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Globale Ausbreitung
Anschläge auf Energie-Infrastrukturen mehr als verdoppelt

Terroranschläge im Energiesektor breiten sich aus wie Infektionskrankheiten. Der Ausgangsherd in den 80er-Jahren war Süd- und Mittelamerika, wo häufig Elektrizitätsleitungen gekappt wurden. Im vergangenen Jahrzehnt kamen weitere Hot Spots hinzu: der Irak, Russland, Thailand, die Philippinen, Nigeria und Kolumbien. Angriffe sind nun über den ganzen Globus verteilt.

Von Volker Mrasek |
    Terrorgruppen jagen Öl-Pipelines in die Luft; Piraten kapern Tanker und entführen sie. Man hat das Gefühl, solche Attacken häufen sich in jüngster Zeit ...
    "Aber stimmt es wirklich, dass Anschläge auf Energie-Infrastrukturen zunehmen? Nachprüfbare Daten fehlten dazu bisher!"
    Jetzt liegen solche Informationen vor. Und Jennifer Giroux hat daran großen Anteil. Die Anthropologin aus den USA forscht im Zentrum für Sicherheitsstudien an der ETH Zürich. In knapp fünfjähriger Arbeit entstand dort die erste umfangreiche Datenbank für weltweite Anschläge im Energie-Sektor. Über 8.000 Vorfälle gab es demnach in den Jahren 1980 bis 2012.
    Und tatsächlich! Die Attacken haben sich zuletzt stark gehäuft:
    "Vor 1999 kam es im Schnitt zu 150 bis 200 Anschlägen pro Jahr. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich ihre Anzahl dann aber mehr als verdoppelt."
    Die US-Forscherin nennt dafür zwei wesentliche Gründe. Regionen, in denen Erdöl gefördert werde, seien konfliktreicher geworden, insbesondere der Nahe Osten. Überdies hätten immer mehr Anschläge im Energiesektor einen kriminellen Hintergrund. Neben rein politischen Sabotage-Akten komme es heute vermehrt zu Entführungen und Lösegeld-Erpressungen ...
    "Seit 2007 sind Piraten ein großes Problem vor der Küste Somalias und im Golf von Aden. Sie kapern Tanker und erpressen Lösegelder. Inzwischen beobachten wir das auch im Golf von Guinea in Westafrika, im südchinesischen Meer sowie in den Straßen von Malakka und Singapur im Indischen Ozean."
    "Ein weiterer Hot Spot der weltweiten Anschläge ist das Niger-Delta in Nigeria, wo der Energiekonzern Shell Öl fördert und starke Umweltschäden auftreten."
    "Nigeria war in den 80er und 90er Jahren auch noch kein großes Thema. In den letzten zwölf Jahren ist die Zahl von Anschlägen auf die örtliche Energie-Infrastruktur aber förmlich explodiert. Pipelines wurden gesprengt, Anlagen und Arbeiter attackiert. Als es Mitte des letzten Jahrzehnts zu einem bewaffneten Aufstand kam, fiel die Erdöl-Produktion von 2,4 auf 1,5 Millionen Barrel pro Tag. Das ist ein dramatischer Rückgang!"
    Bei ihrer Daten-Analyse hat Jennifer Giroux den Eindruck gewonnen, dass sich Anschläge im Energiesektor wie Infektionskrankheiten ausbreiten und praktisch ansteckend sind. Der Ausgangsherd in den 80er Jahren war demnach Süd- und Mittelamerika, wo häufig Elektrizitätsleitungen gekappt wurden ...
    "In den 90er Jahren sehen wir dann auch Anschläge in Angola sowie in Spanien und Frankreich, wo Separatisten-Bewegungen Energiesysteme ins Visier nehmen. Im vergangenen Jahrzehnt kommen weitere Hot Spots hinzu: der Irak, Russland, Thailand, die Philippinen, Nigeria und Kolumbien. Anschläge sind nun über den ganzen Globus verteilt."
    Doch kann die neue Datenbank auch dabei helfen, Angriffe im Energiesektor zu vermeiden?
    Peter Burgherr würde sich das wünschen. Der Risikoanalyst vom Paul-Scherrer-Institut bei Zürich arbeitet mit an dem Projekt und verweist auf eine laufende Fallstudie in Nordafrika:
    "Wenn man zum Beispiel Algerien nimmt, dann gibt es dort fast keine Anschläge. Das ist einigermaßen erstaunlich. Es gibt schon auch Gruppierungen dort, wo man eigentlich erwarten würde, dass die auch auf die Energie-Infrastrukturen abzielen. Dort sind wir im Moment am Schauen, warum das quasi eine Art positives Beispiel ist."
    Ihre Aufmerksamkeit richten die Forscher inzwischen auch auf Regionen, in denen Schiefergas nach dem umstrittenen Fracking-Verfahren gewonnen wird. Eine große Sache ist das vor allem in den USA. Dort haben offenbar militante Umweltschützer damit begonnen, Anlagen zu sabotieren. Möglicherweise der nächste größere Infektionsherd bei der globalen Ausbreitung von Anschlägen im Energiesektor.