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Globaler Drogenhandel
Milliardengeschäft Kokain

Egal ob Hamburg, Antwerpen oder Rotterdam: In den drei großen Nordseehäfen haben die Kokainsicherstellungen in den vergangenen Jahren um bis zu 100 Prozent zugenommen. Von einer dramatischen Entwicklung bei den Kokainimporten nach Deutschland spricht das Bundeskriminalamt. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt die Defizite und Schwierigkeiten.

Von Benedikt Strunz, Lena Gürtler und Christoph Heinzle |
    Zollbeamte sichern während einer Pressekonferenz am 17.02.2016 im Zollfahndungsamt in Hamburg 125 Kilogramm Kokain. Die Drogen befanden sich in mehreren Sporttaschen, die in Bremerhaven in Bananen-Kartons verstaut waren.
    125 Kilogramm Kokain wurden in Bremerhaven in Bananen-Kartons gefunden. (dpa / picture alliance / Lukas Schulze)
    Am 25. April 2012 erreicht die Cap San Antonio den Hamburger Hafen. Das 300-Meter-Schiff bringt unter anderem Bananen aus Ecuador. In zwei der 9.000 Container ist geheime Fracht versteckt: knapp 30 Kilogramm Kokain. Der Fall ist gut dokumentiert, die meisten Namen haben wir geändert. Schon ein dreiviertel Jahr vor Ankunft der Cap San Antonio hatte der Bosnier Irfan den entscheidenden Mann für den Deal angeworben: den Deutsch-Tunesier Walid, der im Hamburger Hafen arbeitet und helfen soll, die Drogen herauszubringen. 100.000 Euro werden ihm versprochen.
    Was die sechsköpfige Bande nicht weiß: Bereits seit Sommer 2011 ist sie im Visier von Polizei und Zoll. V-Leute machen die Beamten auf José aufmerksam, einen Deutsch-Dominikaner. Er ist der Kopf der Hamburger Bande, wie sich im Lauf der Monate herausstellt, so Oliver Erdmann vom Hamburger Landeskriminalamt:
    "Wir tasten uns dann ran an diese Menschen und gucken einfach und sprechen ihnen dann gewisse Rollen zu. Das heißt wir erstellen eine Arbeitshypothese, was wir denken, was passieren kann. "
    Schmugglernetzwerke arbeiten international
    Klar wird dabei: Organisator des Millionen-Coups ist ein gewisser Ortiz aus der Dominikanischen Republik. Wer den europäischen Markt im großen Stil mit Kokain versorgen will, braucht Leute wie Ortiz, die Kontakte nach Lateinamerika haben.
    "Es gibt Kartelle, die für die Kokaineinfuhr nach Europa verantwortlich sind. Wir stellen auch immer wieder Leute fest, die aus diesem Bereich stammen, die auch dann hin- und herfliegen und auch hier in Europa und Deutschland agieren. Die spielen schon eine Rolle."
    Manche haben sich von Europa aus gute Kontakte nach Südamerika aufgebaut, andere sind Mitglieder der großen Kartelle, sogenannte Statthalter. Die Schmugglernetzwerke sind international besetzt: Türken, Osteuropäer und Deutsche finden sich ebenso wie die italienische und die russische Mafia. Das macht es schwieriger, in die Strukturen organisierter Kriminalität einzudringen, meint Frank Buckenhofer von der Gewerkschaft der Polizei.
    Zollfahnder stehen am 03.02.2017 in Hamburg neben einem Gabelstapler, der eine Palette mit Kokain-Päckchen trägt. Im Hamburger Hafen wurde ein Container sichergestellt, der 717 Kilo Kokain mit einem Verkaufswert von 145 Millionen Euro. Es sei die größte je in Deutschland beschlagnahmte Menge an Kokain, sagte der Leiter des Zollfahndungsamtes. 
    Rekord-Kokainfund im Hamburger Hafen (dpa / picture alliance / Axel Heimken)
    "Wir haben globalisierte OK-Strukturen, die nicht mehr einen Mafia-Paten kennen, der alles beherrscht, so eine Art Don Corleone, sondern heute haben wir eher eine Matrix-Organisation. Das heißt es gibt welche, die kümmern sich um den Vertrieb, welche, die kümmern sich um den Anbau, welche um den Verkauf, welche um Geldflüsse."
    Hamburg, Antwerpen oder Rotterdam besonders betroffen
    Nach mehr als einem halben Jahr Vorbereitung der Hamburger Bande, soll es an einem März-Tag 2012 endlich so weit sein. Irfan gibt Walid den Namen des Schiffes, mit dem das Kokain in Hamburg ankommen soll. Doch der Deal platzt. Denn das Schiff steuert den Fruchthafen an. Dort käme Walid nicht an die Container mit dem Stoff heran. Ein neuer Plan entsteht. Walid besorgt an seiner Arbeitsstelle im Containerhafen eine Liste mit Schiffen, an deren Container er herankommt. Die Wahl fällt letztlich auf die Cap San Antonio, die im April Kurs auf Hamburg nimmt.
    Egal ob Hamburg, Antwerpen oder Rotterdam: In den drei großen Nordseehäfen haben die Kokainsicherstellungen in den vergangenen Jahren um bis zu 100 Prozent zugenommen. Weltweit stiegen die größeren Kokainfunde auf fast 600 Tonnen im vergangenen Jahr. Der mit Abstand höchste Wert, der jemals vom Bundeskriminalamt erfasst wurde. Eine dramatische Entwicklung, sagt BKA-Referatsleiterin Bettina Fehlings dem NDR.
    "Trotz dieser sehr hohen Sicherstellungsmengen in Europa hat sich der Preis für Kokain überhaupt nicht verändert. Also, da gibt es marginale Schwankungen, was bedeutet, die Versorgungslage ist dennoch gut."
    Der Phantasie der Schmuggler seien dabei kaum Grenzen gesetzt, sagt der Hamburger Oberstaatsanwalt Ronald Giesch-Rahlf:
    "Präparierte Holztüren zum Beispiel, wo in das Holz eingearbeitete Kokainpäckchen sich befunden haben, sowas haben wir sichergestellt, in Figuren, getränkte Teppiche."
    Stichproben reichen nicht aus
    Holzkohle, Baumaschinen, Bananenkartons und hohle Zahnräder dienen ebenfalls als Verstecke. Mit Stichprobenkontrollen einiger weniger der jährlich neun Millionen Container im Hamburger Hafen kommen die Fahnder alleine nicht weiter. Es braucht aufwendige Ermittlungen.
    Zollfahnder Niels Hennig ist auf dem Weg zum Hamburger Flughafen. Er will auskundschaften, wie man ein bevorstehendes Treffen von Drogenschmugglern unbemerkt beobachten kann.
    "Ich nenn sie jetzt mal so, unsere Kundschaft ist schon sehr professionell, die wissen natürlich auch, wie wir arbeiten teilweise - und das versuchen sie natürlich, in irgendeiner Form dagegen anzuwirken. Wir müssen uns immer wieder anpassen, und das ist manchmal so bisschen wie Räuber und Gendarm spielen. Das ist halt so. Die entwickeln sich weiter und wir müssen uns auch weiter entwickeln. "
    Dabei stoßen die Fahnder aber immer wieder an Grenzen. Oft müssen Dutzende Handys überwacht werden. Für jedes brauchen die Beamten einen richterlichen Beschluss. Verschlüsselte Kommunikation bleibt nahezu unzugänglich.
    Technisch und personell aufrüsten
    "Ich glaube, wir müssen technisch auf dem Niveau der aktuellen CEBIT sein, aber wir hängen technisch wahrscheinlich locker 10-15 Jahre hinterher", sagt Frank Buckenhofer. Doch nicht nur an der Ausstattung fehle es, meint der Gewerkschafter, sondern auch an Manpower. Aus Sicht der GdP bräuchte man allein beim Zoll 2000 zusätzliche Einsatzkräfte für Kontroll- und Streifendienste und noch einmal 1000 für die Zollfahndung. Unter einer Entwicklung leiden dabei alle Fahnder: Zoll und Polizei sind inzwischen häufig mit anderen Themen beschäftigt: Terrorismus, Migration, Wohnungseinbrüche.
    Am 25. April 2012 kurz vor Mitternacht macht das Containerschiff Cap San Antonio am Burchardkai im Hamburger Hafen fest. Entladen werden auch zwei Kühlcontainer, in denen das Kokain versteckt ist. Walid hat Frühschicht.
    "Er ist dann früher zur Arbeit gegangen, hat geguckt im Computer: Mensch, wo stehen die beiden Container, hat sich ganz normal an seine Arbeit gemacht, hat eine Sporttasche mitgenommen, hat dann die Abdeckung dieses Kühlaggregats rausgeschraubt und hat dann die Kokainpakte entnommen, in eine Sporttasche gepackt und dann halt in seinen Privatwagen erst mal reingepackt."
    Nach Schichtende fährt Walid zu einer Wohnung im Hamburger Osten, die als Zwischenlager dienen soll, bis die Bande den Stoff mit kräftigem Preisaufschlag an Dealer weiterverkaufen kann. Etwa vier Millionen Euro dürften die 30 Kilo auf dem Straßenmarkt wert sein.
    Am Abend soll die Verteilung des Stoffs beginnen. Mit fünf Kilo Kokain fahren vier der Schmuggler zu einem kleinen Hotel in der Nähe. Auf dem Parkplatz wartet schon die Polizei.
    Die Festnahme läuft reibungslos, auch der spätere Gerichtsprozess: Die Beweise sind erdrückend, alle Angeklagten gestehen. Sie bekommen Haftstrafen zwischen zwei und sechs Jahren. Ein Glücksfall.
    "Diesen Strang haben wir zerschlagen, und da sind wir auch glücklich darüber. Ich weiß aber, dass dann die nächste Täterstruktur schon in den Startlöchern sitzt. Das ist meine Arbeit. Und da gehen wir auch motiviert und dann auch ganz optimistisch ran."
    Doch das größere Angebot trifft nach Beobachtung von Bettina Fehlings vom BKA auch auf eine größere Nachfrage:
    "Ich persönlich bin der Meinung, dass in unserer Gesellschaft etwas schiefläuft und dass man sich darüber auf der politischen Ebene Gedanken machen müsste. Darauf zu setzen, dass die Drogenbeauftragte der Bundesregierung und die Polizei das Rauschgiftproblem lösen, das halte ich für naiv. "