Der Wirtschaftswissenschaftler Professor Robert Kappel war bis 2011 Präsident des GIGA und forscht dort bis heute. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums seines Instituts hat er sich mit dessen Geschichte beschäftigt.
"Andreas Predöhl war 1964 der Gründungsdirektor des Deutschen Überseeinstituts aus dem später das GIGA wurde. Er ist eine zentrale Figur in der deutschen Wirtschaftspolitik gewesen."
Für die Festschrift des Instituts haben Robert Kappel und andere Wissenschaftler den Werdegang des Gründungsdirektors aufgearbeitet.
"Bei unseren Recherchen haben wir erfahren müssen, dass Predöhl nicht nur ein Mitläufer des faschistischen Regimes war, sondern ein sehr aktiver Schreibtischtäter, der von 1934 bis 1945 das Institut für Weltwirtschaft in Kiel geleitet hat. Auch Vizepräsident und Präsident der Universität Kiel war und damals für die Nazis zugearbeitet hat."
Etwa zweitausend Forschungsberichte und Gutachten wurden unter der Leitung von Andreas Predöhl für das Oberkommando der Wehrmacht, das Reichswirtschaftsministerium und die SS angefertigt, ergänzt Dr. Christoph Scheuplein. Der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler ist Mitarbeiter am Fachbereich Geografie der Universität Münster.
"Das Institut für Weltwirtschaft hat schon im Dezember 1939 eine Studie gemacht zu Rohstoffvorkommen in der Sowjetunion. Und das heißt, man wusste zum damaligen Zeitpunkt schon, dass es eine Überlegung der Wehrmacht war, die Sowjetunion zu überfallen."
Als 1941 der Überfall stattfand, so Christoph Scheuplein, gab es die Anweisung, dass die dort kämpfenden Soldaten ausschließlich mit den Lebensmitteln aus der Sowjetunion zu versorgen seien. Dass aus dem Deutschen Reich keinerlei Nahrung an die sowjetische Front geliefert werden durfte.
"Und dass damit Millionen von sowjetischen Bürgern verhungern müssten, denn die Lebensmittel können ja nur einmal aufgegessen werden. Und das Institut für Weltwirtschaft war in die Ausplünderung der Sowjetunion aktiv eingebunden. Sie haben nämlich permanent Gutachten darüber gemacht, welche Nahrungsmittelproduktion, welche Rohstoffvorkommen es gibt und wie die zugeführt werden können der Wehrmacht. Und natürlich letztlich dann auch dem Deutschen Reich und der Industrie."
Andreas Predöhl, Jahrgang 1893, hat diese und andere Gutachten betreut. Was er in Sachen Zwangsarbeit und Vernichtungslagern wusste, ist noch nicht erforscht. Predöhl, als junger Mann vier Jahre Soldat im Ersten Weltkrieg, war in der Weimarer Republik Mitglied der SPD. Als 1933 die Nazis an die Macht kamen, sah er seine Chance, Karriere zu machen. 1937 trat er in die NSDAP ein, erzählt Christoph Scheuplein.
"Der hat ja das Institut für Weltwirtschaft nach 1939 auf die totale Kriegsforschung umgestellt. Und das ist ein Extremismus, den er aus dem Ersten Weltkrieg mitgenommen hat."
Nach 1945 war für Andreas Predöhl erst mal Schluss mit der Karriere beim Weltwirtschaftsinstitut, sagt der Politikwissenschaftler Professor Wolfgang Hein vom GIGA, dem damaligen Hamburgischen Weltwirtschaftsarchiv.
"Und da gab es dann Proteste von den Mitarbeitern, die sich an die vielen entlassenen Kollegen 1933 erinnerten. Dann allerdings 1946 ist er in dem Entnazifizierungsverfahren freigesprochen worden."
Die Karriere ging dann bruchlos weiter. Niemand fragte, was Predöhl als Leiter des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zwischen 1934 und 1945 wirklich gemacht habe, berichtet Christoph Scheuplein. Und Predöhl selbst erdichtete seine ganz eigene Biografie.
"Andreas Predöhl hat deutlich gemacht, dass er gekämpft hat gegen Extremismus während des Dritten Reiches und die Wissenschaft gerettet hat. Das ist seine Selbstdarstellung. Und die hat auch sehr lange funktioniert. Eigentlich bis in die 80er Jahre, als er schon längst tot war."
Bis 1949 war Predöhl Professor an der Universität Kiel, folgte 1953 einem Ruf nach Münster und war ein angesehener Wissenschaftler. Die SPD empfing ihn gerne wieder in ihren Reihen und die Bundesregierung machte ihn zu ihrem Berater, konstatiert Robert Kappel.
"Die Verdienste in der Nachkriegszeit liegen darin, dass er ein Konzept für eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mit befördert hat. Also er war Stichwortgeber für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft."
Allerdings, so Robert Kappel, waren solche Ideen für Predöhl nicht ganz neu.
"Diese Idee von einem größeren Raum, der in der Nazidiktatur mit Gewalt erzwungen wurde, indem man die Nachbarländer überfiel, wurde dann unter einem anderen Label später anders verkauft. Aber es handelt sich hierbei auch um eine Vergrößerung eines Wirtschaftsraumes. Manche sagen, eigentlich eine gradlinige Entwicklung seines ideologischen Denkens."
Wie konnte es sein, dass ein Nazi-Kollaborateur über Jahrzehnte einer der angesehensten Mitglieder der bundesdeutschen Gesellschaft war? Den Politikwissenschaftler Wolfgang Hein wundert das nicht. Denn nur diejenigen, die direkt an Morden beteiligt waren, wurden geächtet.
"Während die anderen, die so wie Predöhl ihren Job gemacht haben, ja eigentlich nicht so sehr viel anders gesehen wurden von großen Teilen der Bevölkerung wie das, was sie selbst auch gemacht haben. Es haben ja alle in der einen oder anderen Form mitgemacht."
Dazu kam, dass es nach dem Zusammenbruch des NS Regimes nur wenig qualifizierte Leute gab, die in Deutschland geblieben waren, resümiert Robert Kappel. Und solche brauchte man für den Neubeginn als Fachkräfte.
"Andrerseits gab es eben auch den Wunsch im Nachkriegsdeutschland, wir fangen ganz von vorne an. Wir lassen das mal alles hinter uns und jetzt geht es nur um den Aufbau. Da passten diese Leute rein. Haben sich angepasst und sofort wieder Positionen übernommen."
Das Institut für Weltwirtschaft Kiel, das Andreas Predöhl ab 1934 bis zum Kriegsende leitete, hat überhaupt erst 1999 angefangen, seine eigene Geschichte und die seines ehemaligen Direktors aufzuarbeiten, resümiert Robert Kappel. In gewisser Weise auch ein Verschweigen, sagt er.
"Wissenschaft hat auch immer eine Aufgabe, kritisch zu sein und kritisch zu reflektieren, was man gemacht hat. Von daher ist das nicht nur eine Geschichte von früher, sondern ist auch eine Geschichte von heute. Wie geht heute Wissenschaft damit um, dass Entscheidungsträger bestimmte Gutachten haben wollen, dass sie bestimmte Unterfütterung ihrer eigenen politischen Vorstellungen haben. Wissenschaft muss Ergebnisse präsentieren, die nicht unbedingt mit dem übereinstimmen müssen, was die Entscheider sich vorstellen."