dieser Erkenntnis die Konsequenz, dass sie mit dem, was hier vorhanden ist, versuchen wollen, einen offenen Ort zu gestalten, auch einen kosmopolitisch offenen Ort."
Gut für alle
Ein Einstellungswandel, mehr noch: ein zivilisatorischer Wandel. Das Selbstverständnis der Industriegesellschaft des 20 Jahrhunderts steht in Frage. Die Formen von Wissensproduktion und Wissenstransfer, von Güterproduktion und Verteilung – all das wird anders gestaltet, experimentell, fluid, dynamisch. Diese Bewegung einer rationalen Avantgarde ist indirekt eine Absage an totalitäre Kommerzialisierung und Kolonisierung des Sozialen durch den Ökonomischen Geist, eine Bewegung gegen Beschleunigung, Privatbesitz und Einverleibung des Öffentlichen durch das Private. Die Commonisten der Städte haben Freude daran, die vorgefertigten, allesamt über den Markt vermittelten Welten, in den sie aufgewachsen sind, zu durchbrechen und sich undefnierte Orte anzueignen, mit undefinierten Bedingungen umzugehen.
Das entspricht einem Mentalitätswandel unter vor allem jungen Business-Studenten, den auch Niels van Quaquebeke vermehrt feststellt – und zwar international.
"Was ich wahrnehme an unseren Studenten, die Wirtschaft studieren, hier in Hamburg oder vorher in Rotterdam, wo ich gelehrt habe, dass viele von denen nicht mehr Wirtschaft studieren, um persönlichen Gewinn oder Gewinn für ein Unternehmen zu maximieren, sondern um alternative Wirtschaftsmöglichkeiten zu finden. Sie machen sich sehr stark Gedanken über soziale Wirtschaftsmodelle oder das, was man social entrepreneurship nennt. Also: Schafft man es, Unternehmertum zu bilden, was trotzdem gut für die Gemeinschaft ist und nicht die Gemeinschaft beraubt?"
Altruismus statt Egoismus?
Bildet sich da womöglich ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl aus, als Gegenmittel zur bislang gefeierten Egozentrik des radikalen Individualismus? Der akademischen Glücksforschung zufolge stimmt materieller Wohlstand selten mit der gelingenden Gestaltung sozialer Beziehungen überein, und Menschlichkeit erhöht zweifelsohne auf lange Frist das eigene Wohlbefinden.
Wissenschaftlich flankiert wird diese Erkenntnis von Michael Tomasello vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Tomasello untersucht seit Jahren, wodurch die Einzigartigkeit des Menschen bestimmt ist und widmet seinen Forschergeist den Unterschieden zwischen Kindern und Menschenaffen vornehmlich in Hinsicht auf den Nahrungserwerb. Seine Ausgangsfrage lautet schlicht: Tritt Altruismus auf natürliche Weise auf oder ist er kulturell vermittelt? Und daran anknüpfend: Wie entstehen soziale Normen und Institutionen?
Entscheidend für Respektierung und Durchsetzung sozialer Normen sei nicht Altruismus, sondern "Mutualismus" – der Sinn für geteilte Intentionalität, durch den wir alle von unseren gemeinsamen Handlungen profitieren. Im Klartext: Das gemeinsame Ziel wird nur erreicht, wenn alle Partner profitieren.
Der durchökonomisierte Zeitgenosse, scheint es, hat weitgehend eingebüßt, was seit Aristoteles das große humanistische Ideal des Bürgers war: Maß und Mitte. Für eine soziale Ethik der maßvollen Mitte müsste nach Möglichkeit jeder lernen, die Perspektive des Anderen einzunehmen, weil er weiß, dass er immer selbst dieser Andere ist. Ein sozialverträglicher Egoismus der Zukunft betreibt nicht Abschöpfung und Vorteilsmaximierung, sondern ermöglicht Wertschöpfung und Konnektivität.
Wenn das so ist, bleibt uns nichts anderes übrig: Wir werden neue Heldengeschichten schreiben müssen über jene, die als erste bereit waren, Herrschaft, Wissen und Geld abzutreten.