Moshe Zuckermann fühlt sich heimatlos. So zumindest lässt es der Untertitel seiner Erinnerungen vermuten, die der israelische Historiker vor knapp drei Jahren veröffentlichte: "Reflexionen eines Heimatlosen". In seinem neuen Buch geht er dieser Heimatlosigkeit historisch nach. Seine Position zum Konflikt macht er dabei zu Beginn deutlich:
"Der Rückzug aus den besetzten Gebieten, mithin die Zwei-Staaten-Lösung, ist in der gegenwärtigen geschichtlichen Phase - bei allen damit einhergehenden Konflikten, Zerrissenheiten und kollektiven Verlustängsten - unabdingbar. Seine Notwendigkeit liegt auf der Hand. Fraglich, ob sich dafür eine genügend starke und bewusst agierende israelische Führungsgestalt finden lässt, die dies Notwendige rigoros zu vollziehen vermöchte. Aber selbst eine starke politische Führung wird sich kaum zu bewegen wagen, wenn sich die israelische Bevölkerung dem (...), nicht stellt, um die Herstellung der historisch möglichen Grundlagen für ihre eigene staatliche Fortexistenz einzufordern und diese zu garantieren."
Zuckermanns Buch ist der Versuch, sich dem Problem nüchtern zu nähern. Die Analyse beginnt bei der Konstituierung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert. Der Zionismus war damals nur eine mögliche Form einer jüdischen Antwort. Assimilation oder sozialistischer Internationalismus waren andere Optionen, mit der neuen Epoche umzugehen und jeweils für viele Juden attraktiv. Darauf hinzuweisen ist wichtig. Schließlich gehört es zur Ideologie des heutigen Israels, dass der Zionismus und die Suche nach einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk die einzig vernünftige Antwort auf die Herausforderung der Moderne waren. Dass diese nach der Erfahrung des Holocausts eine existenzielle Brisanz bekam, steht außer Zweifel. Wichtig für das Verständnis ist allerdings auch, dass die Überlebenden der Shoah schlecht in die vorherrschende zionistische Ideologie passten. Zuckermann dazu:
"Als real präsente Subjekte des Grauens, welches sie durchlebt hatten, waren die Überlebenden der öffentlichen Sphäre Israels letztlich unliebsam; man konnte sie als sichtbare Erbschaft der überlebten Gesellschaft in der neu sich aufbauenden schlechterdings nicht gebrauchen - verkörperten ja gerade die das, was der israelische Mensch nicht mehr sein sollte."
In Palästina sollte ein neuer jüdischer Mensch geschaffen werden, ein produktiver Pionier, der sich seinen Feinden widersetzt. Mithin das Gegenteil, die Negation, des historisch gewordenen Juden der Diaspora. Es ist ein interessanter Ansatz, die Geschichte Israels und des Zionismus als eine Art permanente Negation zu beschreiben. Denn nicht nur das Wesen des Juden der Diaspora sollte in Israel überwunden werden. Grundlage der Staatswerdung war auch die Behauptung, das Volk ohne Land käme in ein Land ohne Volk. Die Palästinenser kamen einfach nicht vor, wurden zunächst übergangen und letztlich vertrieben, was bekanntlich die Grundlage des heutigen Nahostkonfliktes bildet. Die daraus erwachsende andauernde Bedrohung Israels führt zur übersteigerten Bedeutung der Armee, deren Funktion es auch ist, aus den verschiedenen jüdischen Diaspora-Kulturen eine Israelische zu machen - logischerweise aufbauend auf Gewalterfahrung. Wie diese sind so gut wie alle Aspekte der zionistischen Staatsideologie, die Zuckermann nennt. negativ bestimmt. Ein in die Zukunft weisender positiver Bezug wird so um so schwerer.
Einer Frage widmet der Autor sich besonders vehement. Kann es für die Juden in der Welt eine andere Heimat geben als Israel? Zuckermann schreibt provokant:
"Schon heute darf behauptet werden, dass die individuelle Existenz des Juden in keinem anderen Land der Welt solcher Bedrohung ausgesetzt ist wie in Israel, ja dass die Gefahr, sein 21. Lebensjahr nicht zu erreichen, für einen jungen Juden in Israel größer ist als sonstwo auf der Welt."
Zuckermann sieht in Israel nur eine mögliche Heimat für die Juden. Für ihn spricht prinzipiell nichts gegen die Annahme der Diaspora. Die Behauptung, nur Israel wäre eine legitime Heimat der Juden, wie sie der damalige Staatspräsident Ezer Weizmann beispielsweise 1996 bei seinem Deutschlandbesuch vertreten hat, weist er energisch zurück. Interessanterweise ist hier die Position des erklärten Atheisten Zuckermann sehr nah bei der vieler orthodoxen Juden. Für sie bedeutet der Zionismus eine Gotteslästerung, da er behauptet, ein irdisches Jerusalem zu schaffen - vor der Ankunft des jüdischen Messias. Ein Israel mit Zügen der Diaspora ist so denkbar, ein Land, in dem Juden und eine große Zahl Nicht-Juden zusammenleben. Hier treffen sich die Positionen Zuckermanns und der Orthodoxie. Aber der Weg dahin ist lang, er enthält sich einer Prognose:
"Der israelisch-palästinensische Konflikt wird, wenn überhaupt, am Verhandlungstisch sein Ende finden. Seine finale Lösung wird mit der Errichtung eines palästinensischen Staates verbunden sein, mit der Anerkennung Ostjerusalems als seiner Hauptstadt und irgendeinem Abkommen über das Schicksal der Flüchtlinge. Relevant ist in historischer Perspektive einzig die Frage, wie viele weitere Zirkel der Gewalt und des Blutvergießens, der Not, des Leids, des Verlusts und der Trauer die verfeindeten Seiten werden durchmessen müssen, ehe man dieses erstrebte Ziel (wenn es denn als solches erscheinen sollte) wird erlangen können."
Zuckermanns als Essay angelegte Studie ist eine illusionslose und zum Teil leider auch resignative Bestandsaufnahme des historisch gewordenen Israel. Trotz der genannten Mängel sollte jeder dieses Buch lesen, der sich mit dem heutigen Israel ernsthaft auseinander setzt.
Mosche Zuckermann, Sechzig Jahre Israel. Die Genesis einer politischen Krise des Zionismus, Bonn, Pahl-Rugenstein-Verlag, 166 Seiten, 16,90 Euro.
"Der Rückzug aus den besetzten Gebieten, mithin die Zwei-Staaten-Lösung, ist in der gegenwärtigen geschichtlichen Phase - bei allen damit einhergehenden Konflikten, Zerrissenheiten und kollektiven Verlustängsten - unabdingbar. Seine Notwendigkeit liegt auf der Hand. Fraglich, ob sich dafür eine genügend starke und bewusst agierende israelische Führungsgestalt finden lässt, die dies Notwendige rigoros zu vollziehen vermöchte. Aber selbst eine starke politische Führung wird sich kaum zu bewegen wagen, wenn sich die israelische Bevölkerung dem (...), nicht stellt, um die Herstellung der historisch möglichen Grundlagen für ihre eigene staatliche Fortexistenz einzufordern und diese zu garantieren."
Zuckermanns Buch ist der Versuch, sich dem Problem nüchtern zu nähern. Die Analyse beginnt bei der Konstituierung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert. Der Zionismus war damals nur eine mögliche Form einer jüdischen Antwort. Assimilation oder sozialistischer Internationalismus waren andere Optionen, mit der neuen Epoche umzugehen und jeweils für viele Juden attraktiv. Darauf hinzuweisen ist wichtig. Schließlich gehört es zur Ideologie des heutigen Israels, dass der Zionismus und die Suche nach einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk die einzig vernünftige Antwort auf die Herausforderung der Moderne waren. Dass diese nach der Erfahrung des Holocausts eine existenzielle Brisanz bekam, steht außer Zweifel. Wichtig für das Verständnis ist allerdings auch, dass die Überlebenden der Shoah schlecht in die vorherrschende zionistische Ideologie passten. Zuckermann dazu:
"Als real präsente Subjekte des Grauens, welches sie durchlebt hatten, waren die Überlebenden der öffentlichen Sphäre Israels letztlich unliebsam; man konnte sie als sichtbare Erbschaft der überlebten Gesellschaft in der neu sich aufbauenden schlechterdings nicht gebrauchen - verkörperten ja gerade die das, was der israelische Mensch nicht mehr sein sollte."
In Palästina sollte ein neuer jüdischer Mensch geschaffen werden, ein produktiver Pionier, der sich seinen Feinden widersetzt. Mithin das Gegenteil, die Negation, des historisch gewordenen Juden der Diaspora. Es ist ein interessanter Ansatz, die Geschichte Israels und des Zionismus als eine Art permanente Negation zu beschreiben. Denn nicht nur das Wesen des Juden der Diaspora sollte in Israel überwunden werden. Grundlage der Staatswerdung war auch die Behauptung, das Volk ohne Land käme in ein Land ohne Volk. Die Palästinenser kamen einfach nicht vor, wurden zunächst übergangen und letztlich vertrieben, was bekanntlich die Grundlage des heutigen Nahostkonfliktes bildet. Die daraus erwachsende andauernde Bedrohung Israels führt zur übersteigerten Bedeutung der Armee, deren Funktion es auch ist, aus den verschiedenen jüdischen Diaspora-Kulturen eine Israelische zu machen - logischerweise aufbauend auf Gewalterfahrung. Wie diese sind so gut wie alle Aspekte der zionistischen Staatsideologie, die Zuckermann nennt. negativ bestimmt. Ein in die Zukunft weisender positiver Bezug wird so um so schwerer.
Einer Frage widmet der Autor sich besonders vehement. Kann es für die Juden in der Welt eine andere Heimat geben als Israel? Zuckermann schreibt provokant:
"Schon heute darf behauptet werden, dass die individuelle Existenz des Juden in keinem anderen Land der Welt solcher Bedrohung ausgesetzt ist wie in Israel, ja dass die Gefahr, sein 21. Lebensjahr nicht zu erreichen, für einen jungen Juden in Israel größer ist als sonstwo auf der Welt."
Zuckermann sieht in Israel nur eine mögliche Heimat für die Juden. Für ihn spricht prinzipiell nichts gegen die Annahme der Diaspora. Die Behauptung, nur Israel wäre eine legitime Heimat der Juden, wie sie der damalige Staatspräsident Ezer Weizmann beispielsweise 1996 bei seinem Deutschlandbesuch vertreten hat, weist er energisch zurück. Interessanterweise ist hier die Position des erklärten Atheisten Zuckermann sehr nah bei der vieler orthodoxen Juden. Für sie bedeutet der Zionismus eine Gotteslästerung, da er behauptet, ein irdisches Jerusalem zu schaffen - vor der Ankunft des jüdischen Messias. Ein Israel mit Zügen der Diaspora ist so denkbar, ein Land, in dem Juden und eine große Zahl Nicht-Juden zusammenleben. Hier treffen sich die Positionen Zuckermanns und der Orthodoxie. Aber der Weg dahin ist lang, er enthält sich einer Prognose:
"Der israelisch-palästinensische Konflikt wird, wenn überhaupt, am Verhandlungstisch sein Ende finden. Seine finale Lösung wird mit der Errichtung eines palästinensischen Staates verbunden sein, mit der Anerkennung Ostjerusalems als seiner Hauptstadt und irgendeinem Abkommen über das Schicksal der Flüchtlinge. Relevant ist in historischer Perspektive einzig die Frage, wie viele weitere Zirkel der Gewalt und des Blutvergießens, der Not, des Leids, des Verlusts und der Trauer die verfeindeten Seiten werden durchmessen müssen, ehe man dieses erstrebte Ziel (wenn es denn als solches erscheinen sollte) wird erlangen können."
Zuckermanns als Essay angelegte Studie ist eine illusionslose und zum Teil leider auch resignative Bestandsaufnahme des historisch gewordenen Israel. Trotz der genannten Mängel sollte jeder dieses Buch lesen, der sich mit dem heutigen Israel ernsthaft auseinander setzt.
Mosche Zuckermann, Sechzig Jahre Israel. Die Genesis einer politischen Krise des Zionismus, Bonn, Pahl-Rugenstein-Verlag, 166 Seiten, 16,90 Euro.