Stefan Heinlein: Mitgehört hat am Telefon der CDU-Haushaltsexperte Klaus-Peter Willsch, lange Jahre einer der schärfsten Kritiker der Griechenland-Hilfen. Guten Abend, Herr Willsch.
Klaus-Peter Willsch: Guten Abend, Herr Heinlein.
Heinlein: Reden wir, Herr Willsch, vielleicht zunächst über die positive Nachricht des heutigen Tages. Für Olaf Scholz nicht, aber für die meisten ist es durchaus eine Neuigkeit: Deutschland hat seit 2010 - wir haben es gehört - fast drei Milliarden Euro an Zinsgewinnen durch die Griechenland-Kredite eingenommen. Waren die Griechenland-Hilfen, Herr Willsch, für Deutschland durchaus ein gutes Geschäft?
Willsch: Nein, das stimmt ja nicht. Um mal die Sache ein bisschen einzuordnen: Die EZB hat damals, als Griechenland in höchster Not war und von niemand mehr Geld bekommen hat, im Rahmen des sogenannten SMP-Programmes griechische Staatsanleihen aufgekauft. Die sind dann an die einzelnen Zentralbanken der Eurostaaten verteilt worden und die sind natürlich verzinst worden.
Dann haben aber schon im Zuge des griechischen Schuldenschnitts, der ja stattfand 2012, die Finanzminister damals gesagt, wir wollen daran kein Geld verdienen, sondern geben das den Griechen. Das ist auch ausgezahlt worden. Unsere deutsche Bundesbank hat dafür 2,74 Milliarden ausgezahlt an die EZB, die das dann wiederum weitergereicht hat nach Griechenland.
Darüber hinaus ist für das, was in 2014 stehen geblieben ist, weil Tsipras die Vereinbarungen nicht mehr einhalten wollte, offen gebrochen hat, auf ein Sperrkonto eingezahlt worden beim ESM (1,8 Milliarden), und die sollen nun auch ausgekehrt werden. Die Meldung ist schlicht falsch! Die Grünen haben falsch gerechnet. Und ich kann das auch gar nicht verstehen, wie man zu so einer Zahl kommen kann.
Heinlein: Aber, Herr Willsch, der Finanzminister Olaf Scholz hat das ja - wir haben es in dem Bericht gerade gehört - durchaus bestätigt. Er sagte sogar, das ist keine Neuigkeit.
Willsch: Das ist auch keine Neuigkeit. Natürlich werden für Anleihen Zinsen gezahlt. Nur was mit diesen Zinsen geschieht? Normalerweise wäre der Weg so: Die Bundesbank vereinnahmt die, weist sie später als Überschuss aus und der Überschuss fließt in den Bundeshaushalt. Genau das hat nicht stattgefunden. Die Bundesbank hat sie zwar vereinnahmt, weil das so ist.
Wenn man eine Anleihe zeichnet, kriegt man zur Endfälligkeit die Anleihe hoffentlich zurück und kriegt zwischendurch Zinsen. Die sind aber auf separatem Konto geführt worden und sind ja Griechenland zurückgegeben worden.
"Das Problem ist ja nicht gelöst"
Heinlein: Herr Willsch, viele Fakten, viele Zahlen. Fakt ist aber auch: Der Untergang der Eurozone, den Sie und andere ja 2010 und später auch vorhergesagt haben, hat nicht stattgefunden. Und Griechenland - da sind sich die Euro-Finanzminister einig - steht schon bald wieder auf eigenen Beinen. Haben Sie sich damals getäuscht, als Sie Athen die Unterstützung verweigern wollten?
Willsch: Nein, das glaube ich nicht. Schauen Sie sich doch mal die Zahlen an! Griechenland hatte einen Schuldenstand, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, von 145 Prozent, als 2010 dieser Rettungszirkus begann. Heute stehen wir bei 180 Prozent - und das Ganze, nachdem Pakete ausgereicht wurden in einer Größenordnung von über 300 Milliarden und noch ein Schuldenschnitt in einem Gesamtvolumen, ein Schuldenschnitt, ein Schuldenrückkauf in einer Größenordnung von 64 Milliarden vorgenommen wurde.
Heinlein: Sie bleiben dabei, Herr Willsch, es wäre besser gewesen, die Griechen Pleite gehen zu lassen?
Willsch: Das wäre bis heute besser. Das Problem ist ja nicht gelöst. Wir haben, um das auch noch mal geradezurücken, wir haben im Zuge dieses Schuldenschnitts bei unseren Bad Banks, die wir damals eingerichtet haben, um die maroden Geschäftsbanken HRE und so weiter abzuwickeln und abzuschirmen, bei diesem Schuldenschnitt haben wir bei diesen Bad Banks ein Volumen von über 7,5 Milliarden Euro verloren als deutscher Steuerzahler. Das Geld ist futsch!
Darüber hinaus musste die Bundesbank 2011, 2012 die IWF-Mittel erhöhen. Das Eigenkapital beim IWF musste damals erhöht werden. Da hat der IWF immer mitgemacht. Inzwischen machen sie nicht mehr mit. Das war eine Einzahlung von 41,5 Milliarden. Und die Bundesbank hat Risikorückstellungen richtigerweise gebildet. Risikorückstellungen mindern das Ergebnis und damit die Ausschüttung an den Bundeshaushalt.
Die lagen früher immer so bei zwei Milliarden. Inzwischen sind die Risikorückstellungen in einer Größenordnung von 16,5 Milliarden Euro. Das heißt, das Geld wird richtigerweise von der Bundesbank hingelegt nach dem Motto, man weiß ja nicht, ob die wirklich zurückzahlen. Das Risiko ist nach wie vor manifest und es wird da vorm Vorhang viel vorgespielt. Aber wenn Sie in die harten Fakten reingehen, dann sieht die Geschichte schon anders aus.
Heinlein: Herr Willsch, eine Frage. Zu den harten Fakten gehört ja auch, dass Athen eisern gespart hat. Es stand lange unter dem Kuratel von Brüssel, hat viele Verpflichtungen eingegangen. Griechischen Rentnern, griechischen Sozialhilfeempfängern geht es deutlich schlechter als noch vor Jahren.
Sie haben recht: Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch, aber die griechischen Wirtschaftsdaten gehen langsam voran. Es geht wieder aufwärts mit Griechenland. Und da ist es doch eine Frage der Solidarität, dass man auch in Zukunft den Griechen den Rücken stärkt. Oder sehen Sie das nach wie vor anders?
"Keiner darf für die Schulden des anderen einstehen"
Willsch: Nein! Solidarität ist im Rahmen der Eurozone keine Maßgröße. Solidarität ist in der Europäischen Union. Dafür haben wir Strukturfonds, Kohäsionsfonds, was weiß ich was alles an Fonds, insgesamt 50 Finanzmittel, wo versucht wird, wirtschaftliche Unterschiede auszugleichen. Das ist der Raison d'Être der Europäischen Union.
Das tun wir, wir sind Nettozahler, machen das gerne, weil wir damit eine gedeihliche Entwicklung in ganz Europa fördern. Aber in der Eurozone war das definitiv ausgeschlossen von Anfang an: Keiner darf für die Schulden des anderen einstehen oder aufkommen. Ausgeschlossen! Das ist ja meine Kritik von Anfang an gewesen und ich habe damals gesagt in meiner Rede im Bundestag, Geld kauft keine Freunde. Und wenn Sie sich den Zustand Europas heute anschauen, dann habe ich damit auch nicht ganz Unrecht gehabt, denn nie ist so schlecht übereinander geredet worden wie zurzeit.
Heinlein: Ein Lob, ein zartes Lob, ein kleines Lob für die Griechen und ihre Sparanstrengungen geht Ihnen nicht über die Lippen?
Willsch: Na ja, es ist sehr viel beschlossen worden, ein bisschen was umgesetzt worden, aber es war viel mehr versprochen als beschlossen und erst recht als umgesetzt wurde. Ich sehe keinen grundsätzlichen Mentalitätswandel dort. Natürlich auch durch diese Art mit der Kontrolle durch früher die Troika, dann die Institutionen hat es die griechische Politik leicht.
Die sagen immer, wenn irgendein Problem auftaucht, na ja, das müssen wir wegen Brüssel, das müssen wir wegen Berlin machen. Da wird nicht reflektiert, was im eigenen Land schiefläuft, und das ist eine weitere negative Folge. Es wird Eigenverantwortung unterhöhlt durch eine solche Form des Bailout, der Schuldenübernahme, und damit werden Probleme nur vertagt und verschoben. 180 Schuldenstand am BIP, das ist das Dreifache dessen, was nach den vertraglichen Grundlagen der Währungsunion zulässig ist.
Heinlein: Der CDU-Haushaltsexperte Klaus-Peter Willsch heute Abend hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Herr Willsch, für das Gespräch und vielen Dank, dass Sie uns so spät noch Rede und Antwort gestanden haben.
Willsch: Aber gerne doch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.