Jürgen Zurheide: Der griechische Ministerpräsident Tsipras war in Berlin. Dort wurde über die wirtschaftliche Lage im Lande geredet, die soziale Lage, sicherlich auch über die Flüchtlinge, und hinter den Kulissen wurden sicher über ein paar andere Dinge gesprochen, die damit zu tun haben, was darf die griechische Regierung, was darf sie nicht – zum Beispiel, darf sie die Rentner mit einer Sonderzahlung unterstützen. Über all das wollen wir reden, und ich freue mich auf Jens Bastian, Ökonom, der selbst in Griechenland lebt, unter anderem für die Troika gearbeitet hat. Guten Morgen, Herr Bastian!
Jens Bastian: Guten Morgen, Herr Zurheide!
"Die sozialen Konsequenzen der Krise sind vorhanden"
Zurheide: Herr Bastian, zunächst einmal die wirtschaftliche Lage in Griechenland: Wir reden hier nicht zum ersten Mal darüber. Gibt es inzwischen so etwas wie einen Silberstreif am Horizont oder ist das zu optimistisch, was der Ministerpräsident gestern in Berlin gesagt hat?
Bastian: Es gibt in der Tat einen solchen Silberstreif am Horizont , der ist für manche allerdings in Griechenland nicht unbedingt zu erkennen, wenn die Personen seit Jahren arbeitslos sind oder sehr geringes Einkommen haben. Die sozialen Konsequenzen der Krise sind vorhanden, sie sind spürbar in der Gesellschaft, aber es gibt natürlich auch Wirtschaftsbereiche, denen es besser geht, die langsam wieder auf die Beine kommen. Zum Beispiel der Tourismussektor boomt, Griechenland hat ein Rekordjahr hinter sich. Es gibt andere Bereiche wie der Hafen von Piräus in der Nähe von Athen wo es chinesische Investitionen gibt oder auch regionale Energiekooperationen, aber das muss man zum Teil auch mit der Lupe finden, um zu sagen, es gibt einen Silberstreif am Horizont.
Zurheide: Der Ministerpräsident hat ja gesagt, in diesem Jahr sei das Wirtschaftswachstum 2,7 Prozent, im nächsten Jahr erwarte er 3,1 Prozent, und er leitet da ja raus ab, man kann die Leine etwas lockerer lassen. Ist das seine Art der Rechtfertigung oder für mögliche Mehrausgaben, die er ja auch tätigen will oder ist das notwendig, was er da vorschlägt?
Bastian: Also es ist umstritten. Sein eher optimistischer wirtschaftlicher Ausblick wird von vielen nicht geteilt, ob in Griechenland oder auch bei den internationalen Kreditgebern, aber insgesamt, glaube ich, versucht er schon deutlich zu machen, wie Sie richtig andeuten, dass er dadurch auch Handlungsspielraum versuchen möchte zu kreieren, und ein erstes Beispiel dafür ist diese Sonderzahlung an Rentner. Die Haushaltssituation bessert sich langsam. Die Einnahmesituation, die Steuern kommen zurück in den Haushalt, und dann werden entsprechende soziale Wohltaten an bestimmte Gruppen der Gesellschaft verteilt, aber das muss dann auch in einer Weise geschehen, dass die internationalen Kreditgeber darüber informiert werden und dem auch zustimmen, und das war nicht der Fall. Deswegen ist das umstritten.
"Hier werden einfach auch Spielräume ausgelotet"
Zurheide: Kommen wir noch mal auf das Konkrete: Das heißt, ein einzelner Rentner bekommt oder Rentner sollen eine Sonderzahlung bekommen, und das hat das griechische Parlament, ich sage es mal, holterdiepolter beschlossen, und der Finanzminister hat sich dann entschuldigt so unter der Überschrift, na ja, wir mussten das jetzt so schnell machen, deshalb konnten wir euch, den internationalen Geldgebern, das nicht mitteilen. Das ist natürlich kein besonders guter Stil. Ob es notwendig und zutreffend so war, weiß ich auch nicht, oder hatte man das Gefühl, wir müssen es so machen, sonst kriegen wir es nicht durch. Wie analysieren Sie das?
Bastian: Ich sehe es so, wie Sie es gerade am Ende eher andeuten, nämlich, wenn man damit an die Öffentlichkeit gegangen wäre und die Kreditgeber um Zustimmung gebeten hätte, wäre eher die Kontroverse entstanden, dürft ihr das, sollt ihr das, müsst ihr das tun. Stattdessen sehen Sie an einem solchen Vorgehen auch, dass die Regierung schon versucht, in bestimmten Bereichen zu sagen, wir sind nicht in allem abhängig von der Zustimmung der Troika, der Kreditgeber. Hier werden einfach auch Spielräume ausgelotet, wie weit kann man gehen. Manchmal geht allerdings auch dieser Schuss dann nach hinten los.
Zurheide: Die Frage ist natürlich, wie sehr ist die Regierung inzwischen innenpolitisch auch unter Druck. Die Umfragewerte für Tsipras sind stark gesunken. Insofern war das möglicherweise ja auch eine politische Aktion unter der Überschrift, wie Sie es auch gerade angedeutet haben, wir zeigen mal, dass wir auch noch alleine handeln können. Das war die Motivation, Fragezeichen?
Bastian: Das spielt auf jeden Fall eine Rolle. Eine Öffentlichkeit, die verunsichert ist, die auch von der Regierung sich eher abwendet, was die Meinungsumfragen betrifft, deutlich zu machen, wir haben noch Handlungsspielräume, wir sind souverän, wir müssen uns nicht alles diktieren lassen, ob aus Berlin, Brüssel oder Washington.
"Man muss Investoren auch Rechtssicherheit geben"
Zurheide: Auf der anderen Seite steht ja die Frage im Raum, wo ist die Perspektive, sowohl die ökonomische, aber eben auch die soziale. Sie haben es vorhin gesagt, im Moment gibt es einige wenige Bereiche, um Ihr Wort aufzunehmen, die man mit der Lupe suchen muss, ein sich selbst tragender Aufschwung, der auf breitere Teile der Bevölkerung erfasst, den sehen wir bisher nicht. Das habe ich richtig aus Ihren Worten rausgehört?
Bastian: Da haben Sie recht, Herr Zurheide. Dieser selbsttragende Aufschwung nachhaltig, der auch aus eigener Kraft geleistet werden kann, dafür ist diese Krise viel zu lange andauernd und hat viel zu viele Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche dieses Landes erfasst. Da braucht es weiterhin ausländische Unterstützung, ob das Finanzdienstleistungen sind oder auch ausländische Direktinvestitionen. Nehmen Sie das Beispiel, dass nun Fraport, der Flughafenbetreiber in Frankfurt, bereit ist, in großem Maße in griechische Regionalflughäfen zu investieren. Das sind grüne Zeichen eines Aufschwungs, die möglich sind im Land, aber da muss man solchen Investoren dann auch Rechtssicherheit geben, eine klare Steuerpolitik anbieten, damit da auch der ausgelegte rote Teppich beschritten werden kann, und damit tut sich diese Regierung weiterhin schwer, in der Öffentlichkeit für solche Investitionen zu werben.
Zurheide: Was müsste die Regierung tun?
Bastian: Zunächst einmal aus meiner Sicht eine sehr verlässliche Steuerpolitik. Im Grunde genommen verändern sich zum Beispiel die Unternehmenssteuern mindestens einmal im Jahr. Man muss dann auch Investoren das Gefühl dafür geben, dass es Rechtssicherheit gibt, und zwar heute Morgen und Übermorgen, dass auch Spekulationen über eventuelle Neuwahlen in der Öffentlichkeit aufhören und dass dann solche Beispiele wie Sonderzahlungen an Rentner hinter dem Rücken der Kreditgeber, dass das natürlich auch nicht unbedingt ein Zeichen von Klarheit und Transparenz ist für ausländische Investoren, die manchmal sich dann fragen, könnte das dazu führen, dass bestimmte Vereinbarungen auch wieder im Handumdrehen verändert werden können.
Konflikt mit den Kreditgebern wird weiter andauern
Zurheide: Auf der anderen Seite, Sie haben es auch schon oder wir haben es diskutiert, dass die Bevölkerung das Gefühl hat, diese Regierung kann nicht autonom handeln, steht am Gängelband derjenigen, die natürlich die Kredite geben. Das kann man so formulieren, man kann auch sagen, es ist notwendig, wenn man Kredite gibt, darauf zu achten, dass sie vernünftig ausgegeben werden. Da herrscht ja immer noch kein wirkliches Vertrauen, oder?
Bastian: Nein, auf beiden Seiten nicht, weder bei der Regierung von Premierminister Tsipras noch bei den internationalen Kreditgebern. Das zeigt sich zum Beispiel an der Wortwahl: Herr Tsipras spricht oft davon, dass er Auflagen der Kreditgeber durchsetzen muss. Er spricht nicht von Reformen, die in der Gesellschaft notwendig und auch akzeptiert werden, und in dieser Unterschiedlichkeit der Terminologie sehen Sie schon den ganzen Konflikt, der in Griechenland ausgetragen wird mit den Kreditgebern und der auch noch eine Weile anhalten wird.
Zurheide: Jens Bastian war das aus Athen, Ökonom zu Griechenlands Kurs in der Schuldenkrise und zu den Schwierigkeiten, die da noch vor uns liegen. Herr Bastian, ich bedanke mich für das Gespräch, Dankeschön!
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