Silvia Engels: Nach dem SPD-Parteitag ist vor den Koalitionsverhandlungen. So lässt sich heute Früh der Stand im Ringen um eine neue Bundesregierung beschreiben. Die SPD will bei der Flüchtlingspolitik, bei befristeten Verträgen und bei der Gesundheitspolitik nachverhandeln. CDU und CSU haben sich schon gestern Abend skeptisch gezeigt.
Am Telefon ist nun Katrin Göring-Eckardt. Sie ist die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Guten Morgen, Frau Göring-Eckardt.
Katrin Göring-Eckardt: Schönen guten Morgen. Ich grüße Sie.
Engels: Wenn Sie in Bonn gestern dabei gewesen wären, bei der SPD, hätten Sie mit Nein gestimmt?
Göring-Eckardt: Das ist jetzt ein Gedankenexperiment. Stellen wir uns vor, ich wäre Sozialdemokratin und so weiter; ja, ich hätte mit Nein gestimmt. Und zwar nicht wegen einer einzelnen, nicht vorhandenen Lösung, sondern weil das kein Aufbruchssignal ist, weil offensichtlich die SPD-Führung nicht regieren will, sondern das lustlos macht, und weil die Partei ja ganz offensichtlich gespalten ist, und zwar genau aus diesem Grund. Leuchten tut da nichts, von wegen Leuchtturmprojekte.
"Diese SPD jedenfalls will nicht regieren"
Engels: Gut - dann nehmen wir Sie aus der Rolle als mögliche SPD-Anhängerin mal heraus und fragen Sie jetzt als grüne Politikerin. Immerhin ist es doch der Kritik in Bonn gelungen, da noch etwas in das Paket hineinzubringen, was mit der Union verhandelt werden soll: vor allen Dingen eine Härtefallregelung beim Familiennachzug für Flüchtlinge statt dieser bisher im Sondierungspapier vereinbarten Deckelung bei tausend Nachziehenden pro Monat. Kommt das nicht auch den Grünen entgegen?
Göring-Eckardt: Erst mal will ich sagen, ich habe hohen Respekt davor, dass die Partei den ganzen Tag sehr ernsthaft diskutiert und gerungen hat. Ich kenne das von Grünen-Parteitagen und deswegen bin ich da überhaupt nicht mit Häme unterwegs.
Zweitens: Ja, das kommt uns entgegen oder uns entgegen. Das kommt den Menschen entgegen, die als Familien endlich zusammenkommen müssen. Ob das durchsetzbar ist, nachdem das ja bei den Sondierungen einer der letzten Punkte war und ganz offensichtlich nicht möglich war – die CSU hat ja sofort auch reagiert -, ist eine andere Frage. In dieser Frage: Ja, es wäre sehr gut, wenn sich da etwas ändert. In vielen anderen Fragen auch.
Aber das Hauptproblem ist ja die Ambitionslosigkeit. Außer den Gewerkschaftsbossen will das ja offensichtlich niemand. Wenn man sich anschaut, dass Klimaschutz faktisch keine Rolle gespielt hat, auch übrigens in der Debatte nicht. Martin Schulz hat es angesprochen, dann hat es keine Rolle mehr gespielt. Oder auch bei den klassischen Sozialthemen.
Wenn man sich das Sondierungspapier anschaut bei der Pflege; selbst bei Jamaika war es möglich, 25.000 Pflegekräfte in einem Sofortprogramm einzustellen. Hier sind es 8.000. Oder Kinderarmut, auch so ein Beispiel. Da ist zwar über Geld geredet worden, aber über die ganz zentrale andere Frage, dass gerade Alleinerziehende so viele Probleme haben, von Pontius zu Pilatus zu laufen, um Anträge zu stellen, genau das spielt keine Rolle, dass eine automatische Auszahlung passiert. – Ich könnte jetzt noch eine ganz lange Liste machen. Fazit für mich: Diese SPD jedenfalls will nicht regieren. Wir haben es mit einem angezählten Schulz zu tun. Wir haben es mit einem Seehofer zu tun, der das quasi als Altenteil macht mit der Bundesregierung. Und mit einer Angela Merkel, die keine Ideen mehr hat und die den Zenit ihrer Laufbahn überschritten hat.
Engels: Das heißt, Sie wollen keine GroKo, sondern rasche Neuwahlen?
Göring-Eckardt: Das heißt, ich habe den Eindruck, diese ganze Aktion ist eine Befristung mit sachlichem Grund und es werden wackelige Jahre werden. Nein, ich will jetzt keine Neuwahlen, weil man kann die Wählerinnen und Wähler nicht so lange wählen lassen, bis einem das Ergebnis passt. Ich finde es nach wie vor schade, dass wir es mit einem Hasenfuß Lindner zu tun hatten, der Schiss vorm Regieren hatte, wahrscheinlich schon Lust darauf, aber dann am Ende doch zu viel Angst.
Das ist eine schwierige Situation. Deswegen ist es erst mal gut, dass der Parteitag so entschieden hat. Aber die Urabstimmung in der SPD, die Mitgliederbefragung steht ja noch bevor, und ob da so viel rauszuholen ist, dass die funktioniert, weiß ich nicht. Insofern: Für uns gilt nicht rasche Neuwahlen, sondern wir sind jederzeit bereit dafür, in Wahlen zu gehen. Wir sind auch jederzeit bereit, Gespräche zu führen. Weil ich glaube, das wird nicht eine Koalition sein, die ganz automatisch jetzt noch dreieinhalb Jahre läuft.
"Das werden wackelige Jahre sein"
Engels: Eine Koalition, die nicht automatisch läuft. Da gibt es ja durchaus noch ein Gremium, bei dem auch die Grünen in den kommenden Jahren, wenn eine GroKo zustande kommen sollte, mitzureden haben, nämlich der Bundesrat. Sind Sie dann fallweise bereit, da diese Große Koalition mitzutragen, oder gehen Sie dort auf Fundamentalopposition?
Göring-Eckardt: Fundamentalopposition hat ja sowieso nichts mit grüner Politik zu tun. Das ist ja Quatsch. Aber die Frage ist ja, ob da überhaupt irgendwas mal auf die Tagesordnung kommt, wo man sagen kann, ja, da sind wir dafür. Wenn das so ist, wenn es tatsächlich noch dazu kommen sollte, dass der Kohleausstieg angeschoben wird, dann werden wir da im Bundesrat nicht Nein sagen – übrigens auch im Bundestag nicht.
Wenn es so wäre, dass wir tatsächlich über diese lächerliche Härtefallregelung, die es jetzt gibt mit einer Deckelung, so nach dem Motto, bei 1.001 ist dann Schluss, das ist dann keine Härte mehr, dann wird es da auch eine Unterstützung der Grünen geben. Aber ich kann nur sagen, ich sehe nicht, dass jetzt über den Bundesrat da nun besonders viel Blut in diese blutleere Angelegenheit käme.
Engels: Blutleere Angelegenheit, sagen Sie. Nehmen wir an, die SPD-Basis ist bereit, noch mal für eine GroKo zu stimmen, folgt dann das Auseinanderbrechen nach zwei Jahren, wenn die Koalitionäre ja selbst ankündigen, dann Zwischenbilanz ziehen zu wollen?
Göring-Eckardt: Ja, deswegen! Das werden wackelige Jahre sein. Deswegen sage ich auch, für uns als Grüne heißt das, wir sind jederzeit bereit, entweder in Wahlen zu gehen, oder auch in andere Gespräche zu gehen. Das ist so wie in dem biblischen Gleichnis mit den klugen und den törichten Jungfrauen.
Die törichten hatten kein Öl mehr in ihren Lampen; die klugen schon. Und wir werden das Öl in den Lampen haben. Das heißt, wir werden programmatisch vorbereitet sein und wir haben auch Lust darauf, in diesem Land zu gestalten. Das unterscheidet uns offenbar fundamental von allen drei jetzigen Koalitionsparteien.
"Wir verweigern uns keinen Gesprächen"
Engels: Sie sagen, neben Neuwahlen, die Sie nicht fürchten, wären Sie auch bereit, in andere Gespräche zu gehen. Höre ich da heraus, dass Sie doch noch an Jamaika II glauben?
Göring-Eckardt: Ich glaube nicht. Glauben tue ich eh nur an den lieben Gott. Aber ich finde, es kann eine schwierige Situation entstehen, und deswegen sage ich jedenfalls, wir verweigern uns keinen Gesprächen. Ich sehe nicht, dass Herr Lindner in der Lage ist und genügend Kraft überhaupt hat, solche Gespräche zu führen.
Ich sehe es auch nicht mehr bei Angela Merkel, weil man hat ja jetzt gemerkt, was passiert, wenn die Grünen irgendwie nicht dabei sind, sozusagen als Motor, als diejenigen, die die Dinge voranbringen wollen, die erstens für dieses Land und weit darüber hinaus zentral sind, beim Klimaschutz, und die zweitens auch die Situation der Menschen unmittelbar verbessern. Diese Ideenlosigkeit, daran wird man jetzt im Moment wenig machen können, wenn man diese Gespräche noch mal auflegt.
Engels: In der SPD gab es ja eine Menge Ideen, kurz nach dem Scheitern von Jamaika – unter anderem auch die, dass man eine Große Koalition vielleicht angehen würde, aber auch mit Unterstützung durch die Grünen. Das haben die Grünen schnell abgelehnt. Wenn Sie jetzt sagen, die kommende Regierung wird wackelig, könnten Sie sich das vorstellen?
Göring-Eckardt: Na ja. Es kommt einem ja so vor, als ob man regiert und dann irgendwie noch einen Rollator braucht, der einem über den Bordstein hilft.
Engels: Sind Sie derjenige Rollator?
Göring-Eckardt: Wenn man nicht gebraucht wird in einer Regierung für die Mehrheit, dann ist das eine schwierige Situation, und deswegen sage ich, das halte ich nicht für eine sinnvolle Aktion. Trotzdem: Selbst darüber würden wir reden, weil wir finden, es braucht eine stabile Regierung. Und dann wird es wiederum am Inhalt liegen. Also noch mal: Wenn der Kohleausstieg besiegelt wird in so einer Konstellation, dann wäre das jedenfalls ein Grund, da Gespräche zu führen und dann zu irgendeinem Ergebnis zu kommen.
Aber das hat auch nichts damit zu tun, dass man auf die Art und Weise eine stabile Regierung herstellt. Da kann man vielleicht für eine bestimmte Zeit Stabilität herstellen. Aber das, wie gesagt, liegt am Inhalt, und der Klimaschutz steht da für uns ganz oben und natürlich die Frage von wirklicher sozialer Gerechtigkeit für die, die keine Lobby haben. Ich habe die Pflegekräfte und die Kinderarmut benannt.
Engels: Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Wir ordneten mit ihr die gestrige Entscheidung der SPD ein, in Koalitionsgespräche mit der Union eintreten zu wollen. Vielen Dank für das Gespräch heute Früh.
Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch. Einen guten Tag.
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