Die Seminare, die Etgar Keret seit den neunziger Jahren an der Filmhochschule in Tel Aviv gab und der Erfolg seines ersten Spielfilms "Jellyfish" 2007 bei den Festspielen in Cannes, zogen so viele Drehbuchaufträge nach sich, dass für seine literarische Arbeit keine Zeit mehr blieb. Etgar Keret ist sichtlich erleichtert darüber, dass er nach einer mehrjährigen Schreibpause wieder zur Prosa zurückgefunden hat.
"Ich habe eine Menge Veränderungen durchgemacht: Ich habe geheiratet, bin Vater geworden, habe eine Wohnung gekauft und einen Kredit aufgenommen – also Dinge getan, die ich vorher immer furchtbar langweilig fand, und nun saß ich da und dachte: Oje, werden mir jetzt etwa Versicherungsvertreter und Banken, denen ich Geld schulde, die Themen diktieren' Aber als ich dann "Plötzlich klopft es an der Tür" schrieb, kapierte ich, dass die neuen äußeren Lebensumstände und Verpflichtungen keinen Einfluss haben auf meine Grundhaltung. Das Leben funkelt immer noch ironisch und abenteuerlich, selbst wenn es von außen betrachtet kleinbürgerliche Züge angenommen hat."
Die Titelgeschichte ist eine witzige Reflexion über quälende Schreibhemmungen, verpatzte Anfänge und die unerbittlichen Forderungen eines Publikums, das spannende Unterhaltung einklagt. Der Icherzähler ist Keret selbst. Drei ungebetene Gäste verschaffen sich nacheinander Zutritt zu seiner Wohnung und zwingen ihn, eine Geschichte zu erfinden. "Sei kein Knauser", ermuntern sie ihn, "es sind schwere Zeiten. Arbeitslosigkeit, Anschläge, Iraner. Die Leute sind gierig nach was anderem." Etgar Keret ironisiert das Bedürfnis und erfüllt es doch gehorsam, denn schließlich geht es ihm nicht anders als den meisten Israelis: Sie sind froh, wenn es gelingt, die Gegenwart zeitweilig zu vergessen. Und Kerets Geschichten sind ein Garant dafür. So sehr er die Wirklichkeit oft grell überzeichnet, spürt man doch, dass die Kurzgeschichten von Alltagserlebnissen inspiriert sind.
"Meinen Versicherungsvertreter, den hasse ich wirklich. Die ganze Zeit versucht er mir, Angst einzujagen. Das ist so ein Mafia-Typ, der dich anguckt und sagt: 'Oh, Ihr habt so ein schönes Kind. Wenn Euch was passiert, wird es furchtbar allein sein. Vielleicht wäre es besser, Ihr gebt mir ein wenig Geld, das ich für Euch anlege.' Er malt dir immerzu die schlimmsten Szenarien aus. Also habe ich die Geschichte "Schlechtes Karma" geschrieben, in der ein Versicherungsvertreter ertragen muss, dass sein Leben zerstört wird."
Von sich selbst sagt Etgar Keret, er sei ein ausgesprochen ängstlicher Mann. Und ja, die vielen Unfälle, die in seinen Geschichten passieren, sind ein Ventil für seine Katastrophenfantasien. Er hat versucht, seine Psyche auszutricksen und einen Roman zu schreiben, denn diese Form hält für die meisten Charaktere ein längeres Leben bereit. Nicht so bei Keret. Spätestens auf Seite drei, scherzt er, fällt seinem Protagonisten beim Spaziergehen ein schwerer Gegenstand auf den Kopf und er steht nie wieder auf. Die Kurzgeschichte ist also doch die Form, die ihm angemessen ist und die er wirklich beherrscht.
"Wenn ich auf der Straße alle Frauen küssen würden, die mir gefallen, oder allen Typen auf die Nase haue, die mich schräg angucken, dann bekäme ich sehr schnell Ärger. Man würde mich verhaften oder übel zusammenschlagen. In den Geschichten kann man seinen Vorstellungen freien Lauf lassen. Deine Figuren können Sehnsüchte oder Laster ausleben, die du dir im wirklichen Leben versagen musst. In der Fiktion kann man sich dazu bekennen."
Die Geschichte "Welches Tier bist Du?" ist Etgar Kerets erklärte Lieblingsgeschichte. Sie handelt von einer deutschen Fernsehkorrespondentin, die den für seine Geduld und Liebenswürdigkeit bekannten Autor mit einem Kamerateam besucht und mit immer neuen Einstellungen quält. Typisch für Keret ist es, dass er seine Familie mit ins Bild holt: seine Frau Shira Geffen, mit der er zusammen Drehbücher schreibt, und den gemeinsamen kleinen Sohn. Der liebt es, Nutten, die einen Nachbarn regelmäßig besuchen, im Flur aufzuhalten und zu fragen, welches Tier sie seien. Die Huren erfreuen das Kind regelmäßig mit fantasievollen Ausschmückungen. Und was antwortet die routinierte Fernsehfachfrau auf die Frage des Jungen?
"Ich bin kein Tier", lacht sie und fährt ihm mit ihren langen Fingernägeln durchs Haar, "ich bin ein Monster. Ein Monster, das von der anderen Seite des Ozeans gekommen ist, um hübsche kleine Jungen wie dich zu fressen."
"Sie sagt, dass sie ein Singvogel ist", übersetze ich meinem Sohn mit einem Höchstmaß an Natürlichkeit. "Sie sagt, sie ist ein Singvogel mit roten Federn, der aus einem fernen Land hier her geflogen ist."
Wer Etgar Keret liest, bemerkt schnell, dass die Figuren seiner Kurzgeschichten häufig schwindeln, um andere zu schützen und nicht zu überfordern. Sie lieben – ganz wie der Autor - versöhnte Verhältnisse. Dennoch bestimmt das anarchische Potenzial des Erzählers den Handlungsverlauf der meisten Geschichten deutlich häufiger.
"Wenn ich Geschichten schreibe, weiß ich nicht, was als Nächstes passiert. Am Anfang passiert so etwas wie der Urknall: Die Handlung zerreißt, die Figuren streben auseinander. Ich habe keinen Plan und sehe noch nicht, wie sich Absätze miteinander verbinden lassen, und doch findet sich schließlich ein Punkt, an dem alle Fäden zusammen laufen. Es gibt eine Klammer. Was vorher abwegig erschien, macht plötzlich Sinn. Das Geschichtenschreiben ist wie ein Prozess, bei dem ich mich selber besser verstehen lerne und es ist ein bisschen wie Zen. Du sieht das Ziel nicht. Wenn die Geschichte zu Ende erzählt ist, weißt du, dass du es getroffen hast."
Mit der in Amerika spielenden Geschichte "Jesus Christ" ist Etgar Keret die gewünschte Punktlandung perfekt gelungen; wie überhaupt alle Geschichten von seiner wunderbaren Gabe zeugen, einem auf nur wenigen Seiten die Augen zu öffnen für unsagbar viele Zwänge und ebenso viele Auswege. Sein Personal ist mitnichten leicht in die Knie zu zwingen. Neben der wiedererwachten Lust am Schreiben von Storys, genießt er es, zusammen mit seiner Frau für eine französische Fernsehserie ein nicht sehr realitätsnahes Drehbuch über die Immobilienbranche zu schreiben. In Israel, bedauert Keret, sei der Markt für experimentelle Filmserien einfach zu klein. Den Lebensunterhalt verdient er nach wie vor als Dozent für Literatur und Kreatives Schreiben – nicht mehr an der Universität von Tel Aviv, sondern in Be'er Sheva in der Negev-Wüste. Man wünscht sich, dass Ereignisse, die er dort beobachtet, schon bald in neue Geschichten verwandelt werden.
"Ich unterrichte viele Beduinen, und manchmal kommen sogar ein paar Siedlerinnen in meine Seminare. In Be'er Sheva mischen sich unterschiedlichere Kreise viel stärker als in Tel Aviv. Ich ziehe sowieso eher Außenseiter an und nicht diejenigen, die sich in unserer Gesellschaft gut genug Gehör verschaffen können. Mir gefällt es, mit arabischen Frauen und frommen Siedlerinnen zusammen zu arbeiten. Anfangs beäugen sie sich immer misstrauisch, aber diese skeptische Zurückhaltung verflüchtigt sich meist schnell, denn sie entdecken plötzlich viele Gemeinsamkeiten in ihren Texten. Siedlerinnen und gläubige Beduininnen rebellieren, jede auf ihre Art, gegen patriarchalische Strukturen. Man stellt sich unweigerlich vor, dass, wenn das Ganze Land doch bloß ein einziger Workshop wäre, wir vielleicht Frieden haben könnten."
Etgar Keret: "Plötzlich klopft es an der Tür".
Stories. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner,
S. Fischer Verlag, Frankfurt a/M. 2012, 256 Seiten, 18,99 Euro
"Ich habe eine Menge Veränderungen durchgemacht: Ich habe geheiratet, bin Vater geworden, habe eine Wohnung gekauft und einen Kredit aufgenommen – also Dinge getan, die ich vorher immer furchtbar langweilig fand, und nun saß ich da und dachte: Oje, werden mir jetzt etwa Versicherungsvertreter und Banken, denen ich Geld schulde, die Themen diktieren' Aber als ich dann "Plötzlich klopft es an der Tür" schrieb, kapierte ich, dass die neuen äußeren Lebensumstände und Verpflichtungen keinen Einfluss haben auf meine Grundhaltung. Das Leben funkelt immer noch ironisch und abenteuerlich, selbst wenn es von außen betrachtet kleinbürgerliche Züge angenommen hat."
Die Titelgeschichte ist eine witzige Reflexion über quälende Schreibhemmungen, verpatzte Anfänge und die unerbittlichen Forderungen eines Publikums, das spannende Unterhaltung einklagt. Der Icherzähler ist Keret selbst. Drei ungebetene Gäste verschaffen sich nacheinander Zutritt zu seiner Wohnung und zwingen ihn, eine Geschichte zu erfinden. "Sei kein Knauser", ermuntern sie ihn, "es sind schwere Zeiten. Arbeitslosigkeit, Anschläge, Iraner. Die Leute sind gierig nach was anderem." Etgar Keret ironisiert das Bedürfnis und erfüllt es doch gehorsam, denn schließlich geht es ihm nicht anders als den meisten Israelis: Sie sind froh, wenn es gelingt, die Gegenwart zeitweilig zu vergessen. Und Kerets Geschichten sind ein Garant dafür. So sehr er die Wirklichkeit oft grell überzeichnet, spürt man doch, dass die Kurzgeschichten von Alltagserlebnissen inspiriert sind.
"Meinen Versicherungsvertreter, den hasse ich wirklich. Die ganze Zeit versucht er mir, Angst einzujagen. Das ist so ein Mafia-Typ, der dich anguckt und sagt: 'Oh, Ihr habt so ein schönes Kind. Wenn Euch was passiert, wird es furchtbar allein sein. Vielleicht wäre es besser, Ihr gebt mir ein wenig Geld, das ich für Euch anlege.' Er malt dir immerzu die schlimmsten Szenarien aus. Also habe ich die Geschichte "Schlechtes Karma" geschrieben, in der ein Versicherungsvertreter ertragen muss, dass sein Leben zerstört wird."
Von sich selbst sagt Etgar Keret, er sei ein ausgesprochen ängstlicher Mann. Und ja, die vielen Unfälle, die in seinen Geschichten passieren, sind ein Ventil für seine Katastrophenfantasien. Er hat versucht, seine Psyche auszutricksen und einen Roman zu schreiben, denn diese Form hält für die meisten Charaktere ein längeres Leben bereit. Nicht so bei Keret. Spätestens auf Seite drei, scherzt er, fällt seinem Protagonisten beim Spaziergehen ein schwerer Gegenstand auf den Kopf und er steht nie wieder auf. Die Kurzgeschichte ist also doch die Form, die ihm angemessen ist und die er wirklich beherrscht.
"Wenn ich auf der Straße alle Frauen küssen würden, die mir gefallen, oder allen Typen auf die Nase haue, die mich schräg angucken, dann bekäme ich sehr schnell Ärger. Man würde mich verhaften oder übel zusammenschlagen. In den Geschichten kann man seinen Vorstellungen freien Lauf lassen. Deine Figuren können Sehnsüchte oder Laster ausleben, die du dir im wirklichen Leben versagen musst. In der Fiktion kann man sich dazu bekennen."
Die Geschichte "Welches Tier bist Du?" ist Etgar Kerets erklärte Lieblingsgeschichte. Sie handelt von einer deutschen Fernsehkorrespondentin, die den für seine Geduld und Liebenswürdigkeit bekannten Autor mit einem Kamerateam besucht und mit immer neuen Einstellungen quält. Typisch für Keret ist es, dass er seine Familie mit ins Bild holt: seine Frau Shira Geffen, mit der er zusammen Drehbücher schreibt, und den gemeinsamen kleinen Sohn. Der liebt es, Nutten, die einen Nachbarn regelmäßig besuchen, im Flur aufzuhalten und zu fragen, welches Tier sie seien. Die Huren erfreuen das Kind regelmäßig mit fantasievollen Ausschmückungen. Und was antwortet die routinierte Fernsehfachfrau auf die Frage des Jungen?
"Ich bin kein Tier", lacht sie und fährt ihm mit ihren langen Fingernägeln durchs Haar, "ich bin ein Monster. Ein Monster, das von der anderen Seite des Ozeans gekommen ist, um hübsche kleine Jungen wie dich zu fressen."
"Sie sagt, dass sie ein Singvogel ist", übersetze ich meinem Sohn mit einem Höchstmaß an Natürlichkeit. "Sie sagt, sie ist ein Singvogel mit roten Federn, der aus einem fernen Land hier her geflogen ist."
Wer Etgar Keret liest, bemerkt schnell, dass die Figuren seiner Kurzgeschichten häufig schwindeln, um andere zu schützen und nicht zu überfordern. Sie lieben – ganz wie der Autor - versöhnte Verhältnisse. Dennoch bestimmt das anarchische Potenzial des Erzählers den Handlungsverlauf der meisten Geschichten deutlich häufiger.
"Wenn ich Geschichten schreibe, weiß ich nicht, was als Nächstes passiert. Am Anfang passiert so etwas wie der Urknall: Die Handlung zerreißt, die Figuren streben auseinander. Ich habe keinen Plan und sehe noch nicht, wie sich Absätze miteinander verbinden lassen, und doch findet sich schließlich ein Punkt, an dem alle Fäden zusammen laufen. Es gibt eine Klammer. Was vorher abwegig erschien, macht plötzlich Sinn. Das Geschichtenschreiben ist wie ein Prozess, bei dem ich mich selber besser verstehen lerne und es ist ein bisschen wie Zen. Du sieht das Ziel nicht. Wenn die Geschichte zu Ende erzählt ist, weißt du, dass du es getroffen hast."
Mit der in Amerika spielenden Geschichte "Jesus Christ" ist Etgar Keret die gewünschte Punktlandung perfekt gelungen; wie überhaupt alle Geschichten von seiner wunderbaren Gabe zeugen, einem auf nur wenigen Seiten die Augen zu öffnen für unsagbar viele Zwänge und ebenso viele Auswege. Sein Personal ist mitnichten leicht in die Knie zu zwingen. Neben der wiedererwachten Lust am Schreiben von Storys, genießt er es, zusammen mit seiner Frau für eine französische Fernsehserie ein nicht sehr realitätsnahes Drehbuch über die Immobilienbranche zu schreiben. In Israel, bedauert Keret, sei der Markt für experimentelle Filmserien einfach zu klein. Den Lebensunterhalt verdient er nach wie vor als Dozent für Literatur und Kreatives Schreiben – nicht mehr an der Universität von Tel Aviv, sondern in Be'er Sheva in der Negev-Wüste. Man wünscht sich, dass Ereignisse, die er dort beobachtet, schon bald in neue Geschichten verwandelt werden.
"Ich unterrichte viele Beduinen, und manchmal kommen sogar ein paar Siedlerinnen in meine Seminare. In Be'er Sheva mischen sich unterschiedlichere Kreise viel stärker als in Tel Aviv. Ich ziehe sowieso eher Außenseiter an und nicht diejenigen, die sich in unserer Gesellschaft gut genug Gehör verschaffen können. Mir gefällt es, mit arabischen Frauen und frommen Siedlerinnen zusammen zu arbeiten. Anfangs beäugen sie sich immer misstrauisch, aber diese skeptische Zurückhaltung verflüchtigt sich meist schnell, denn sie entdecken plötzlich viele Gemeinsamkeiten in ihren Texten. Siedlerinnen und gläubige Beduininnen rebellieren, jede auf ihre Art, gegen patriarchalische Strukturen. Man stellt sich unweigerlich vor, dass, wenn das Ganze Land doch bloß ein einziger Workshop wäre, wir vielleicht Frieden haben könnten."
Etgar Keret: "Plötzlich klopft es an der Tür".
Stories. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner,
S. Fischer Verlag, Frankfurt a/M. 2012, 256 Seiten, 18,99 Euro