Die bulgarische Literatur - um es vorsichtig zu sagen - zählt nicht zu den bekanntesten in Europa. Zumindest in Deutschland. Während Schriftsteller aus anderen Ländern des Balkans - aus Rumänien, Ex-Jugoslawien, Albanien, Griechenland oder Ungarn - seit langem (wie z.B. Cioran oder Danilo Kis, Ismail Kadaré oder György Konrad) oder vielleicht nur zeitweise (wie Nikos Kazantzakis) auch für deutsche Leser vertraute Namen sind oder waren, kennen wir aus Bulgarien nur jene, die dort zwar geboren, aber durch die Wahl ihrer Sprache zu deutschen Autoren wurden: wie den Literaturnobelpreisträger Elias Canetti oder in jüngster Zeit den fabulösen "Weltenwanderer" Ilja Trojanow.
Jetzt aber ist ein neuer Name dazu gekommen; und den wird man sich merken müssen: Georgi Gospodinov. Er wurde 1968 geboren, hat in Sofia Bulgarische Philologie studiert, gibt seit 1993 dort eine Zeitschrift heraus, schreibt Gedichte, Bühnenstücke & Drehbücher für Filme und wird im kommenden Jahr DAAD-Stipendiat in Berlin sein. Jüngste Erzählungen von ihm waren 2004 in einem österreichischen Verlag erschienen, aber jetzt hat der auf das Experimentelle spezialisierte Wiener Literaturverlag Droschl Gospodinovs ersten, 1999 erschienenen, Roman in der schlackenlosen Übersetzung von Alexander Sitzmann vorgelegt. Da das Buch schon in 10 Sprachen übersetzt wurde, sind wir spät auf seinen Reiz gestoßen.
Georgi Gospodinovs "Natürlicher Roman", der zwar so heißt, aber eher das Gegenteil ist, verspricht ein munteres, auch tiefgründiges Spiel mit der Kunst des Romans und dem Prekariat der Autorenschaft - und hält sein Versprechen auf das Amüsanteste.
Dabei handelt das schmale Buch mit seinen rund 50 Kurzkapiteln vom traurigsten Moment einer gescheiterten bürgerlichen Ehe: der Trennung des Paars, verschärft in diesem Fall dadurch, dass die Frau (Emma heißt sie wie die Bovary) folgenreich fremd gegangen war. Der Schriftsteller & Autor gleichen Namens fasst den melancholischen Befund gelassen & witzig zusammen: "Mit jedem vergangenen Tag verwandelt sich deine Frau vor deinen Augen in eine Mutter, und du kannst nicht der Vater sein".
Das kommt zwar häufiger vor, aber nicht so häufig, was Gospodinov aus dieser autobiographischen Fiktion oder seinem Autobiografikum fiktional macht. Nämlich ein funkelndes Kaleidoskop von Erzählungen, Parabeln, Kindheits-Erinnerungen & philosophischen Spekulationen buchstäblich über Gott und die Welt oder das Klo und die Schmeißfliege; und alles, was er an scheinbar Entlegenem und Absurdem mit quellfrischer Phantasie, zitatfreudiger Kombinatorik und aphoristischer Prägnanz aus Literatur, Film und Philosophie auf den 167 Seiten seines "Natürlichen Romans" versammelt, versucht doch nur, dem Schmerz der Trennung und dem Zerfall einer Verbindung durch Humor und Weisheit stand zu halten.
Es gelingt, weil der kenntnisreiche Autor, augenzwinkernd oder prunkvoll, das ganze Arsenal des postmodernen französischen Literaturzirkus spielerisch mobilisiert: also Selbstreflexion, metaphorische Schreibweise, Autobiographie, Verweise & Zitate, Auflösung des Subjekts und was dergleichen ernste artistische Scherze mehr sind. Aber der Leser sieht sich dadurch nicht mit akademischem Kunsthonig abgespeist, sondern von einem höchst wechselreichen, assoziativen tragikomischen Patchwork unterhalten, das sich bei allen essayistischen Höhenflügen und Abschweifungen denn doch auch zusammensetzt zu einer geschliffenen Sammlung von Streiflichtern aus dem Alltag Bulgariens: von Stadt & Land, im Kommunismus und nach der Wende. So ist der schmale Roman, quasi nebenbei und subkutan oder nur für einen westlichen Leser eine Heimatkunde, ja sogar so etwas wie ein Roman der bulgarischen Wende, wenn man die Schriftsteller-Ehe, die hier in die Binsen ging, als Metapher für das Land nimmt, in dem sich alles auflöst, was der totalitäre Druck, die materielle Armut & die Wohnungsnot zusammengepresst hatte. "Wie ist der Roman heute möglich, wenn uns das Tragische versagt ist? Wie ist überhaupt der Gedanke an einen Roman möglich, wenn das Erhabene fehlt? Wenn nur der Alltag in seiner Talentlosigkeit existiert", fragt sich der Autor nach dem Verlust seines gemütlichen siebenjährigen ehelichen "Drohnendaseins". Denn die Frau ging arbeiten, während er sich zuhause bildete. Georgi Gospodinov antwortet darauf mit der hochtalentierten Tragikomödie eines lächerlichen Mannes und Schriftstellers. Natürlich mit einem Roman, der ein untergegangenes Genre des 19. und 20. Jahrhunderts zurückruft und plaudernd verdichtet: das klassische Feuilleton, das nach einem Aphorismus von Karl Kraus "Locken auf einer Glatze dreht". Das ist eine hohe Kunst, und Gospodinov ein seltener Könner.
Georgi Gospodinov "Natürlicher Roman". Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann. Literaturverlag Droschl, Wie 2007. 167 Seiten
Jetzt aber ist ein neuer Name dazu gekommen; und den wird man sich merken müssen: Georgi Gospodinov. Er wurde 1968 geboren, hat in Sofia Bulgarische Philologie studiert, gibt seit 1993 dort eine Zeitschrift heraus, schreibt Gedichte, Bühnenstücke & Drehbücher für Filme und wird im kommenden Jahr DAAD-Stipendiat in Berlin sein. Jüngste Erzählungen von ihm waren 2004 in einem österreichischen Verlag erschienen, aber jetzt hat der auf das Experimentelle spezialisierte Wiener Literaturverlag Droschl Gospodinovs ersten, 1999 erschienenen, Roman in der schlackenlosen Übersetzung von Alexander Sitzmann vorgelegt. Da das Buch schon in 10 Sprachen übersetzt wurde, sind wir spät auf seinen Reiz gestoßen.
Georgi Gospodinovs "Natürlicher Roman", der zwar so heißt, aber eher das Gegenteil ist, verspricht ein munteres, auch tiefgründiges Spiel mit der Kunst des Romans und dem Prekariat der Autorenschaft - und hält sein Versprechen auf das Amüsanteste.
Dabei handelt das schmale Buch mit seinen rund 50 Kurzkapiteln vom traurigsten Moment einer gescheiterten bürgerlichen Ehe: der Trennung des Paars, verschärft in diesem Fall dadurch, dass die Frau (Emma heißt sie wie die Bovary) folgenreich fremd gegangen war. Der Schriftsteller & Autor gleichen Namens fasst den melancholischen Befund gelassen & witzig zusammen: "Mit jedem vergangenen Tag verwandelt sich deine Frau vor deinen Augen in eine Mutter, und du kannst nicht der Vater sein".
Das kommt zwar häufiger vor, aber nicht so häufig, was Gospodinov aus dieser autobiographischen Fiktion oder seinem Autobiografikum fiktional macht. Nämlich ein funkelndes Kaleidoskop von Erzählungen, Parabeln, Kindheits-Erinnerungen & philosophischen Spekulationen buchstäblich über Gott und die Welt oder das Klo und die Schmeißfliege; und alles, was er an scheinbar Entlegenem und Absurdem mit quellfrischer Phantasie, zitatfreudiger Kombinatorik und aphoristischer Prägnanz aus Literatur, Film und Philosophie auf den 167 Seiten seines "Natürlichen Romans" versammelt, versucht doch nur, dem Schmerz der Trennung und dem Zerfall einer Verbindung durch Humor und Weisheit stand zu halten.
Es gelingt, weil der kenntnisreiche Autor, augenzwinkernd oder prunkvoll, das ganze Arsenal des postmodernen französischen Literaturzirkus spielerisch mobilisiert: also Selbstreflexion, metaphorische Schreibweise, Autobiographie, Verweise & Zitate, Auflösung des Subjekts und was dergleichen ernste artistische Scherze mehr sind. Aber der Leser sieht sich dadurch nicht mit akademischem Kunsthonig abgespeist, sondern von einem höchst wechselreichen, assoziativen tragikomischen Patchwork unterhalten, das sich bei allen essayistischen Höhenflügen und Abschweifungen denn doch auch zusammensetzt zu einer geschliffenen Sammlung von Streiflichtern aus dem Alltag Bulgariens: von Stadt & Land, im Kommunismus und nach der Wende. So ist der schmale Roman, quasi nebenbei und subkutan oder nur für einen westlichen Leser eine Heimatkunde, ja sogar so etwas wie ein Roman der bulgarischen Wende, wenn man die Schriftsteller-Ehe, die hier in die Binsen ging, als Metapher für das Land nimmt, in dem sich alles auflöst, was der totalitäre Druck, die materielle Armut & die Wohnungsnot zusammengepresst hatte. "Wie ist der Roman heute möglich, wenn uns das Tragische versagt ist? Wie ist überhaupt der Gedanke an einen Roman möglich, wenn das Erhabene fehlt? Wenn nur der Alltag in seiner Talentlosigkeit existiert", fragt sich der Autor nach dem Verlust seines gemütlichen siebenjährigen ehelichen "Drohnendaseins". Denn die Frau ging arbeiten, während er sich zuhause bildete. Georgi Gospodinov antwortet darauf mit der hochtalentierten Tragikomödie eines lächerlichen Mannes und Schriftstellers. Natürlich mit einem Roman, der ein untergegangenes Genre des 19. und 20. Jahrhunderts zurückruft und plaudernd verdichtet: das klassische Feuilleton, das nach einem Aphorismus von Karl Kraus "Locken auf einer Glatze dreht". Das ist eine hohe Kunst, und Gospodinov ein seltener Könner.
Georgi Gospodinov "Natürlicher Roman". Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann. Literaturverlag Droschl, Wie 2007. 167 Seiten