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Glyphosat in der Landwirtschaft
"Da wird jährlich wirklich viel Fläche totgespritzt"

Die Chemikalie Glyphosat gilt unter Kritikern als gefährlich für Mensch und Umwelt. Die größere Gefahr, die aber kaum diskutiert werde, sei die flächenmäßig weite Anwendung, sagte der Agrarexperte Lucian Haas im DLF. Hierzulande werde die Chemikalie "fast auf 40 Prozent der Landwirtschaftsfläche ausgebracht". Und das hat "große Auswirkungen auf die Artenvielfalt", so Haas.

Lucian Haas im Gespräch mit Jule Reimer |
    Eine mit dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat behandelte Wiesenfläche, aufgenommen am 28.04.2016 in Frohburg (Sachsen) südlich von Leipzig mit der Bundesautobahn 72 Richtung Chemnitz im Hintergrund. Foto: Sebastian Willnow
    Glyphosat kommt in der Landwirtschaft als Pflanzenschutzmittel zum Einsatz. (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)
    Jule Reimer: Am 30. Juni läuft eigentlich die Zulassung für das Pflanzen-Vernichtungsmittel Glyphosat aus. Diese Bezeichnung trifft insofern zu, als dass Glyphosat als Totalherbizid und einmal aufgesprüht in die Blätter bis in die Wurzeln einer Pflanze einwirkt und sie absterben lässt. Befürworter halten Glyphosat für effizient, kostengünstig, relativ umweltverträglich und sie betonen, dass zumindest in Europa die meisten Unkräuter noch keine Resistenzen gegen das Totalherbizid entwickelt haben. Auch deshalb gilt es als wahrscheinlich, dass innerhalb der Europäischen Union in den nächsten Tagen zumindest eine befristete weitere Zulassung für Glyphosat beschlossen wird.
    Doch auch die Kritiker sind stark, sie halten die Chemikalie für gefährlich für Mensch und Umwelt. In einer kleinen Serie fragen wir deshalb bis Mittwoch hier in der Sendung "Umwelt und Verbraucher" nach, ob und falls ja welche Alternativen sich zum Einsatz von Glyphosat anbieten. Heute geht es erst einmal um die konventionelle Landwirtschaft, die am stärksten von einem Verbot betroffen wäre. Frage deshalb an meinen Kollegen, den Wissenschaftsjournalisten und Agrarexperten Lucian Haas: In welchen landwirtschaftlichen Einsatzbereichen würde Glyphosat ganz konkret fehlen?
    Lucian Haas: Fehlen würde es in drei typischen Einsatzbereichen. Das eine ist quasi ein doppelter Einsatzbereich: Das ist die Unkrautbekämpfung direkt. Die kann man in einem Bestand direkt durchführen. Beispielsweise ein Rapsfeld kann man mit Glyphosat besprühen. Dann würden aber alle Pflanzen absterben. Damit der Raps nicht abstirbt, müsste der gentechnisch verändert sein und dann kann der überleben.
    Das andere ist, dass man nach der Ernte über den Stoppelacker fährt und damit alle störenden Unkräuter, die dann noch drauf sind, und auch das Getreide, das dann vielleicht wieder durchwächst, wieder aufläuft, beseitigt. Das wird einfach totgespritzt, damit man für die nächste Aussaat einen reinen Tisch hat, wie der Bauer sagt.
    Die dritte Anwendung, das ist die sogenannte Abtrocknung. Das wird vor der Ernte eingesetzt, um Getreide, was noch halb grün ist, was aber trotzdem geerntet werden soll, totzuspritzen. Es wird dann gelb, es reift ab, es kommt zu einer Notreife des Getreides und dann kann man das ganz normal immer noch einfahren.
    "In einer industriellen Landwirtschaft ist man auch durchgetaktet"
    Reimer: Der Einsatz von Glyphosat in Verbindung mit gentechnisch verändertem Saatgut, das fällt in Europa weitgehend weg. Was ist mit der Beschleunigung dieser Abreife, dieses Abtrocknens? Warum ist das wichtig und gibt es da Alternativen?
    Haas: Wichtig ist es in zweierlei Hinsicht. Das eine ist: In einer industriellen Landwirtschaft, wie wir sie haben, ist man auch durchgetaktet. Man versucht natürlich, bestimmte Erntetermine einzuhalten, hat auch Lohnunternehmer, die zu bestimmten Terminen kommen müssen, und dann versucht man natürlich, diese Zeiten einzuhalten. Wenn dann das Wetter einem reinfällt und zu viel Regen bringt, dann reift vielleicht das Getreide nicht so ab, wie man gedacht hat. Dann geht man darüber, spritzt es so, dass es dann doch noch reif ist und geerntet werden kann. Diese Flexibilität in der Zeit hat man dann nicht mehr.
    Alternativ dazu gibt es aber gar nicht so viel, was man machen kann. Man kann nur hoffen, das Wetter wird besser, oder man erntet doch noch halbwegs grün und muss dann aber viel Energie aufwenden, um das Ganze nachher noch nachzutrocknen. Da wird im Silo noch heiße Luft durchgeblasen.
    Reimer: Dann dieses Beispiel, Glyphosat wird auf das Feld gesprüht, um das Feld vorzubereiten, um das Unkraut zu beseitigen. Gäbe es hier ein anderes Herbizid, ein verträgliches Herbizid als Alternative?
    Haas: Nein. Eine echte Alternative, die genauso umweltverträglich ist, gibt es nicht. Es gibt ein paar andere, die auch als Totalherbizide gelten, aber die haben eigentlich eine viel schlechtere Umweltbilanz. Ein Beispiel wäre Atrazin, aber das ist in Deutschland auch gar nicht mehr zugelassen.
    Es bleiben als Alternative die mechanischen Verfahren. Das heißt, man hackt, man grubbert oder vor allem man pflügt. Das heißt, man dreht den Boden wirklich einmal um und vergräbt damit alle Unkräuter.
    Reimer: …, was ja traditionell gemacht wurde.
    Haas: Das wurde gemacht, das wird auch noch ganz viel gemacht. Aber wenn man Glyphosat einsetzt, muss man das nicht mehr machen und spart damit auch wieder viel Energie. Denn wenn ich mit einem dicken Trecker 30 Zentimeter Erde umdrehen muss, dann muss ich richtig viel Gas geben und das geht natürlich auch auf die CO2-Bilanz und sonstiges.
    Reimer: Das heißt, CO2 wird freigesetzt. - Erosion wird auch dadurch verhindert?
    Haas: Wenn man Glyphosat einsetzt, dadurch, dass man die Erde nicht mehr umdreht, ist dann keine lockere Erde mehr oben. Wenn jetzt ein Starkregen kommt, nachdem man den Pflug eingesetzt hat, kann es natürlich gerade in Hanglagen dazu kommen, dass Erde einfach fortgespült wird. Wenn man stattdessen Glyphosat einsetzt, dann bleibt die Pflanzenmasse oben liegen, es wird nichts aufgerissen, und das dient dann gleichzeitig auch als Erosionsschutz. Deswegen wird heute in vielen Bereichen wirklich propagiert, dass man sagt, nutzt doch Glyphosat, das schont unseren Boden auch noch, weil es einfach die Erosion verhindert.
    "In Deutschland fast auf 40 Prozent der Landwirtschaftsfläche ausgebracht"
    Reimer: Die Kritiker heben hervor, dass es aus ihrer Sicht nicht klar ist, ob es vielleicht Erbgut verändernd wirken könnte. Ein Gremium der WHO stuft Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend ein. Der Bundesanstalt für Arbeitsschutz gilt es organschädigend. Aber es gibt auch seitens des Umweltbundesamtes scharfe Kritik an Pestiziden. Es schmälert die Artenvielfalt in der Natur. Gibt es hier eine Art Hierarchie der schädlichen Wirkung?
    Haas: Es gibt zwei Hierarchien. Das eine ist natürlich, was betrifft mich gefühlsmäßig am stärksten. Wenn man das Wort Krebs hört, dann wird man natürlich sagen, oh, das ist ja ganz schlimm. Gleichzeitig in der Praxis ist es so: Erst die Dosis macht das Gift, kann man sagen, und die Dosis, die man aufnimmt, oder die normalerweise in den Lebensmitteln zu finden ist, das ist wirklich etwas, wo man sagen kann, diese Krebsgefahr ist eher eine hypothetische. Und auch das mit den Organschäden betrifft eher Bauern, die jetzt vielleicht wirklich mal eine absolute Dusche davon abbekommen würden, weil sie es einfach falsch eingesetzt haben oder so was.
    Die viel größere Gefahr, die aber viel weniger diskutiert wird, ist wirklich diese mengenmäßig und vor allem flächenmäßig weite Anwendung. Glyphosat wurde ja in Deutschland fast auf 40 Prozent der Landwirtschaftsfläche ausgebracht. Das heißt, da wird jährlich wirklich viel Fläche totgespritzt, was natürlich große Auswirkungen auf die Artenvielfalt hat und auf die Zusammensetzung des Ganzen. Welche Folgen das bei langfristiger Anwendung hat, das mag man sich gar nicht richtig ausrechnen.
    Reimer: Die EU-Kommission hat ja signalisiert, dass sie vor einer längeren weiteren Zulassung erst das Urteil der EU-Chemikalienagentur ECHA abwarten will. Wird die Chemikalienagentur eigene Studien durchführen? Wie kommt die zu ihrem Urteil?
    Haas: Meines Wissens wird die jetzt keine eigenen Studien durchführen, sondern auf die bereits vorhandenen Studien zurückgreifen, die es dort gibt. Gleichzeitig wird sie die aus ihrem eigenen Blickwinkel heraus noch mal analysieren. Der Blickwinkel der ECHA geht immer darauf, wie gefährlich ist ein Stoff, muss ich ihn als Gefahrstoff in irgendeiner Weise kennzeichnen. Und da deutet sich zumindest ab, dass diese Krebsgefahr am Ende nicht auf den Packungen stehen wird.
    Reimer: Lucian Haas über Ersatzmöglichkeiten für Glyphosat in der konventionellen Landwirtschaft. Vielen Dank! - Morgen wird es hier um Ersatz im Privathaushalt gehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.