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Grundstein für erste Diabetes-Therapie
Frederick Banting isolierte vor 100 Jahren erstmals Insulin

Allein in Deutschland gibt es aktuell circa acht Millionen Diabetiker. Vor 100 Jahren, am 27. Juli 1921, konnte der Chirurg Frederick Grant Banting bei Tierversuchen zeigen, dass gereinigtes Insulin den Blutzuckerspiegel senken kann - zunächst bei Hunden und später auch bei Menschen.

Von Michael Lange |
    Frederick Grant Banting
    1923 erhielt Frederick Grant Banting den Medizin-Nobelpreis, gemeinsam mit dem Leiter des Labors John James Rickard MacLeod. Das Preisgeld teilte sich Banting mit dem Studenten Charles Best. (IMAGO / United Archives International)
    Diabetes mellitus. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet: Honigsüßer Durchfluss. Der griechische Arzt Aretaios von Kappadokien beschrieb bereits im zweiten Jahrhundert nach Christus die Symptome der Erkrankten.
    "Fleisch und Bein schmilzt in Urin zusammen. Nie hören die Kranken auf, Harn zu lassen, sondern wie aus geöffneten Schleusen rinnt er unaufhörlich. Das Leben ist kurz, unangenehm und schmerzvoll, der Durst unstillbar und der Tod unausweichlich."
    Der Urin der Erkrankten schmeckt süßlich. Das gab der Krankheit den Namen. Was man damals noch nicht wusste: Auch im Blut der Betroffenen reichert sich Zucker an, weshalb die Krankheit auch Zuckerkrankheit genannt wird. Bis vor hundert Jahren hatten Ärzte keine hilfreiche Therapie anzubieten, erläutert der Arzt und Historiker Ronald D. Gerste, Autor des Buches: "Die Heilung der Welt".
    "Was Diabetiker damals zu leiden hatten, ist für uns heute unvorstellbar. Die einzige Therapie, die es damals gab, war eine Hungertherapie."

    Erschwerte Gewinnung reinen Insulins

    Wer so behandelt wurde, magerte noch schneller ab als ohne Therapie. Der Zuckergehalt
    im Blut stieg immer weiter, und irgendwann fielen die Erkrankten ins Koma.
    Die Wende brachten Experimente, die der 29-jährige Chirurg Frederick Grant Banting in einem Labor an der Universität Toronto durchführte. Unterstützt wurde er von dem
    22-jährigen Medizin-Studenten Charles Best. Die beiden Pioniere wussten, dass die Bauchspeicheldrüse ein Hormon namens Insulin produziert, das den Zuckerstoffwechsel reguliert. Sie wollten das Hormon aus Hunden isolieren. Aber die Bauchspeicheldrüse der Tiere produzierte immer auch Enzyme für die Verdauung im Darm, was die Gewinnung reinen Insulins erschwerte.
    "Es kommt jetzt noch hinzu, dass Banting ein miserabler Chirurg war. Das heißt, eine Reihe von Hunden ist direkt nach dem ersten Eingriff bereits gestorben. Auch die Hygiene war bei weitem nicht so, wie wir es heute von Wissenschaft, von Medizin erwarten. Das waren keine Spitzenwissenschaftler, denen damals diese für uns alle heute so epochale Erfindung, dieser Durchbruch, gelungen ist."

    Erste Behandlung eines Zuckerkranken bereits 1922

    Nach wenigen Wochen im Sommer 1921 gelang es den Wissenschaftlern, bei Hunden einen Verbindungsgang von der Bauchspeicheldrüse in den Darm zu blockieren. So gelang es, ausreichend reines Insulin zu gewinnen.* Am 27. Juli zeigte sich: Das gereinigte Insulin war in der Lage, den gestörten Zuckerstoffwechsel in Ordnung zu bringen.
    "Ende Juli 1921 kam dieser große Durchbruch, dass man diese Substanz erstmals einem diabetes-kranken Hund injizierte und gesehen hat: Der Blutzucker ging zurück. Das heißt: Diese Substanz, die man da gewonnen hat, die war erfolgreich, die hatte einen therapeutischen Effekt."
    Bereits 1922, nicht einmal ein Jahr nach dem ersten erfolgreichen Tierversuch, wagten sich Banting und Best an die Behandlung von Zuckerkranken. Sie verabreichten das Insulin dem 14-jährigen Leonard Thomson, der bereits auf 30 Kilogramm Körpergewicht abgemagert war. Der Junge überlebte 14 weitere Jahre. In nur wenigen Monaten gelang es ihnen, reineres Insulin herzustellen und die Therapie zu verbessern.

    Eigentlicher Entdecker: ein anderer

    Die Neurowissenschaftlerin Franca Parianen beschreibt den durchschlagenden Erfolg der Insulin-Behandlung in einem Kinderkrankenhaus.
    "Die meisten Eltern, die dort mit ihren Kindern waren, waren da zum Abschied nehmen. Da sind sie von Bett zu Bett gelaufen und haben jedem Kind das Insulin verabreicht. Und konnten plötzlich einen Saal, der eigentlich zum Trauern da war, in einen Freudensaal verwandeln, weil noch bevor sie das letzte Bett erreicht hatten, die ersten Kinder wieder aufgewacht sind."
    Entdecker des Insulins waren Banting und Best nicht. Der Rumäne Nicolae Paulescu hatte das Hormon bereits 1916 aus Schlachtabfällen isoliert. Da er seine Ergebnisse nur bei einem Vortrag auf Rumänisch vorstellte und in einem Fachartikel auf Französisch, reagierte die Fachwelt nicht darauf. Wie gut er das Hormon reinigen konnte, ist unbekannt. Die Idee einer Behandlung mit Insulin wurde jedenfalls nicht weiterverfolgt.
    Doch der Siegeszug des Insulins zur Therapie von Diabetes mellitus begann mit den beiden kanadischen Forschern. 1923 erhielt Frederick Grant Banting den Medizin-Nobelpreis, gemeinsam mit dem Leiter des Labors John James Rickard MacLeod. Das Preisgeld teilte sich Banting mit dem Studenten Charles Best.
    [*] Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle haben wir die Aussage zur Insulin-Gewinnung durch die Wissenschaftler präzisiert.