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Grossbritannien
Militärlazarett als Erinnerung an den Ersten Weltkrieg

Zum Glockenschlag von Big Ben wird jedes Jahr am 11. November in Großbritannien der Toten des Ersten Weltkrieges gedacht. Das Landgut Dunham Massey hat sich nun originalgetreu in das Stamford Militärlazarett zurückverwandelt - und erinnert auch daran, wie der Weltkrieg das Land veränderte.

Von Jochen Spengler |
    Französische Infanterie auf dem Schlachtfeld von Verdun im 1. Weltkrieg (1914-1918).
    Französische Infanterie auf dem Schlachtfeld von Verdun im 1. Weltkrieg. (picture alliance / AFP)
    Das englische Landgut Dunham Massey Hall liegt inmitten grüner Hügellandschaft nicht weit von Manchester. Ein Anwesen von 1200 Hektar, das drei Dörfer umfasst und früher Sitz des Grafen von Stamford war. Heute zieht das Gutshaus aus dem 16. Jahrhundert mit seiner edlen Edwardianischen Einrichtung jährlich Tausende Besucher an und wird wie viele Herrenhäuser von der britischen Nationalstiftung, dem National Trust, gepflegt und verwaltet. Seit Kurzem aber bietet Dunham Massey einen besonderen Reiz - denn um des Ersten Weltkriegs zu gedenken wurde es originalgetreu zurückverwandelt in das Stamford Militärhospital, als das es zwischen 1917 und 1919 fungierte.
    "Dieser außergewöhnliche Krieg, dessen Bedeutung gar nicht überschätzt werden kann, hat jede Familie in diesem Land in Mitleidenschaft gezogen."
    Deswegen zieht der Erste Weltkrieg die Briten bis heute stärker in den Bann als der Zweite, sagt Kate Adie. Die 68-Jährige war BBC-Kriegs- und Chefreporterin und hat Bücher über den Great War geschrieben.
    "Er kam in Häuser wie dieses hier, das eine Residenz für Vermögende war, die sich in ein Hospital verwandelte."
    Dass aus der Dunham Massey Hall eine Zuflucht vor den Schützengräben wurde war beileibe kein Einzelfall. Mehr als 3.000 britische Herrenhäuser dienten im Ersten Weltkrieg als Hilfs-Hospital. Doch etwas ist hier anders als in der Fernsehserie Downton Abbey, erzählt Kate Adie. Es war - sehr ungewöhnlich - ein Haus für einfache Soldaten, nicht für Offiziere.
    "The men who are here are ordinary Tommies. Not the officers. What was quite unusual."
    Ungewöhnlich für alle Beteiligten. Für die Hilfskrankenschwestern, Töchter aus der Oberklasse, die zuvor weder gearbeitet noch Umgang hatten mit Männern aus der Arbeiterklasse, die sie fürchterlich verletzt und unbekleidet sahen. Und für die Verwundeten selbst:
    "Für sie muss das ein unglaublicher Kulturschock gewesen sein. Allein schon, weil eine große Zahl der arbeitenden Klasse zu jener Zeit noch nie in einem richtigen Bett geschlafen hatte. Dies wurde als absolut himmlisch empfunden. Freiwillige, die sich um sie kümmerten und gutes Essen."
    Der Salon in Dunham Massey ist zum Krankensaal mutiert wie vor hundert Jahren. Den Stuck über den hohen lindgrünen Wänden gibt es noch, aber verschwunden sind Gemälde und Teppiche, Sessel und Kristallleuchter. 14 schlichte Metallbetten mit geblümten Bettdecken – in einem liegt, umsorgt von einer Krankenschwester in alter Rot-Kreuz-Tracht, ein Patient im Pyjama. Sechs Schauspieler sollen der Szenerie zusätzliche Authentizität verleihen, denn vor allem darauf kommt es Katie Taylor an. Die Kuratorin vom National Trust hat mit über 500 Freiwilligen mehr als zwei Jahre an der Verwandlung des Landguts gearbeitet. Sie stützte sich auf Krankenakten, Tagebücher und Originalfotos:
    "Für uns war wichtig, all dies so authentisch wie möglich zu gestalten. An jedem Bett hängt eine Tafel mit den Details des Kranken. Es gab insgesamt 282 Patienten in den zwei Jahren. Davon stellen wir 14 näher vor mit verschiedenen Krankheiten: Fußbrand, Granatenschock, Grippe, offene Wunden, die radikal behandelt werden mussten."
    Operiert wurde am Fuße des offenen Treppenhauses, denn dort war es kühl und es gab ein Waschbecken in der Nähe. Lebensgroße Puppen stellen nach, wie Private Johnstone gerade eine Kugel aus dem Kopf entfernt wird.
    "Die einzige OP bei der ich dabei war, war eine Schädelöffnung. Die Kugel im Hirn musste raus."
    Vom Band ertönt die Originalstimme von Lady Jane Grey, Tochter der Gutherrin Lady Stamford.
    "Ich hatte die Aufgabe, mit der Lampe in das Schädelloch zu leuchten. Und ich erinnere mich, dass ich sehr neugierig war, weil man immer von den grauen Zellen sprach. Und dann sah ich das Hirn pulsieren und es war grau."
    Niemand starb in Dunham Massey. Wer das Schlimmste überstanden hatte, erholte sich im Freien oder in der großen Empfangshalle des Landguts zwischen Flügel und Grammofon bei Schach, Kartenspiel, Musik oder Gesprächen.
    "Vor 1914 war Krankenpflege ziemlich grob und festgefahren. Und jetzt kümmerten sich junge Oberklassefrauen um die Patienten sprachen mit ihnen, amüsierten sie. Es begann etwas, was wir heute ganzheitliche Behandlung nennen würden. Und was hat man festgestellt? Die Menschen wurden schneller gesund."
    Alles änderte sich, sagt Kate Adie, der Erste Weltkrieg war nicht nur der Anfang vom Ende des Empires, sondern ein Einschnitt, der ganz Großbritannien erschütterte – deswegen gedenke man seiner noch heute:
    "Das Landgut, in dem Herrschaften in großem Stil Jahrhunderte lang lebten, war am Ende. Es gab keine Bediensteten mehr, Menschen dachten anders über Gesellschaft und Klassen und über den Krieg. Patienten wurden anders behandelt, Frauen arbeiteten, und einfache Soldaten spürten zum ersten Mal, den Hauch eines komfortableren Lebens, wie sie es noch nie erfahren hatten."