"Der Wirkstoff Glyphosat ist nicht mutagen, er ist nicht kanzerogen, er ist nicht reproduktionstoxisch, er ist nicht fruchtschädigend und er ist nicht neurotoxisch."
Lars Niemann, Toxikologe am Bundesinstitut für Risikobewertung. Im Januar 2014 präsentiert er bei einem öffentlichen Symposium des BfR in Berlin die Einschätzung der Behörde zum Herbizid-Wirkstoff Glyphosat. Unterm Strich lautet das Ergebnis: Aus toxikologischer Sicht ist gegen eine erneute Zulassung von Glyphosat als Pflanzenschutzmittel nichts einzuwenden.
Doch dann bekommt das BfR unerwartet Gegenwind. Die Internationale Agentur für Krebsforschung IARC, die zur Weltgesundheitsorganisation WHO gehört, wollte klären, ob Glyphosat Krebs auslöst. Über 200 öffentlich zugängliche Studien hat ein Gremium aus 17 unabhängigen Experten dafür ausgewertet. Im Sommer dann veröffentlicht sie ihren Bericht. Und die Einschätzung ist eine andere als die des BfR. Kurt Straif, Leiter des Prüfungsgremiums der IARC:
"Hier gibt es nach Meinung der internationalen Experten, die auch frei von Interessenskonflikten sind, ganz eindeutige Hinweise, dass Glyphosat im Tierexperiment Krebs hervorrufen kann."
IARC bewertet Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend"
Und mehr noch: Die Monographie führt auch epidemiologische Studien ins Feld, die auf ein leicht erhöhtes Risiko von speziellen Lymphdrüsenkrebserkrankungen bei Landwirten als Anwendern von Glyphosat hindeuten. Die Beweise dafür sind nicht eindeutig. Doch für die IARC-Experten war bei der Einschätzung der Krebsrisiken von Glyphosat die Summe der Indizien entscheidend:
"Das führt dann eben zu unserer Einstufung 2A: Wahrscheinlich beim Menschen Krebs erzeugend."
Nicht kanzerogen auf der einen, wahrscheinlich krebserregend auf der anderen Seite. Diese Kontroverse beherrscht jetzt die Diskussion um die Neuzulassung von Glyphosat. Das BfR sieht sich in der Kritik, Glyphosat zu industriefreundlich beurteilt zu haben. Einer der Vorwürfe lautet, das BfR hätte sich vor allem auf Studien gestützt, die von der Industrie selbst geliefert wurden.
Allerdings: Genau das wird von Richtlinien der OECD und der seit 2011 geltenden EU-Pflanzenschutzmittelverordnung verlangt. Unternehmen, die einen Wirkstoff zulassen wollen, müssen die nötigen Nachweise der Unbedenklichkeit selbst liefern. Dafür geben sie Studien in Auftrag. Die sollen einem definierten Qualitätsstandard folgen – den Grundsätzen der Guten Laborpraxis, kurz: GLP.
Da Studien nach GLP-Vorgaben besonders gut dokumentiert und damit besser reproduzierbar sind, erhalten sie bei der Bewertung durch die Behörden typischerweise einen hohen Stellenwert:
"Das darf aber nicht umgekehrt so interpretiert werden, dass Studien, die nicht offiziell als GLP bezeichnet werden, dann nicht herangezogen werden."
Sagt Kurt Straif. Die IARC hat bei ihrer Bewertung von Glyphosat auch Studien außerhalb des GLP-Rahmens eine hohe Relevanz zugesprochen. Viele davon werden im Bericht des BfR zwar erwähnt. Allerdings fallen sie am Ende durch das vorgegebene Bewertungsraster.
Kritik an Bewertungsverfahren für die Zulassung
Die BfR-Experten hatten den Auftrag, den reinen Wirkstoff Glyphosat zu beurteilen. Die Industriestudien nach Guter Laborpraxis sind darauf ausgerichtet. In anderen Studien werden hingegen häufig auch fertig formulierte Herbizide eingesetzt. Die enthalten nicht nur Glyphosat, sondern auch jede Menge anderer Substanzen. Der Toxikologe Peter Clausing vom Pestizid Aktions-Netzwerk kritisiert, dass solche Studien vom BfR systematisch unterbewertet würden.
"Wenn man sich den Bewertungsbericht anguckt, dann steht unter zahlreichen Studien, die wichtige Effekte beschreiben: "Relevanz: nicht relevant, weil die Formulierung verwendet wurde". Und das, denke ich, ist für Anwenderexposition ein kritischer Punkt. Denn die Leute sind ja den Formulierungen ausgesetzt und nicht nur dem reinen Wirkstoff. Wenn der Verdacht aufkommt, dass die Formulierung toxischer ist als der Wirkstoff, dann sollte man da mehr Aufmerksamkeit darauf richten und zusätzliche Untersuchungen durchführen."
Allerdings sind solche Untersuchungen gesetzlich gar nicht vorgesehen. Die BfR-Experten haben ihren Part der Wirkstoffprüfung im Sinne der EU-Pflanzenschutzmittelverordnung im Grunde korrekt erfüllt. Die Diskrepanz zu den Einschätzungen der IARC wirft die Frage auf, ob die EU ihre Bewertungskriterien für die Relevanz von Studien nicht anpassen sollte, um auch weniger standardisierte Studiendaten stärker zu berücksichtigen.
Würde das noch im laufenden Verfahren geschehen und Glyphosat dann auch von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als "vermutlich beim Menschen krebserzeugend" eingestuft, könnte Glyphosat gemäß EU-Recht keine Zulassung mehr bekommen.