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Gutachten zu EZB-Mandat
"Das hat erhebliche Brisanz"

Die Europäische Zentralbank (EZB) darf nach Ansicht des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof (EuGH) grundsätzlich Staatsanleihen kaufen. Das sieht der Ökonom Clemens Fuest kritisch: Damit steuere der EuGH auf einen Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht zu, sagte er im DLF. Denn Karlsruhe sehe viel engere Bedingungen für den Anleihenkauf vor.

Clemens Fuest im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: Eigentlich war es ein recht simpler Satz, den der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, da am 26. Juli 2012 sagte: Er werde alles tun, was erforderlich sei, um den Euro zu retten. So lautete dieser Satz, der zweierlei Wirkungen zeigte. Erstens stabilisierte er die gemeinsame Währung, weil den Spekulanten schlagartig klar wurde, dass sie gegen die Notenpresse der EZB nicht ankommen würden. Und zweitens rief er Kritiker der Euro-Rettung auf den Plan, weil die davon ausgehen, dass die EZB mit dieser Ankündigung die Grenzen ihres Mandats gesprengt hat. Die Sache landete in Karlsruhe und die Bundesverfassungsrichter reichten die Frage an den Europäischen Gerichtshof weiter. Dort legte heute der Generalanwalt sein Gutachten vor. Oft, aber nicht immer schließen sich die Richter in Luxemburg dessen Darlegungen an. In diesem Fall sagt er, unter bestimmten Bedingungen darf die EZB so handeln, wie Draghi es angekündigt hat.
    Mitgehört hat der Wirtschaftswissenschaftler Clemens Fuest vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Guten Tag.
    Clemens Fuest: Guten Tag, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Fuest, mal angenommen, die Richter am EuGH schließen sich der Meinung des Generalanwalts tatsächlich an, würden Sie dann das heutige Datum in der Rubrik "ein guter Tag für den Euro" verbuchen?
    Fuest: Da bin ich nicht so sicher. Man muss ja sehen, dass das Bundesverfassungsgericht bestimmte Bedingungen dafür gesetzt hat, dass das OMT-Programm gültig sein kann, und es ist nicht so, dass der Beschluss des EuGH jetzt dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgeht. Was passieren würde, wäre, dass wir einen Konflikt hätten zwischen EuGH und Bundesverfassungsgericht, und das Bundesverfassungsgericht müsste im Grunde, wenn das so ausgeht, dem Bundestag verbieten, ESM-Programmen, also Rettungsprogrammen zuzustimmen, denn diese Rettungsprogramme sind ja eine Voraussetzung dafür, dass die EZB das OMT-Programm aktiviert. Wir steuern hier also auf einen Konflikt zu zwischen EuGH und Bundesverfassungsgericht, und das hat erhebliche Brisanz.
    "Währungspolitisch würde das bedeuten, dass das OMT-Programm tot wäre"
    Kapern: Warum sind Sie sich so sicher, dass es da zu einem Konflikt kommen wird? Denn auch der Generalanwalt definiert ja Bedingungen und Voraussetzungen für die Aktivitäten der EZB zur Euro-Rettung.
    Fuest: Korrekt. Sie sind aber andere und viel großzügigere Bedingungen als die des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht hat zum Beispiel ganz klar gesagt: Wenn es zu einem Schuldenschnitt käme, also wenn die EZB Anleihen kauft, und das betreffende Land könnte die Schulden nicht zurückzahlen, dann dürfte die EZB nicht an einem solchen Schuldenschnitt teilnehmen. Durch eine solche Bedingung könnte die Verfassungsmäßigkeit wiederhergestellt werden. Der Generalanwalt hat aber jetzt genau das Gegenteil gesagt. Das heißt, die Bedingungen, die der Generalanwalt setzt, sind nicht vereinbar mit den Bedingungen, die das Bundesverfassungsgericht sehen wollte. Deshalb steuern wir auf einen Konflikt zu.
    Kapern: Und Sie gehen davon aus, dass das Karlsruher Hemd der deutschen Politik näher ist als die Luxemburger Jacke?
    Fuest: Ja was da näher liegt, ist nicht so entscheidend. Wenn das Bundesverfassungsgericht untersagt, dass Deutschland sich an ESM-Programmen beteiligen kann, dann muss die Bundesregierung sich danach richten. Das ist überhaupt keine Frage. Die Frage ist eher, ob das Bundesverfassungsgericht tatsächlich so weit gehen wird. Allerdings: Wenn es das nicht tut, müsste es seine bisherigen Positionen räumen.
    Kapern: Was würde es denn währungspolitisch bedeuten, wenn tatsächlich Karlsruhe sich so verhalten würde, wie Sie es nun angedeutet haben?
    Fuest: Währungspolitisch würde das bedeuten, dass das OMT-Programm im Prinzip tot wäre. Dann müsste die EZB anders handeln. Zum Beispiel könnte die EZB schlicht Staatsanleihen kaufen, ohne einen Bezug zu fiskalischen Rettungsprogrammen. Das heißt, letztlich wäre die Wirkung gar nicht so gewaltig, aber das OMT-Programm könnte nicht mehr durchgeführt werden. Was jetzt diskutiert wird in Europa, das ist ja nicht ein Aktivieren des OMT-Programms. Da steht ja drin, es werden Staatsanleihen von einem Land gekauft, wenn dieses Land einen Hilfsantrag bei den Rettungsschirmen stellt. Jetzt geht es ja darum, dass die Europäische Zentralbank ohne einen solchen Hilfsantrag Staatsanleihen kauft. Währungspolitisch könnte das Ganze bedeuten, dass die EZB einfach so Staatsanleihen kauft. Ein Problem entsteht dann, wenn die betreffenden Länder ihre Schulden nicht reduzieren, sondern immer mehr Schulden machen, immer mehr Staatsanleihen an die EZB verkaufen und dann wir auf eine Insolvenz hinmarschieren. Das heißt, die EZB hat sich im Grunde in eine schwierige Lage gebracht. Sie hat gesagt, sie stützt Länder, sie kauft Staatsanleihen von Ländern, die Schwierigkeiten haben, sie ist diesen Ländern aber hilflos ausgeliefert, wenn diese Länder ihre Schulden nicht begrenzen. Stellen wir uns vor, wir hätten das bislang mit Griechenland gemacht; teilweise hat ja die EZB schon Anleihen gekauft. Wenn jetzt eine griechische Regierung sagen würde, wir zahlen unsere Schulden nicht zurück, dann sieht die EZB ziemlich alt aus und macht Verluste.
    "Indem die EZB ihre Geldpolitik an Rettungsprogramme knüpft, entsteht ein Problem"
    Kapern: Aber noch mal nachgefragt. Sollte sich diese Geschichte so weiterentwickeln, wie Sie es gerade dargelegt haben, dass Karlsruhe der Bundespolitik tatsächlich solche engen Fesseln anlegen würde, eine unmittelbare Gefahr für den Bestand des Euro würden Sie dann nicht sehen?
    Fuest: Nicht in einem mechanischen Sinne. Aber das politische Signal wäre natürlich verheerend. Die Rettungsschirme, der ESM ist ja ein zentraler Bestandteil der Rettungsarchitektur, der Stabilitätsarchitektur des Euro-Raums, ein zentraler Bestandteil der Reformen. Der ESM selbst ist ja auch verfassungsgemäß. Das heißt, hier hat ja das Bundesverfassungsgericht auch in der Vergangenheit entschieden. Aber indem die EZB jetzt ihre Geldpolitik teilweise an Rettungsprogramme knüpft, entsteht ein Problem. Aus meiner Sicht wäre es fatal, wenn der ESM nicht mehr funktionieren würde, wegen dieser Konstellation. Aus meiner Sicht müsste es dann so sein, dass die EZB sagt, gut, dann kappen wir diese Verbindung zwischen den Rettungsprogrammen und unserer Geldpolitik. Das ist die einzig mögliche Lösung aus meiner Sicht.
    Kapern: Und was bliebe dann noch vom Verbot der Staatsfinanzierung für die EZB übrig?
    Fuest: Letztlich müssen wir uns darauf verlassen, dass die EZB Vorkehrungen trifft, dass sie sich möglichst weit entfernt hält von der Staatenfinanzierung. Das würde jetzt zum Beispiel bedeuten im Anleihenkaufprogramm, dass man sich wirklich auf Anleihen von Staaten konzentriert, die ein sehr gutes Rating haben, am besten AAA-Rating. Das würde dann bedeuten, dass private Investoren mehr Staatsanleihen vielleicht auch aus Krisenstaaten kaufen. Aber das sollte nicht die EZB machen. Man muss hoffen, dass die EZB das Problem erkennt und größeren Abstand wahrt, einen so großen wie möglich zur Staatenfinanzierung, einfach aus Einsicht in den Umstand, dass wir sonst wirklich rechtliche und politische Probleme bekommen.
    Kapern: Clemens Fuest vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Fuest, danke für Ihre Expertise und ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
    Fuest: Ihnen auch. Auf Wiederhören.
    Kapern: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.