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Gerichtsurteil in Berlin
Facebook-Konto gehört nicht automatisch zum Erbe

Vor fünf Jahren wurde eine 15-Jährige von einer U-Bahn überfahren und starb. Ihre Mutter will wissen, ob es Selbstmord war, und dazu das Facebook-Konto ihrer Tochter einsehen. Facebook lehnte das ab - und bekam vom Berliner Kammergericht Recht. Abgeschlossen ist der Fall aber noch nicht.

Von Daniela Siebert |
    Die Internetseite von Facebook auf einem Laptop.
    Den Eltern einer 15-Jährigen bleibt der Zugang zu ihrem Facebook-Konto weiter gesperrt. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Für Facebook war das heute ein voller Erfolg. Die Klage der Mutter wurde abgewiesen, sie habe keinen Anspruch auf Zugang zum Facebook-Konto ihrer verstorbenen Tochter, urteilte das Berliner Kammergericht.
    Dabei ließ es eine juristische Kernfrage des Falls explizit offen. Nämlich: Ist ein Facebook-Konto überhaupt "vererblich"? Das hatte die erste Instanz in diesem Rechtsstreit - das Berliner Landgericht - im Dezember 2015 noch bejaht und daraus seine Entscheidung zugunsten der Mutter abgeleitet. In der Quintessenz: Das digitale Vermögen dürfe für die Erben nicht anders behandelt werden als das analoge Vermögen, daher hätte die Mutter als Erbin nicht nur das Recht, etwa Tagebücher und Papierbriefe der verstorbenen Tochter zu lesen, sondern auch deren Kommunikationsinhalte auf Facebook.
    Der Schutz des Fernmeldegesetzes umfasst auch Inhalte dritter Personen
    Aber das ist ab heute Geschichte. Denn das Kammergericht Berlin stellte das Fernmeldegeheimnis in den Mittelpunkt seiner Entscheidung. Das greife hier. Es sei durch Artikel 10 des Grundgesetzes und Artikel 88 des Telekommunikationsgesetzes verbürgt und hier anzuwenden. Und zwar - das ist der i-Tüpfel an dem Urteil - umfasst von diesem Schutz des Fernmeldegeheimnisses seien automatisch auch die Kommunikationsinhalte dritter Personen, die zwischen zwei Facebook-Nutzern ausgetauscht würden. Die Argumentationslinie der Mutter, ihre Tochter hätte den Schutz durch das Fernmeldegeheimnis gar nicht beansprucht, ist damit gescheitert, erklärt Gerichtssprecherin Annette Gabriel:
    "Es ging um die Frage, ob das Mädchen der Mutter oder den Eltern die Zugangsdaten überlassen hat. Man könnte daraus argumentieren, so hat es auch die Klägerin getan, dass deshalb auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses verzichtet worden sei. Das Kammergericht hat aber darauf hingewiesen, dass es nicht ausreicht, wenn nur die Tochter darauf verzichtet, sondern gerade wenn es um eine Kommunikation im eingeschränkten Nutzerkreis sich handelt, dann müssten auch die anderen Beteiligten auf diesen Schutz verzichten."
    Revision bis zum Bundesverfasssungsgericht?
    Das Gericht hat eine Revision gegen das Urteil zugelassen. Ob die Mutter auch diesen Schritt noch gehen wird, ist fraglich. Der Berliner Rechtsanwalt Christian Pfaff vertritt sie. Er war wie auch die Facebook-Rechtsanwältin bei der Urteilsverkündung nicht im Gericht anwesend. Seine Kanzlei teilte hinterher auf Deutschlandfunk-Anfrage aber mit, zu dieser Frage äußere man sich derzeit noch nicht.
    Der Vorsitzende Richter des Kammergerichtes Björn Retzlaff wies in seiner halbstündigen Urteilserörterung aber auch darauf hin, dass es in diesem Rechtsstreit um grundsätzliche Fragen gehe, die möglicherweise sogar nur vom Bundesverfassungsgericht zu beantworten seien. Damit ist höchst unklar, wann es dazu ein rechtsgültiges Urteil geben könnte. Gerichtssprecherin Annette Gabriel.
    "Die Einlegung der Revision ist innerhalb eines Monats - erst BGH, dann BVerfG. Es muss erst dieser Weg gegangen werden."
    Auch der "Nachlasskontakt" bei Facebook hat nur eingeschränkte Zugriffe
    Das Motiv der Mutter, diesen mühseligen Klageweg überhaupt zu gehen, war: Hat meine Tochter 2012, als sie in einem Berliner U-Bahnhof vor die einfahrende U-Bahn fiel, möglicherweise Selbstmord begangen? Dieser Verdacht wird durch das heutige Urteil wohl weiterbestehen, denn die Mutter wollte ja im wesentlich "nur nachschauen", ob die Kommunikationsinhalte ihrer Tochter bei Facebook dazu Antworten gäben. Es gehe bei diesem Streit eigentlich nur um ein passives Leserecht, hatte Richter Retzlaff auch heute nochmal betont. Bei der letzten Verhandlung im April hatte er daher auch mehrere Kompromisslösungen vorgeschlagen, wie z.B. anonymisierte Ausdrucke der Inhalte. Trotzdem kam es zwischen den Eltern und Facebook zu keinem Vergleich in der Sache.
    Daher ist die Botschaft für alle deutschen Facebook-Nutzer und deren Erben nach dem heutigen Urteil: So ein Streit-Fall, wie er heute in Berlin verhandelt wurde, könnte sich wieder ereignen. Denn Facebook bietet zwar mittlerweile Erwachsenen an, einen sogenannten "Nachlasskontakt" zu bestimmen, doch auch der hat nur höchst eingeschränkte Zugriffsrechte. Darüber hinaus postuliert Facebook in seinen Regularien zu verstorbenen Nutzern:
    "In seltenen Fällen berücksichtigen wir Anfragen zu weiteren Kontoinformationen oder -inhalten."