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Griechenland
Erfolgloser Kampf gegen Steuerhinterziehung

Durch Steuerhinterziehung verliert der griechische Staat jährlich 15 Milliarden Euro an Einnahmen, schätzen Experten. Die Steuerfahndung hat in Touristenorten festgestellt, dass jeder zweite Betrieb nicht korrekt abrechnet. Aber es ist offenbar nicht nur kriminelle Energie, die Geschäftsleute zu Steuerbetrügern macht.

Von Jerry Sommer |
    Im Radio trällert leise ein griechischer Pop-Song. Ansonsten ist es ruhig im Pelzladen von Christina in Hersonisos, dem größten Touristenort auf Kreta. Die Saison geht zu Ende. Und die 53-Jährige Besitzerin ist verzweifelt: So schlecht ist es noch nie gelaufen:
    "Es ist das erste Mal, dass ich meine Steuern nicht bezahlen kann. Bisher habe ich immer gezahlt, selbst wenn ich nicht genug zu essen hatte. Aber dieses Jahr geht das einfach nicht."
    Denn die russischen Touristen, ihre Hauptkunden, kaufen keine Nerze mehr. Der Rubel ist dieses Jahr wegen der Ukrainekrise um über 20 Prozent gefallen. Vielen kleinen Geschäftsbesitzern geht es ähnlich. Zum Beispiel Dimitri, der ein paar Häuser weiter einen Kleider- und Souvenirladen betreibt. Der Umsatz ist auch bei ihm eingebrochen. Bisher schaffe er aber noch, seine Steuern zu zahlen, sagt der 67-Jährige:
    "Wir sind ein kleiner Familienbetrieb. Wir stellen bei jedem Verkauf eine Quittung aus. Wir hinterziehen keine Steuern."
    Christina und Dimitri gehören zu dem Drittel griechischer Erwerbstätiger, die Freiberufler, Selbständige oder Unternehmer sind. Wenn sie für ihre Leistungen keine Rechnungen ausstellen, können sie zum Beispiel die Mehrwertsteuer einbehalten und dem Staat eigentlich fällige Einkommensteuern vorenthalten. Wie viele Griechen hält Dimitri Steuerhinterziehung irgendwie für gerechtfertigt:
    "Der Staat tut nichts für uns. Und dann beklaut er uns auch noch dauernd. Deshalb versucht jeder Bürger doch, wo er kann, einige Steuern zu vermeiden."
    An der Strandpromenade, hundert Meter weiter, hat Manolis dieses Jahr ein neues Bar-Restaurant aufgemacht. Mit dem Geschäft ist er halbwegs zufrieden. Aber die in den letzten Jahren beschlossenen neuen, beziehungsweise höheren Steuern seien für viele Betriebe nicht mehr tragbar. Der 45-Jährige halte sich an die Vorgaben, sagt er. Aber:
    "Mit der Steuerlast ist das heute halt so: Wenn du dich an jeden Buchstaben des Gesetzes hältst, musst du in spätestens drei Jahren dichtmachen."
    Die Regierung aus Konservativen und Sozialdemokraten hat zwar ein gerechteres Steuersystem versprochen. Aber wie viele Griechen glaubt auch Manolis nicht, dass es tatsächlich den Steuerhinterziehern an den Kragen geht - vor allen nicht den wirklich großen Steuerbetrügern.
    "Bezahlen müssen immer nur die kleinen Leute"
    "Diejenigen, die Geld haben, die machen so weiter wie vorher. Bezahlen müssen immer nur die kleinen Leute, die sich an die Gesetze halten und die keine Beziehungen haben."
    Marco, sein Nachbar, Inhaber eines Schmuckladens, sieht das genauso:
    "Die Großen zahlen nie, auch jetzt nicht. Es sind immer die kleinen und mittleren Betriebe, die zahlen. Und deshalb haben auch so viele kleine und mittlere Betriebe dichtgemacht."
    Durch Steuerhinterziehung verliert der Staat nach wie vor jährlich 15 Milliarden Euro an Einnahmen, schätzen Experten. Die Steuerfahndung hat bei Kontrollen in den Touristenorten festgestellt, dass jeder zweite Betrieb nicht korrekt abrechnet. Und bei den wirklichen Großverdienern mahlen die Staatsmühlen offenbar besonders langsam. Marko, Manolis und die anderen Geschäftsleute in Hersonissos kennen die Geschichte auch: Die griechische Regierung besitzt seit drei Jahren eine CD mit Namen von Griechen, die Geld in der Schweiz deponiert haben. Aber bisher sind erst 25 von 2.000 Fällen genau unter die Lupe genommen worden. Auch angeklagt wurde noch niemand.
    In ihrem Pelzladen weiß Besitzerin Christina nicht, wie es weitergehen soll. Die Steuerhinterziehung habe mit der Wirtschaftskrise eher noch zugenommen, glaubt sie. Aber es sei nicht nur kriminelle Energie, die Leute zu Steuerbetrügern mache. Viele, die ihre Ersparnisse in den vergangenen Jahren aufgebraucht hätten, könnten die verschiedenen Steuern, Einkommens- und Immobiliensteuern etwa, jetzt einfach nicht mehr zahlen. So wie sie selbst:
    "Wir machen Verluste, wie sollen wir da all die Steuern zahlen", fragt sie. Und überlegt, ob sie ihr Geschäft im nächsten Jahr überhaupt noch aufmachen kann.