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Griechenland in Avignon
Warum noch für Europa kämpfen?

Auch auf dem Theaterfestival in Avignon ist Griechenland eines der bestimmenden Themen. Es werden Fragen gestellt und Antworten gesucht, auf und neben den Bühnen. So fordert der französische Philosoph Alain Badiou zum Widerstand gegen ein rein ökonomisch strukturiertes System auf. Auch Festival-Direktor Olivier Py scheut die klare Meinung nicht.

Von Eberhard Spreng |
    Der Leiter des Theaterfestivals von Avignon, Olivier Py, während der Pressekonferenz am 27. März 2015.
    Der Leiter des Theaterfestivals von Avignon, Olivier Py. (Picture alliance / EPA / Etienne Laurent)
    Vor der stattlichen Bibliothek Ceccano aus der Zeit der Päpste stehen ein paar große Platanen und eine Handvoll Olivenbäume. In ihrem Schatten wird in diesen Tagen immer, jeweils eine Stunde lang um Zwölf Uhr mittags, aus "Der Staat" des antiken Philosophen Platon gelesen und mancher Zuhörer mag, während er den Worten aus dieser philosophisch so grundlegenden Schrift lauscht, an das derzeitige Brüsseler Europa denken und den Streit um griechische Schulden. Übersetzt und für das Theater bearbeitet hat dies der französische Philosoph Alain Badiou, der in diesen Tagen in Avignon auch in einer von der Tageszeitung "Le Monde" veranstalteten Debatte sein letztes Werk "Métaphysique du bonheur réel" erläuterte. Er konfrontiert in seiner "Metaphysik des wirklichen Glücks" den Begriff eines auf einer unverstellten, eigenen Wahrheitssuche beruhenden Glückes gegen eine "Zufriedenheit", die sich nur in herrschende Verhältnisse einfügt und brachte seine theoretischen Überlegungen überraschend mit der griechischen Tagespolitik in Verbindung.
    "Die Herrscher der Welt mögen die Veränderung der Welt nicht. Wenn Menschen also gegen alle Widerstände und die herrschende Meinung behaupten, dass eine Veränderung möglich ist, dann wird man ihnen mit allen Mitteln klar machen, dass das nicht wahr ist, dass genau das nicht geht. Und, um auf etwas Aktuelles zu kommen, genau dieses Problem hat Griechenland derzeit. "
    Alain Badiou lernte als Sohn eines Résistance-Kämpfers sehr früh das Vertrauen in die grundsätzliche Veränderbarkeit der Welt, und setzt es hier gegen eine ökonomisch strukturierte und als feststehend behauptete Ordnung der Dinge. Sie korrumpiere unsere Fähigkeit, die Wirklichkeit von ihren Maskierungen zu unterscheiden und ihren Kern in den Blick zu bekommen. Gemeint ist damit ein Moment der Erkenntnis, die allein die Erfahrung des Glücks ermögliche. Badiou prangert die "subjektive Unterwerfung unter eine Realität an, von der die Ökonomie prahlt, die letzte Weisheit zu sein".
    "Das Problem entsteht dadurch, dass das griechische Volk sagt: Wir wollen die Sparpolitik nicht und die anderen Europäer sagen: Die müsst ihr aber wollen. Und wenn ihr mit eurem Nein weitermacht, dann werdet ihr schon sehen, was passiert. Es wird gedroht. Was passiert mit Menschen, die die freiwillige Unterwerfung ablehnen? Keiner kann das derzeit besser beantworten als die Griechen."
    Während Alain Badiou versucht, seine Philosophie mit konkreter Zeitgeschichte zu synchronisieren, geht Festivaldirektor Olivier Py einen Schritt weiter. Er opponiert offen gegen den immer wieder als Option gehandelten Grexit. "Wenn Europa nur ein profitorientiertes Arrangement zwischen Banken ist, von dem die Völker nichts haben, was hat Europa dann für einen Sinn? Wenn wir Griechenland aufgeben, warum sollten wir dann noch für Europa kämpfen."
    Olivier Py, geboren als Kind von Algerienfranzosen im südfranzösischen Grasse, kann sich persönlich eine Identität als Europäer in einem Europa ohne Griechenland nicht vorstellen. "Meine Vorfahren waren Spanier, Katalanen, Neapolitaner. Wenn Europa nicht mehr meinem Anspruch gerecht wird, ich meine: kulturell und poetisch, dann habe ich eine andere Idee: Ich werde dann sagen: Ich bin Mediterran."
    Uneiniger in der Frage, was ist Europa und was ist ein Europäer, können Regierungen und Bevölkerungen derzeit kaum sein. Und Avignon ist, seinem Anspruch und seiner Tradition gemäß, ein Austragungsort dieser Debatte. Es gelte, so Alain Badiou, der Wirklichkeit die Maske abzureißen und sich entgegen der opportunistischen Selbstzufriedenheit ins Wagnis der Glücksuche zu stürzen. So habe das griechische Volk die Frechheit besessen, entgegen herrschender europäischer Regeln, etwas entscheiden zu wollen.
    "Viele absolut konservative Ökonomen haben gesagt, dass man die griechischen Schulden einfach streichen kann, ohne dass viel passiert. Sogar Strauss-Kahn. Das geht also. Was aber nicht zu gehen scheint, ist dass man in dieser Frage ein Volk entscheiden lässt. Es geht hier also um eine politische Bestrafung. Es ist keine rationale ökonomische Strafe. In meine Begriffe übersetzt ist dies die Bestrafung für den Wunsch nach Glück im Namen der Zufriedenheit."