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Griechenland und die EU
"Die Wirtschaftspolitik zielt nicht auf Solidarität"

Die Situation in Griechenland könne auch ein Zeichen dafür sein, dass die europäische Sparpolitik gescheitert sei, sagte die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan im DLF. Die europäischen Regierungen sollten jetzt nicht selbstgefällig werden, sondern die griechische Seite nochmal hören.

Gesine Schwan im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan während einer Gesprächsrunde in den Kammerspielen des Theater Lübeck
    Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan kandidierte 2004 und 2009 für das Amt der Bundespräsidentin - beide Male scheiterte sie im ersten Wahlgang gegen Horst Köhler (Olaf Malzahn/dpa)
    Auch in Spanien und Portugal habe die europäische Sparpolitik nicht geholfen, sagte die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan im DLF. Die Frage sei, ob man eine bestimmte Art von Politik durchziehen wolle oder auch auf die sogenannten Reformländer hören wolle. Die aktuelle Wirtschaftspolitik ziele nicht auf Solidarität.
    Wenn man die Zahlungen an Griechenland als Hilfen bezeichne, dann sei das Interpretationssache, sagte Schwan. Denn mit dem Geld seien in erster Linie die Banken gestützt worden. Sie warnte vor einem griechischen Euro-Austritt: "Das wird sich bitter rächen," kommentierte Schwan.

    Das Interview in voller Länge
    Sandra Schulz: Nach dem turbulenten Wochenende können wir natürlich heute Morgen nicht nur übers Geld sprechen. Wir müssen auch über Europa sprechen. Am Telefon ist die frühere Präsidentin der Europa-Universität Viadrina, die Politikwissenschaftlerin, Sozialdemokratin, die Europäerin Gesine Schwan. Guten Morgen.
    Gesine Schwan: Guten Morgen!
    Schulz: Was bedeuten die Entscheidungen vom Wochenende für Europa?
    Schwan: Dass es deutlich geworden ist, dass es innerhalb Europas keine Verständigung geben kann über die zukünftige solidarische Gestaltung der Wirtschaft und auch der Politik. Das ist damit deutlich geworden. Sie haben angekündigt, ich habe Herrn Issing gehört, ich kann mich darauf beziehen. Ich glaube, dass Herrn Issings Darstellung aus seiner Sicht völlig kohärent ist, die nämlich sagt, die ganze bisherige Politik war richtig, nur die Griechen haben sich unverantwortlich verhalten. Wenn man so argumentiert, dann ist die Folgerung sowohl ökonomisch oder währungspolitisch als auch insgesamt politisch: Griechenland muss raus.
    Wenn man anders argumentiert und sagt, dass die bisherige Politik, die Sparpolitik nicht gewirkt hat, wenn man sagt, dass auch in Spanien und auch in Portugal der Schuldenstand gestiegen ist in all den Jahren der Sparsamkeit, dass es auch in Spanien und in Portugal eine erhöhte Arbeitslosigkeit gibt, unter denen die Deutschen ja nicht besonders leiden, dann sieht man die Sache, glaube ich, ganz anders. Das heißt, das ist eine Grundfrage, ob man glaubt, das war erfolgreich, ganz egal, wie hoch die Jugendarbeitslosigkeitsquote ist, oder nicht. Dann sagt man es so wie Herr Issing.
    Aber es gibt auch ein weiteres Problem. Die EZB in der Tat musste immer mehr Aufgaben übernehmen, weil seit Jahren die europäischen Regierungen, die das Sagen hatten die ganze Zeit, und hier ganz besonders die deutsche Bundesregierung auch unter Bundeskanzlerin Angela Merkel, nicht bereit war, mit den Schulden und mit den Problemen der Staaten solidarisch umzugehen. Das No-Bailout war der Anfang. Das ist alles sehr logisch, wenn man sagt, Europa besteht aus einer Sammlung von Nationalstaaten und ist nicht eine Gemeinsamkeit. Dann kann man das so sagen. Aber dann muss man das auch so folgern.
    Schulz: Frau Schwan, wenn Sie von Grundfragen sprechen, dann geben Sie mir insofern das Stichwort, dass ich auch die eine oder andere Frage für unser Interview noch vorbereitet hatte und Ihnen auch gerne stellen würde. Die Grundfragen, um die gab es ja nun gerade dieses tiefe Zerwürfnis. Was kann Europa denn tun, wenn das, was Europa eigentlich sehr gut kann, nämlich reden, Kompromisse finden, wenn das nicht mehr funktioniert?
    "Europa muss Kompromisse finden"
    Schwan: Na ja, dass Europa im Moment sehr gut reden und Kompromisse finden kann, kann man ja nicht gerade sagen, wenn man die Flüchtlingspolitik anschaut und auch in anderen Punkten. Es konnte es früher, aber es kann es seit Jahren immer weniger.
    Schulz: Ja, umso schlimmer.
    Schwan: Und ich meine, es muss das tun. Wie gesagt, das zeigt sich auch etwa an der Flüchtlingspolitik. Renzi fühlt sich ja auch völlig im Stich gelassen. Und ich könnte mir denken, dass das auch noch mal ganz anders aussieht, wenn im Herbst Spanien neu wählt. Dann sehen wir überall neue Punkte und dann ist die Frage, ob wir wirklich eine Politik durchziehen, oder ob wir auf die Länder hören, wenn sie eine andere Regierung haben, und das könnte für Spanien sehr gut im Herbst so werden - die Kommunalpolitik hat da schon drastische Verluste der jetzigen Regierungspolitik gezeigt -, dass es dann ganz anders wird. Und es ist wirklich die Frage, diese jetzige Wirtschaftspolitik setzt ja gerade nicht auf Solidarität, sondern sie setzt darauf, dass jeder Staat es für sich macht, und wenn man die Hilfspakete an Griechenland als Solidarität bezeichnet, dann ist das eine Interpretation, die davon absieht, dass in Griechenland durch diese letzten Hilfen im Wesentlichen, 90 Prozent etwa, die Banken gestützt worden sind, die von deutscher und französischer Seite dort Geld geliehen haben. Das heißt, das Geld ist zu großen Mengen zurückgegangen. Wir haben uns nicht eingestanden, dass diese Banken eigentlich auch hätten die Verluste machen müssen, genauso wie in Irland oder in Spanien.
    "Das müsste ein Weckruf sein"
    Schulz: Frau Schwan, wenn das, so verstehe ich Sie, tatsächlich eine neue Qualität der Krise in Europa ist, nämlich dass die Kommunikation so kolossal versagt, was dann tun?
    Schwan: Meines Erachtens müsste das ein Weckruf sein, nicht zur Selbstgerechtigkeit, wie das im Moment bei allen Staaten außerhalb Griechenlands ist, sondern ein Weckruf dafür, dass man doch noch mal die andere Seite hört. Nun sagt die jetzige Seite, das macht alles nichts, wir sind stabilisiert, Griechenland muss raus aus dem Euro und dann ist alles gut. Dann gibt es ein paar arme Jahre und sonst nichts. Ich habe den Eindruck, das wird so nicht, und ich glaube, solange die anderen Staaten nicht ernst nehmen und die anderen Regierungen vor allen Dingen nicht ernst nehmen, dass es hier eine Gefahr geben kann aus Mangel an Solidarität, dass es nämlich eine Ansteckungsgefahr gibt, die Sie ja auch schon genannt haben, werden sie möglicherweise nicht handeln. Ich fürchte, dass dieses nicht Ernst nehmen der Problematik der sogenannten Reformländer als auch der Gefahr für den Euro - deswegen hat ja Mario Draghi die ganze Zeit so gehandelt -, dass das sich wahrscheinlich bitter rächen wird. Aber es ist dann sehr schwer, Argumente zu haben, wenn man so in der Minderheit ist.
    Schulz: Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Auch Ihnen herzlichen Dank.
    Schwan: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.