Griechische Staatsanleihen
"Die Lücke muss von den Steuerzahlern gefüllt werden"

Nach vier Jahren hat sich Griechenland in der ersten Aprilhälfte erstmals wieder Geld am Kapitalmarkt verschafft. Der Staat platzierte erfolgreich eine fünfjährige Staatsanleihe.

Hans-Werner Sinn im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Der Präsident des ifo Instituts, Hans-Werner Sinn, spricht am Mittwoch (29.06.2011) in München (Oberbayern) auf der Jahresversammlung des Instituts
    Der Präsident des ifo Instituts, Hans-Werner Sinn (picture alliance / dpa / Tobias Hase)
    Der Run auf Staatsanleihen aus Griechenland, Portugal und Spanien bedeute aber nicht, dass die Euro-Krise beendet sei, sagte Hans-Werner Sinn, der Präsident des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts im DLF. Über die Krise hingweg seien diese Staaten aber "nicht aufgrund eigener Bonität, sondern sie sind es aufgrund der Rettungsschirme. Es haben letztendlich die Steuerzahler anderer Länder versprochen, die Schulden zurückzuzahlen."
    Die Käufer von Staatspapieren eines Krisenlandes gingen kein wirkliches Risiko ein, kritisierte Sinn. Solange es problemlos gehe, unter den Rettungsschirm ESM zu schlüpfen und die EZB diese Staatspapiere abkaufe und damit die Risiken trage, werde immer der Steuerzahler mit dafür aufkommen müssen.
    Der Euro-Kritiker betonte: "Man kann gar nicht davon ausgehen, dass Griechenland selbst eine Schuldentragfähigkeit erreicht." Angesichts der hohen Schuldenquote und einer geschrumpften Wirtschaft handele es sich bei der Einschätzung der Troika um Schönwetterprognosen.
    Deshalb schlug er vor, die Eurozone zu verkleinern. Einige Länder, die in der Eurozone nicht wettbewerbsfähig seien, sollten temporär austreten. Es mache keinen Sinn, diese krampfhaft im Euro zu halten, denn das "wird ein extrem teures Unterfangen".
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    Hans-Werner Sinn wurde 1948 in Brake, Nordrhein-Westfalen, geboren. Studium der Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Seit 1984 Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und seit 1999 Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung.
    Das Interview in voller Länge
    Tobias Armbrüster: Es ist erstaunlich still geworden um die sogenannte Euro-Schuldenkrise. In den vergangenen Tagen haben wir erlebt, dass es für ehemalige Krisenländer wie Griechenland, Portugal und auch Spanien problemlos möglich ist, wieder Geld an den internationalen Märkten zu leihen, noch dazu zu sehr günstigen Konditionen. Außerdem haben sich Portugal und Irland inzwischen aus dem Euro-Rettungsschirm verabschiedet. Wir wollen wissen, was einer der hartnäckigsten Euro-Kritiker zu dieser Entwicklung sagt. Am Telefon ist der Ökonom Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner ifo-Instituts. Schönen guten Morgen, Herr Sinn!
    Hans-Werner Sinn: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Sinn, diese Krisenländer Portugal, Griechenland und Spanien sind wieder in der Lage, sich Geld zu leihen. Ist das ein Zeichen dafür, dass wir diese Schuldenkrise langsam, aber sicher hinter uns lassen?
    Sinn: Nun, sie sind es nicht aufgrund eigener Bonität, sondern sie sind es aufgrund der Rettungsschirme. Es haben letztlich die Steuerzahler anderer Länder versprochen, die Schulden notfalls zurückzuzahlen, und dieses Versprechen bedeutet für die Anleger natürlich, dass sie risikolos ihr Geld wieder dort hintragen können, wenn sie ein paar Prozentpunkte mehr bekommen. Das Versprechen läuft über den Rettungsschirm ESM, das Versprechen läuft über die Interventionen der Europäischen Zentralbank. Dahinter steht ja immer der Steuerzahler. Wenn da was schiefgeht und das Geld kommt nicht zurück, dann geht das zu Lasten der Finanzministerien der verschiedenen Länder. Deutschland ist immer zu 27 Prozent dabei.
    Armbrüster: Aber dieses Versprechen wurde ja nie so ganz eindeutig ausgesprochen und eigentlich kann sich kein Anleger wirklich sicher sein, dass der europäische Steuerzahler tatsächlich einspricht. Wir denken etwa an Zypern, da wurden auch die Anleger zur Kasse gebeten, und auch beim letzten Griechenland-Schuldenschnitt mussten die Anleger ihren Teil beitragen. So wirklich deutlich ist dieses Versprechen ja nie ausgesprochen worden.
    Sinn: Das sehe ich anders. Die EZB hat ja gesagt mit dem OMT-Programm (Outright Monetary Transactions), dass sie intervenieren wird was immer nötig ist, also unbegrenzt. Das heißt, wenn jemand die Staatspapiere eines Krisenlandes kauft und dieses Krisenland wirklich in Schwierigkeiten kommt, kurz vor dem Konkurs steht oder so, dann kann es unter den Rettungsschirm ESM schlüpfen. Und wenn es das getan hat, ...
    Armbrüster: Kann!
    Sinn: Ja, das hat das Recht darauf. Das wird es ja auch tun. – Und wenn es das getan hat, dann hilft erst mal dieser Rettungsschirm ESM mit ziemlich vielen Mitteln, und vor allem hilft dann auch noch die EZB, indem sie den Anlegern diese Staatspapiere abkauft, so dass die Abschreibungsverluste im Falle des Konkurses bei der EZB liegen. Und damit liegen sie beim Steuerzahler, denn die EZB schüttet dann weniger Gewinne aus an die Mitgliedsnotenbanken, die Bundesbank, die Bundesbank schüttet weniger Gewinne aus an den Finanzminister und die Lücke muss von den Steuerzahlern gefüllt werden.
    Armbrüster: Sie als Ökonom würden sagen, Griechenland-Anleihen jetzt kaufen ist ein ziemlich sicheres Geschäft?
    Sinn: Ja, genau! Denn bezahlen muss man ja sowieso dafür später, und auch wenn man sie nicht kauft, muss man dafür bezahlen. Dann kann man sie auch gleich schon kaufen. Das ist ein bisschen sarkastisch, aber so ungefähr ist es ja. Man kann überhaupt nicht davon ausgehen, dass Griechenland selbst eine Schuldentragfähigkeit erreicht hat. Davon sind sie meilenweit entfernt.
    "In Wahrheit ist gar nichts prima"
    Armbrüster: Woran machen Sie das fest?
    Sinn: Das mache ich fest an der hohen Schuldenquote. Das mache ich fest an dem Umstand, dass das Land geschrumpft ist. Die Prognosen, die die Troika hier gemacht hat, das sind immer Schönwetterprognosen. Die sagen immer, nächstes Jahr und danach wird das Land dann wachsen und dann wird es den Schulden, die es gemacht hat, davonwachsen und kann auch den Schuldendienst leisten. Das hat aber die ganzen letzten Jahre überhaupt nicht gestimmt, sondern das Land schrumpfte vor sich hin, und es ist gar nicht absehbar, dass sich das ändert.
    Wir haben derzeit 60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland, wir haben um die 27 Prozent Gesamtarbeitslosigkeit. Es sind wirklich ziemlich katastrophale Verhältnisse. In Spanien ist die Industrieproduktion um 30 Prozent eingebrochen. Das ist so stark, wie in der Weltwirtschaftskrise das beobachtbar war in Deutschland zum Beispiel oder in den USA.
    Vor der Europawahl will man jetzt Optimismus hier erzeugen, damit die Leute denken, alles ist prima. In Wahrheit ist gar nichts prima. Die nächsten Schuldenschnitte kommen und wir stehen sicherlich irgendwann vor größeren Einschnitten, noch sichtbaren Einschnitten zu Lasten der Steuerzahler. Aber auch wenn die sichtbaren Einschnitte nicht kommen, dann wird es weitere Transferprogramme geben, so dass auf diese Weise die Steuerzahler der noch gesunden Länder letztlich die Mittel in die kranken Länder herüberschieben, die die brauchen, damit sie ihre Schulden zurückzahlen können – nicht übrigens nur in Deutschland, sondern Schulden in der ganzen Welt.
    Armbrüster: Sind das dann sozusagen Eurobonds durch die Hintertür?
    Sinn: Ja! Wir haben faktisch Eurobonds. Durch das Rettungsversprechen der Europäischen Zentralbank haben wir fast Eurobonds, und das ist ja nun der Fall, der beim Verfassungsgericht liegt. Das deutsche Verfassungsgericht hat gesagt, die Europäische Zentralbank hat Machtusurpation begangen. Das heißt, sie hat ihr Mandat überschritten und hat eine fiskalische Hilfspolitik für die Länder Südeuropas gemacht, zu der sie überhaupt gar nicht befugt war.
    "Alle krampfhaft im Euro halten, wird ein extrem teures Unterfangen"
    Armbrüster: Müssen wir uns jetzt in diesen Ländern auf weitere Schuldenschnitte gefasst machen?
    Sinn: Schuldenschnitte oder Transferprogramme. Jedenfalls die reale Wirtschaft ist ja in keiner Weise in der Lage, diese riesigen Lasten zurückzuzahlen, und mein Vorschlag wäre in der Tat, wir machen eine Schuldenkonferenz und verzichten auf einen Teil unserer Forderungen, die wir sowieso nicht zurückkriegen, und verkleinern die Euro-Zone, indem Länder, die gar nicht wettbewerbsfähig werden können in der Euro-Zone, temporär austreten, sagen wir für ein Jahrzehnt, durch die Abwertung ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen, Reformen machen und so weiter, und wenn sie dann wieder ihre Wirtschaft in Ordnung gebracht haben, können sie wieder zurück.
    Was wir hier versuchen, sie alle krampfhaft im Euro halten, wird ein extrem teures Unterfangen und es dient im Wesentlichen dazu, dass die Anleger aus aller Welt ihr Geld wiederkriegen. Aber warum müssen die Steuerzahler die Lasten übernehmen und warum müssen die Anleger ungeschoren herauskommen? Das ist nicht ganz richtig. Auch die neue Bankenunion ist im Grunde eine Mogelpackung. Da wird gesagt, die Steuerzahler sollen geschont werden. Wenn Sie sich aber mal anschauen, was beschlossen wurde: Es wurde beschlossen, dass gerade mal acht Prozent der Bilanzsumme zu Lasten des Eigenkapitals und des Fremdkapitals gehen. Das heißt, 92 Prozent hängen in der Luft und müssen letztlich mit öffentlichen Mitteln finanziert werden.
    Armbrüster: Herr Sinn, ich will noch einmal ganz kurz zurückkommen auf die Verfassungsmäßigkeit. Sie haben das angesprochen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat ja geurteilt, dass dieses Vorgehen durchaus in Ordnung ist, solange der Bundestag sein Mitspracherecht hat. Wenn die Abgeordneten also ihr Okay geben, dann ist doch eigentlich alles in Ordnung?
    Sinn: Das Bundesverfassungsgericht hat dem ESM zugestimmt, diesem Rettungsschirm ESM. Hat aber nicht zugestimmt, dass die Europäische Zentralbank noch mal dasselbe macht. Der Rettungsschirm ESM darf die Staatspapiere dieser Länder kaufen, ist aber vom Eigenkapital her gedeckelt. Die Haftung wurde vom Bundesverfassungsgericht auf 190 Milliarden Euro für Deutschland beschränkt, nachdem es ursprünglich eine gesamtschuldnerische Haftung war, und deswegen können die nicht beliebig Papiere kaufen. Jetzt kommt die EZB und sagt, na gut, das ist begrenzt, wir kaufen aber beliebig, und damit wird der Steuerzahler praktisch unbegrenzt in die Haftung genommen. Dazu sagt das Verfassungsgericht, das ist Machtmissbrauch. Es hat jetzt noch den EuGH angerufen, aber nicht, um zu fragen, ob der auch dieser Meinung ist, sondern um ihn zu bitten, eine Beschränkung dieser Politik der EZB vorzunehmen, so dass die Politik kompatibel wird mit den EU-Verträgen.
    Armbrüster: Auch frisch verkaufte Staatsanleihen aus Griechenland, Spanien und Portugal sagen nicht, dass diese Länder die Euro-Krise langsam hinter sich lassen. Das sagt hier heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk Hans-Werner Sinn, der Präsident des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts. Vielen Dank, Herr Sinn, für das Gespräch.
    Sinn: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.