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Gregor Gysi
"Mit Le Pen wäre die EU mausetot"

Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken, ist erleichtert, dass Marine Le Pen in Frankreich verloren hat. Trotzdem müsse das neoliberale Programm Emmanuel Macrons bekämpft werden, sagte er im DLF. Ginge es in Frankreich weiter mit dem Sozialabbau, dem Lohn- und Rentenabbau, wäre dies eine Katastrophe.

Gregor Gysi im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Gregor Gysi während eines Interviews im Mai 2017.
    Gregor Gysi während eines Interviews im Mai 2017. (imago/photothek)
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Gregor Gysi. Er ist Präsident der Europäischen Linken. Guten Morgen, Herr Gysi.
    Gregor Gysi: Einen schönen guten Morgen.
    Dobovisek: Wird mit Macron jetzt in Europa wieder alles gut?
    Gysi: Nein, natürlich nicht. Es reicht nicht. Das glaubt er auch nicht und das glaubt auch niemand über ihn. Ich muss zunächst darauf hinweisen, dass ich sehr, sehr zufrieden bin, dass es Le Pen nicht geworden ist. Sonst wäre die EU mausetot. Aber man muss auch sehen: Eine Mehrheit der Franzosen haben ihn nicht gewählt, wenn ich mal diejenigen zusammen nehme, die nicht zur Wahl gegangen sind, diejenigen, die ungültig gestimmt haben, und diejenigen, die Le Pen gewählt haben. Das heißt, er muss überhaupt erst mal ein Vertrauen herstellen.
    Ich finde es gut, dass bestimmte Linke gesagt haben, wir wählen ihn, aber werden sein Programm bekämpfen. Damit meinten sie, dass er das Neoliberale ja in Frankreich fortsetzen will. Ich will ja gar nicht behaupten, dass man nicht hier und da auch mal was sparen kann. Jeder Verein kriegt da Geld etc. Aber wenn es weitergeht mit Sozialabbau, mit Lohnreduzierung, mit Rentenabbau etc., das wäre eine Katastrophe für Frankreich.
    Dobovisek: Trotzdem haben Sie ja Macron vor der Wahl als das kleinere Übel bezeichnet und die französischen Linken dazu aufgerufen, Macron zu wählen, um eine Katastrophe, so wörtlich, zu verhindern.
    Gysi: Richtig!
    "Leere Stimmzettel sind ein Risiko"
    Dobovisek: Warum haben sich Ihre Parteifreunde in Frankreich damit dann so schwer getan?
    Gysi: Na ja, die französischen Kommunisten haben dasselbe getan. Mélenchon hat ja auch gesagt, Le Pen darf man auf gar keinen Fall wählen, aber er hat offen gelassen, ob nun enthalten oder Macron wählen, weil er natürlich die neoliberale Politik von Macron abwählte. Ich habe bloß gesagt, wenn man sich enthält und die Le Pen bekäme eine Mehrheit, dann wäre das natürlich eine Katastrophe, weil man hätte ja gegen sie stimmen können.
    Dobovisek: Leere Stimmzettel sind demnach undemokratisch?
    Gysi: Nein, nicht undemokratisch, aber ein Risiko, ein Risiko. Und jetzt sage ich mal, das Risiko ist aber nicht eingetreten, sie ist es nicht geworden, und diese Meinungsverschiedenheiten sind ja nicht so dramatisch. Damit können wir umgehen. Bloß was er will, dass er Verträge ändern will, ist richtig. Sehen Sie mal, die ganze Eurozone ist doch rechtlich überhaupt nicht geregelt. Es gibt nichts für sie. Die treffen sich zwar, das ist alles. Und ein Finanzminister – natürlich hat Juncker Recht, kein Land wird zulassen, dass in den eigenen Haushalt eingegriffen wird. Aber das Geld, was in Brüssel ist, das muss ja auch verwaltet werden, und das macht die Kommission auf so eine komische, nicht nachvollziehbare Art und Weise.
    Bloß meine Sorge ist, dass er wirklich nicht konsequent das beenden will, was beendet werden muss, nämlich die Sparpolitik in Südeuropa. Die Vorstellung von Schäuble und Merkel, wir machen den Süden wettbewerbsfähig - die vergessen immer, das sind Defizitländer, während wir ein Überschussland sind. Wir leben vom Export, die von …
    Dobovisek: Die werden ihre Hausaufgaben machen müssen. Das schwingt ja dann immer mit in den Aussagen.
    Gysi: Richtig! Sie leben aber von einer Binnenwirtschaft. Also brauchen sie eine stärkere Kaufkraft. Selbst wenn ich nur rein ökonomisch denke, kann ich nicht weiter die Renten, die Löhne, die Sozialleistungen kürzen. Und außerdem brauchen wir, das stimmt auch, ein Investitionsprogramm. Wie sollen denn die Südländer sonst hochkommen. Schauen Sie mal, Portugal hat das anders gemacht. Die haben jetzt damit aufgehört. Sie haben die Löhne erhöht etc. Plötzlich haben sie deutlich mehr Steuereinnahmen, können sogar Schulden zurückbezahlen. Ich glaube, dass dieser Weg viel besser ist als der Austeritätsweg, der da beschritten wird.
    "Wir Linken sind häufig getrennt, gehen verschiedene Wege"
    Dobovisek: Jetzt steht ein neoliberaler Ex-Investmentbanker – so hat es Die Linke ja immer gesagt – an der Spitze Frankreichs. Und Sie haben ganz offensichtlich Bauchschmerzen damit. Welche Verantwortung trägt dafür die französische Linke, dass es überhaupt so weit gekommen ist?
    Gysi: Ja, das ist immer schwer zu sagen. Tatsache ist: Sagen wir mal, die beiden Linken, die kandidiert haben – leider hat der andere nicht verzichtet. Ich meine, man kann es nicht einfach so addieren, die Stimmen, aber vielleicht wäre Mélenchon dann in die Stichwahl gekommen. Das wäre doch spannend gewesen.
    Dobovisek: Ein Strategiefehler?
    Gysi: Ja, die haben sich unterhalten. Der andere war damit nicht einverstanden, er wollte es nicht. Dann hat er seine sechs Prozent gekriegt – na ja, kann ich nur sagen. Na und? – Also es ist was verhindert worden. Aber wissen Sie, das ist ja bei Linken schwer. Wir sind ja häufig getrennt, gehen verschiedene Wege. Und ich versuche ja jetzt gerade in Europa das mal hinzubekommen, dass wir doch eine größere Kraft werden, die das Gegenüber zur Rechtsentwicklung bildet.
    Wissen Sie, wenn Sie an Le Pen denken, müssen Sie gleich an Die Linke denken, die gegen sie kämpft, und das wirksam und mit Erfolg. Dann werden wir übrigens auch für die Mitte wichtig, weil die Mitte dann weiß, ohne die Linke schafft sie es gar nicht gegen die Rechte. Also ich habe da noch einiges vor und andere auch und bin da auch relativ optimistisch, dass uns das eine oder andere gelingt. Wir werden darüber auch in Kürze diskutieren, werden einen Kongress haben und vieles andere mehr.
    Dobovisek: Schauen wir uns aber noch mal gemeinsam an, was Jean-Luc Mélenchon gesagt hat, der Linke-Kandidat in Frankreich. Er hat sich sogar selbst als Populist bezeichnet. Im Wahlkampf hat er mit dem Austritt aus der EU und aus der NATO gedroht, hat Deutschland beschimpft, sprach vom deutschen Gift für ganz Europa. Was macht den linksextremen Politiker besser als die rechtsextreme? Viele Positionen sind da ja sogar ganz ähnlich.
    Gysi: Nein. Er hat ja noch mal ganz klargestellt, dass er nicht raus will aus der EU, sondern dass er sie verändern will.
    "Die Dinge, die ich sage, meine ich auch so"
    Dobovisek: Er hat aber damit gedroht, wenn es keine Veränderungen gibt, dann muss Frankreich die EU verlassen.
    Gysi: Ja. Wissen Sie, Wahlkampf ist das eine.
    Dobovisek: Populismus!
    Gysi: Ja, Populismus ist ja für mich was anderes.
    Dobovisek: Was denn?
    Gysi: Populismus ist nicht, wenn jemand einfach spricht, sondern wenn er einfach spricht und Falsches sagt. Und das mache ich zum Beispiel nie. Ich versuche, immer zu übersetzen. Ich versuche, einfach zu sprechen. Aber die Dinge, die ich sage, meine ich auch so. Und das ist in Frankreich ein bisschen anders. Die Grande Nation, das spielt da bei allen Politikern eine Rolle. Da können wir Frankreich und Deutschland nicht so vergleichen und so nicht gleichsetzen.
    Ich hätte nicht alles so gesagt wie er, er sagt nicht alles so wie ich, das ist mir schon klar. Ich würde ihn auch nicht als Linksextremisten bezeichnen, wirklich nicht. Das ist er nicht.
    Es gibt viele Unterschiede zwischen Linken und Rechten. Ich sage Ihnen mal die für mich wichtigsten zwei Unterschiede. Die Rechten stehen immer an der Seite ihrer Nationalität, aber nie an der Seite der Schwachen anderer Nationalität. Das darf es bei den Linken nicht geben, niemals! Wir müssen wenn an der Seite aller Schwachen stehen und dürfen auch die Mitte der Gesellschaft nicht vergessen.
    Der zweite Unterschied ist der, dass die Rechten alles umsetzen, was sie ankündigen. Das kann man von uns nun nicht gerade behaupten. Wenn wir die Hälfte umsetzen, ist es schon gut, und wenn dann noch mal 250.000 Leute gegen uns demonstrieren, dann streichen wir gleich noch mal was. Also wir sind viel empfänglicher dafür, was die Bevölkerung will oder nicht. Schauen Sie sich die Regierung in Ungarn und in Polen an. Das interessiert die gar nicht.
    "Eine Stimmung, die von Politikern bedient wird"
    Dobovisek: Ich möchte noch bei dem Thema Populismus bleiben, Herr Gysi, über das wir gerade gesprochen haben. Sie kommen gut an bei den Menschen, das kann man so sagen, nach dem Motto guter Mann, aber in der falschen Partei. Habe ich schon ganz oft gehört. Weil Sie Klartext reden, pointiert, auch mal ironisch. Aber wo genau verläuft da für Sie die Grenze zwischen Volksnähe, positiv besetzt, und Populismus?
    Gysi: Der Unterschied ist folgender. Wenn ich populistisch sage wie die Rechtsextremen in Deutschland, sie wollen eine Mauer um Deutschland bauen, um keine Flüchtlinge reinzulassen, und auslassen, dass dann eines Tages Millionen diese Mauer stürmen werden und eine völlig unbeherrschbare Situation entsteht, und sie wissen, dass sie das auslassen, und sie wissen, dass das passieren wird, dann ist das populistisch, weil es einfach ist, Leute ziehen soll, aber man weiß, es ist falsch und es funktioniert nicht. Wenn ich aber etwas sage, was auch einfach ist, aber stimmt, dann ist das nicht populistisch, zumindest nicht für mich.
    Dobovisek: Und wenn Mélenchon twittert, Maul zu, Merkel, Frankreich ist frei, ist das populistisch?
    Gysi: Das ist ein bisschen grob, würde ich sagen. Es ist nicht populistisch, es sei denn, er geht davon aus, alle Französinnen und Franzosen können Frau Merkel nicht leiden. Aber letztlich ist er ja leider nicht in die Stichwahl gekommen. Das ist eine andere Situation. Was glauben Sie, wie die Stimmung in Bezug auf Herrn Schäuble und Frau Merkel in Griechenland ist? Wenn man da Wahlkampf macht und sich positiv zu ihnen äußert, na das können Sie aber vergessen, kann ich nur sagen. Wenn die immer nur hinkommen und sagen, runter mit den Löhnen, runter mit den Renten, runter mit allen Leistungen im Gesundheitswesen etc. etc. – wissen Sie, was mich daran so ärgert, wenn ich an unsere Geschichte denke. Mein Gott, nach den größten Verbrechen, dem schlimmsten Weltkrieg, was hat der Westen '45 entschieden: Marshall-Plan, wir bauen Deutschland auf. Was ist '53 bei der Schuldenkonferenz in London passiert, acht Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur sind uns fast alle Schulden erlassen worden.
    Und dann schauen Sie sich mal an, wie wir den Süden heute behandeln. Das ärgert mich, es ist so ahistorisch, kann ich nur sagen. Da ist natürlich eine entsprechende Stimmung entstanden, die dann auch von Politikerinnen und Politikern bedient wird. Das brauche ich nicht, das habe ich nicht nötig.
    Dobovisek: Also mehr klare Worte zu Europa, aber weniger Hass?
    Gysi: Ja. Weniger Hass wäre sehr wichtig.
    Dobovisek: Gregor Gysi ist Präsident der Europäischen Linken. Vielen Dank für das Interview.
    Gysi: Bitte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.