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"Grexit"-Debatte
"Diskussion ohne Sinn und Verstand"

Für SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider ist die Debatte um einen möglichen Euro-Austritt Griechenlands "absurd". Spekulationen über eine Verkleinerung der Eurozone dürften nicht von Berlin angeheizt werden, sagte er im Deutschlandfunk. Eine Rückkehr zur Drachme würde Griechenland ins Chaos stürzen.

Carsten Schneider im Gespräch mit Gerd Breker |
    Carsten Schneider, SPD-Fraktionsvize
    SPD-Fraktionsvize und -Finanzexperte Carsten Schneider (imago/Metodi Popow)
    Ein Austritt aus der gemeinsamen Währung sei mit großen Risiken verbunden. Man dürfe keine Angst vor Wahlen haben, erst recht aber nicht von außen sagen, wer denn zu wählen sei, sagte Schneider mit Blick die auf Ende Januar vorgezogenen Parlamentswahlen in Griechenland.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit Carsten Schneider. Er ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion. Guten Tag, Herr Schneider.
    Carsten Schneider: Guten Tag, Herr Breker. Ich grüße Sie.
    Breker: Teilen Sie die undementierte Einschätzung von Kanzleramt und Bundesfinanzministerium, das ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone so ohne Weiteres verkraftbar wäre?
    Schneider: Nein. Ich halte das für eine abenteuerliche Annahme, die ich nur damit begründen oder mir erklären kann, dass im Kanzleramt als auch im Finanzministerium die Sorge vor einem Wahlsieg des Herrn Tsipras in Griechenland sehr groß ist. Ich glaube auch, dass es negative Auswirkungen eher hat in Griechenland selbst, diese Diskussion, die von Deutschland aus geführt wird, denn verkraftbar ... Auch Herr Tauber hat das ja eben gesagt, wir hätten jetzt Instrumente, um uns gegenseitig zu helfen. Das stimmt, aber nur im begrenzten Ausmaß. Die genannte Bankenunion, die ist noch gar nicht in Kraft. Das beginnt erst 2016. Und bis da mal Geld da ist, dauert es noch mal zehn Jahre. Und der ESM kann für kleinere Länder zur Verfügung stehen, aber er tut es mit Sicherheit nicht für Italien, weil die Mittel dort nicht reichen, sondern wir haben eine Beruhigung gehabt in den letzten Jahren. Die ist einzig und allein darauf zurückzuführen, dass die EZB, Mario Draghi, klar gesagt hat, er tut alles, um den Euro zu stützen. Und die Instrumente, die wir geschaffen haben, ergänzen das, aber sind bei Weitem nicht ausreichend.
    Breker: Fakt bleibt, Herr Schneider, ein Austritt Griechenlands käme dem deutschen Steuerzahler teuer zu stehen.
    Schneider: Ja, natürlich. Wenn die Griechen aus dem Euro austreten würden, dann würden sie die Drachme einführen. Und die Schulden - allein Deutschland gegenüber gut über 60 Milliarden Euro - müssten sie in Euro zurückbezahlen. Dazu sind sie gar nicht in der Lage. Die Drachme würde abwerten mit Sicherheit um die Hälfte, es würde ein weiteres Chaos in Griechenland geben. Das alles ist eine Diskussion ohne Sinn und Verstand und auch nicht im deutschen Interesse. Und ich erwarte, dass die Bundesregierung, dass der Finanzminister das endlich mal klarstellt. Wir haben klare Vereinbarungen mit den Griechen, die müssen sich weiter fit machen und reformieren. Das tun sie aber auch. Sie haben Unglaubliches geleistet in letzter Zeit. Und vor Wahlen darf man keine Angst haben und schon gar nicht von außen sagen, wen die Leute in Griechenland zu wählen haben.
    Breker: Aber es ist ja eindeutig eine versuchte Einflussnahme auf die griechischen Wähler, die da aus dem Kanzleramt und aus dem Finanzministerium gekommen ist.
    Null Strategie dahinter erkennbar
    Schneider: Ja! Ich halte das für absurd. Ich kann auch null Strategie dahinter erkennen, weil wenn man sich die griechischen Medien anguckt: Das wirkt so, als würde Frau Merkel jetzt bestimmen, ihr müsst den Konservativen wählen, dann geht es euch gut. Und wenn ihr den Linken wählt, dann kriegt er von uns nichts mehr. Das führt im Gegenteil nur dazu, dass erstens Deutschlands Bild in Griechenland noch schlechter wird. Und zum anderen, dass die Leute im Zweifel gerade jetzt die Linken wählen. Wir sind ein demokratisches Land und eine demokratische Europäische Union. Wir sollten Wahlergebnisse so akzeptieren, wie die Bevölkerung sie treffen. Und Nachfolgeregierungen haben immer die Verantwortung, auch zu den Zusagen zu stehen, die Vorgängerregierungen getroffen haben. Und daran habe ich auch keinen Zweifel. Von daher ist das ein abstruser Versuch, der mit Außenpolitik, Europapolitik wenig zu tun hat.
    Breker: Der "Spiegel" beruft sich ganz konkret aufs Kanzleramt, er beruft sich aufs Bundesfinanzministerium. Beide sind unionsgeführt. Ist das in der Koalition mit der SPD abgesprochen? Tragen Sie das mit?
    Schneider: Es gibt ja keine wirklich namentlichen Quellen. Es sind Kreise, die hier zitiert werden. Es kommt klar aus der Unions-Richtung. Ich habe die Sorge, da geht es mehr um die Frage innenpolitisch in Deutschland, wie man der AfD begegnet. Aber nur aus dieser Sorge, dass die AfD vielleicht stärker würde, kann ich doch keinen europapolitischen Harakiri-Kurs machen. Die SPD ist da sehr klar. Wir waren von Anfang an für ein Zusammenhalten des Euros, auch für eine Gläubigerbeteiligung der Kapitaleigner. Das hat am Anfang nicht funktioniert, gerade in Griechenland nicht, hat uns 100 Milliarden Euro gekostet, weil Frau Merkel am Anfang darauf verzichtet hat. Und macht jetzt die Schuldentragfähigkeit in Griechenland darauf schlecht. Und jetzt müssen wir mal wieder einen klaren Kopf kriegen, jetzt ist ein neues Jahr, und uns nicht von Populisten leiten lassen.
    Breker: Wenn es denn, Herr Schneider, ein Pokerspiel ist mit den griechischen Wahlen, dann ist es immer noch ein Pokerspiel mit Steuergeldern, das irgendwie auch dokumentiert, welche Einstellung die Bundeskanzlerin zu Europa hat. Da wäre doch Helmut Kohl entsetzt. Ist es nicht an der Zeit, dass hier aus dem Kanzleramt, von der Bundeskanzlerin ein klares Dementi kommt?
    Schneider: Ich erwarte das. Diese Berichte sind ja ... Der "Spiegel" ist ein seriöses Blatt. Ich gehe davon aus, dass das schon einen wahren Kern auch hat. Mit der SPD-Bundestagsfraktion wird nicht gesprochen. Im Gegenteil: Wir würden da auch gänzlich dagegen gehen. Klar: Die Griechen müssen sich an die Vereinbarung halten. Aber ein Austritt ist immer noch mit hohen Risiken verbunden. Im Zweifel würde er dazu führen, dass die EZB, Herr Draghi, noch mehr Staatsanleihen kaufen müsste. Und das in einer sehr fragilen ökonomischen Lage, wo wir über mehr Investitionen in Frankreich und Italien reden. Dann führt das eher dazu, dass es Europa spaltet, verunsichert. Und ich erwarte, dass das Kanzleramt und Herr Schäuble da jetzt mal diese Meldung dementieren und klar machen, wofür sie stehen. Denn ansonsten bleibt das ja offen und das ist nicht haltbar. Das trägt auch nicht dazu bei, dass es in Griechenland wirklich freie Wahlen gibt.
    Breker: Sie haben es auch gerade angedeutet, Herr Schneider. Nicht nur Griechenland leidet ja unter dem Sparzwang und unter dem Reformdruck. Könnte Griechenland auf diese Art und Weise zu einem Vorbild für andere werden, na gut, wenn die Griechen dann einfach rausgehen, die anderen müssen gehalten werden. Dann wird Deutschland erpressbar - Sie haben es angedeutet - von Italien zum Beispiel oder von Frankreich?
    Kostet politischen Kredit
    Schneider: Es gibt immer nationale Interessen auch. Aber es gibt ein gesamteuropäisches Interesse. Und das ist, dass wir ordentliches Wachstum in den jetzt genannten Ländern bekommen. Dazu müssen die Strukturreformen durchführen. Das tun sie, gerade Italien und Frankreich. Ich glaube, die schütteln nur den Kopf über die Diskussion, die hier gerade in Deutschland stattfindet. Denn wir hatten ja extreme Ausschläge an den Finanzmärkten, bezogen auf die Staatsanleihen von Frankreich, von Italien, von anderen Ländern, wo gegenspekuliert wurde. Und nur Herrn Draghi, der oft auch von der CDU kritisiert wird, ist es zu verdanken, dass diese Ausschläge vorbei sind. Dass geglaubt wird, dass die Märkte nicht mehr gegen den Euro und die Länder spekulieren, sondern geglaubt wird, dass es eine Währung ist, die stabil ist und wo quasi nicht ein Land rausgetrieben wird. Diese Spekulationen sollten auf gar keinen Fall von politischer Seite angeheizt werden. Im Endeffekt kostet uns das politisch Kredit, nämlich im Vertrauen innerhalb der Länder in der EU. Und auch ökonomisch, denn wenn es den anderen Ländern schlecht geht, geht es auch Deutschland schlecht. Und das ist am Anfang des Jahres eine schlechte Botschaft.
    Breker: Hat das vielleicht auch damit zu tun, Herr Schneider, dass schon innerhalb der Europäischen Union die Stabilitätskriterien politisch interpretiert werden, da hält sich keiner so genau dran?
    Schneider: Na ja, das kann man so nicht sagen. Es gibt mehrere Länder, die im Verfahren sind, die ja auch Anweisungen bekommen, wie sie sich zu verhalten haben. Sie versuchen, das auch zu reduzieren. Italien hat das getan. In Frankreich, da gibt es noch Diskussionen zu. Es gibt unterschiedliche politische Kulturen, sagen wir es mal so. Wir Deutschen sind sehr orientiert an dem, was in den Verträgen steht. Andere Länder gucken mehr, wie ist gerade die Lage und ist es ökonomisch klug, wenn ich in einer Deflationsphase bin und eine starke Rezession habe, auch noch zu sparen. Und diese Unterschiede müssen sie ausgleichen. Aber das ist, glaube ich, eher eine Frage der politischen Kultur, wo wir eben sehr unterschiedlich geprägt auch sind. Wo es auch zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Bayern große Unterschiede gibt, so gibt es die in Europa noch mal mehr. Aber im Kern halten sich die Länder an diese Empfehlungen und es liegt in der Hand der Kommission und dann im Frühjahr auch von Herrn Schäuble, wie der Rat der Finanzminister über diese Empfehlungen entscheiden wird.
    Breker: Wenn es denn, Herr Schneider, im deutschen Interesse ist, dass Griechenland im Euro bleiben soll, ist das da die richtige Strategie, die da vom Finanzministerium, vom Kanzleramt gefahren wird?
    Schneider: Ich halte es für absurd. Griechenland braucht auch gar kein frisches Geld mehr. Sie haben mehr oder weniger einen ausgeglichenen Primärhaushalt. Sie müssen nur die Zinsen bedienen und die Schulden wieder zurückzahlen. Und die Schuldner oder die Gläubiger, das sind wir. Und wenn die Griechen nicht mehr im Euro sind, dann kann man diese Kredite abschreiben. Da bin ich mir ziemlich sicher. Die werden wir nicht wiederbekommen. Deswegen ist es unser ureigenstes auch nationales Interesse, dass Griechenland den Euro behält, dass sie stabil bleiben, die Wirtschaft wächst und dass sie unsere Kredite auch in weiten Teilen zurückzahlen können. Ansonsten: Sind sie draußen, dann wird das nichts mehr werden. Da bin ich mir ziemlich sicher.
    Breker: Und über einen Nachlass, über eine zeitliche Streckung dieser Zinszahlungen, da kann man nicht mehr verhandeln?
    Schneider: Die Verhandlungen haben ja in den letzten drei, vier Jahren immer wieder stattgefunden. Es hat viele Nachlässe gegeben, die Tilgungen sind gestreckt worden bis zum Jahre 2023, da fangen die erst mal an, sie haben zinsfreie Zeiten etc. Das wird man sehen, wenn man sich die ökonomische Lage in Griechenland anguckt. Jede Regierung wird dort neu verhandeln wollen. Erst mal gelten die alten Verträge und dann muss man sich angucken, sind die Griechen in der Lage, das zu erwirtschaften, oder sind sie es nicht. Das hängt erst mal davon ab, ob sie wieder auf Wachstumskurs kommen. Das sah im letzten Jahr besser aus als gedacht. Sie hatten über drei, vier Prozent Wachstum und sie haben einen ausgeglichenen Primärhaushalt vor Zinszahlung, also gute Zeichen-Und deswegen denke ich nicht, dass wir in der Situation sind, jetzt über Erleichterungen zu reden, sondern eher, dass die Reformen wirklich dort umgesetzt werden, dass die reichen Griechen dort auch tatsächlich Steuern zahlen. Und dass die Verwaltung nicht mehr korrupt ist, sondern funktioniert. Das, glaube ich, ist das, was wir als Deutsche einbringen sollten. Und nicht mit dem erhobenen Zeigefinger ihnen Ratschläge geben sollten, wen sie zu wählen haben und wen nicht.
    Breker: Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Carsten Schneider, im Deutschlandfunk. Danke!
    Schneider: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.