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Haftbefehle gegen türkische Journalisten
"Das hat mit freiem Journalismus nicht mehr viel zu tun"

In der Türkei habe sich der Druck auf Journalisten zuletzt massiv verstärkt, sagte der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Überall im DLF. Bei der Zeitung "Zaman" habe es in den vergangenen Tagen 500 Kündigungen gegeben, Reporter würden auch körperlich bedroht. Die Reaktion der Bundesregierung hält Überall für nicht ausreichend.

Frank Überall im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Die Titelseite einer Ausgabe der türkischen Tageszeitung Zaman
    Die türkische Tageszeitung Zaman (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Überall, der noch bis zwei Tage vor dem gescheiterten Putsch in Istanbul war, berichtete im DLF von Gesprächen mit Oppositionsmedien und Journalisten-Gewerkschaften: Medienschaffende müssten in der Türkei ständig mit einem Strafverfahren rechnen. Einige Kollegen hätten erzählt, dass ihnen der Prozess gemacht würde und sie längere Zeit ins Gefängnis müssten. Ihnen werde etwa Präsidentenbeleidigung oder Terrorunterstützung vorgeworfen. Als Terrorunterstützer gelte man in der Türkei bereits, wenn man Slogans von Plakaten einer pro-kurdischen Demonstration in der Zeitung zitiere.
    Auch Journalisten der Berliner Redaktion der türkischen Zeitung "Zaman" würden bedroht. Kollegen hätten ihm berichtet, sie seien aufgefordert worden, der türkischen Regierung zu melden, wer die Zeitung abonniert habe und damit als Unterstützer der Putschisten gelten könnte, sagte Überall im DLF. Auch Geschäftsleute würden unter Druck gesetzt, keine Anzeigen mehr zu schalten. Fünf von sieben Europa-Korrespondenten der Zeitung hätten aus Angst aufgehört zu arbeiten, so der DJV-Vorsitzende.
    Aufgrund der Repressionen vermisse er klare und deutliche Worte der Bundesregierung in der Öffentlichkeit. Auch auf europäischer Ebene "muss mehr kommen", so Überall, auch wenn man sich in diplomatisch schwierigem Feld bewege. Die Türkei brauche Deutschland und Europa und umgekehrt. "Insofern muss man unter Partnern klare Worte sprechen können. Das ist mir im Moment nicht klar genug", sagte Überall.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Aus Berlin ist uns jetzt zugeschaltet Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, der kürzlich noch in der Türkei war und dort ausführlich mit Kollegen auch gesprochen hat. Herr Überall, ist das jetzt der Versuch, unabhängigen kritischen Journalismus endgültig mundtot zu machen, oder gibt es den schon gar nicht mehr?
    "Da konnte man auch in der Vergangenheit nicht wirklich frei berichten"
    Frank Überall: Ja, die Betonung liegt auf endgültig. Die Schwierigkeit ist tatsächlich, dass in den vergangenen Monaten sich der Druck schon massiv aufgebaut und verstärkt hatte. Ich war bis zwei Tage vor dem versuchten Militärputsch in Istanbul, habe dort Oppositionsmedien und auch Journalisten-Gewerkschaften besucht und habe dort erfahren, was es bedeutet, Journalistin oder Journalist in diesem Staat zu sein. Da konnte man schon auch in der Vergangenheit nicht wirklich frei berichten. Man musste immer damit rechnen, dass man mit Ermittlungen, mit Verfahren überzogen wird, mit Strafverfahren.
    Manche der Kollegen, mit denen ich gesprochen habe und mal einen Kaffee oder einen türkischen Tee getrunken habe, haben mir erzählt, dass sie gerade aus dem Gefängnis kommen, aus der Untersuchungshaft, und ihr Prozess kurz bevorsteht in Sondergerichten, die schnell aburteilen, und die damit rechnen mussten, in der nächsten Zeit längere Zeit im Gefängnis zu verbringen, und zwar wegen Delikten wie beispielsweise Präsidentenbeleidigung, wie Unterstützung des Terrors.
    Jetzt kann man sagen okay, dass Journalisten Terror unterstützen, womöglich aktiv, das ist auch nicht in Ordnung. Aber wie sieht Terrorunterstützung da aus? Das bedeutet beispielsweise, wenn man ein Plakat bei einer prokurdischen Demonstration abschreibt und zitiert in der Zeitung, was da draufgestanden hat, dass man dann schon ein solches Verfahren bekommen konnte, und das hat mit freiem, mit unabhängigem, mit gar regierungskritischem Journalismus zum Teil nicht mehr viel zu tun.
    Zagatta: Diese Menschen, diese Journalisten, mit denen Sie da gesprochen haben bei Ihrer Reise, ist da im Moment überhaupt noch Kontakt möglich? Können Sie mit denen noch reden?
    "Geschäftsleute wurden unter Druck gesetzt, keine Anzeigen mehr zu schalten"
    Überall: Mit denen kann ich noch reden, da ist Kontakt möglich. Aber sie sind sehr eingeschüchtert. Sie drücken sich sehr vorsichtig aus, weil niemand weiß, wie letzten Endes auch Geheimdienste - wir befinden uns in einem Land im Ausnahmezustand - sich möglicherweise dort auch gerieren. Aber spannend ist auch der Aspekt: Diese Zeitung "Zaman", wo ehemalige Journalistinnen und Journalisten jetzt zur Fahndung ausgeschrieben wurden, wo es Haftbefehle gegeben hat, die erscheint in Deutschland immer noch.
    Ich war im Januar in der Redaktion dort, hatte einen Solidaritätsbesuch in Berlin gemacht und stehe auch mit den Kolleginnen und Kollegen hier noch im Kontakt, und da ist es so: Die haben in Deutschland eine Auflage von 14.000 und in den letzten Tagen hat es 500 Kündigungen gegeben. Warum? Weil es ganz effektive Bedrohungen gibt. Auf der einen Seite körperliche Bedrohungen. Es wird auch aufgefordert, in die Türkei ans Ministerium zu melden, wer dieser Bewegung nahesteht, und dafür reicht es schon, die Zeitung abonniert zu haben, sie zu lesen. Und Geschäftsleute, so wird es mir beschrieben, werden unter Druck gesetzt, dass sie keine Anzeigen mehr schalten.
    Und in der Türkei selbst - da ist ja die Zeitung unter staatlicher Kontrolle, aber es gab noch bis vor kurzem sieben Korrespondenten, die für "Zaman" in Deutschland und in Europa berichtet haben. Von denen haben fünf aus Angst jetzt aufgehört.
    Zagatta: Solche Drohungen wären ja eigentlich auch ein Fall für die deutschen Rechtsverfolger, für die Justiz. Wie ist es im Moment überhaupt mit der deutschen Politik? Nimmt die das so hin aus Ihrer Sicht? Es gab ja viel Kritik an Frau Merkel in der Vergangenheit, auch was den Fall Böhmermann anging. Wie ist das mittlerweile? Haben Sie den Eindruck, die Bundesregierung setzt sich da entsprechend ein für Pressefreiheit in der Türkei?
    "Man muss unter Partnern dann auch klare Worte sprechen können"
    Überall: Die Schwierigkeit ist, dass Diplomatie kein Kindergeburtstag ist. Das ist schwierig, das mag ich anerkennen. Aber als Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes beobachte ich schon, dass dieses Thema der Verfolgung zwar immer mal wieder in den Nachrichten auftaucht, dass es auch mal den Satz gab von der Bundesregierung, von der Kanzlerin, Presse- und Meinungsfreiheit, solche Grundrechte sind nicht verhandelbar. Aber trotzdem vermisse ich eigentlich klare und deutliche Worte in der Öffentlichkeit, sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene. Da muss mehr kommen, da muss Deutlicheres kommen.
    Das Ganze bewegt sich in einem diplomatisch sehr schwierigen Feld, nach dem versuchten Militärputsch, der zu verurteilen ist. Aber nach dem, was jetzt im Ausnahmezustand dort passiert, ist es ein noch viel schwierigeres Feld geworden. Aber die Türkei braucht Deutschland und Europa und umgekehrt und insofern muss man unter Partnern dann auch klare Worte sprechen können. Das ist mir im Moment nicht deutlich genug, nein.
    Zagatta: Wenn Sie solche klaren Worte von der deutschen Politik fordern, vielleicht auch vermissen, wie ist es denn mit dem journalistischen Umgang mit dem türkischen Regime, muss man ja fast schon sagen, in diesen Monaten? Beispielsweise das Interview, das die ARD mit Erdogan geführt hat, das ist ja auch gehörig in der Kritik.
    ARD-Interview mit Erdogan: Begriff Pressefreiheit sei gar nicht gefallen
    Überall: Na ja. Es ist natürlich schwierig, ein solches Interview überhaupt zu bekommen, gerade mit jemandem, der so autoritär regiert in einem Ausnahmezustand. Und dass man da nicht jede Frage stellen kann, selbst wenn man 30 Minuten, dann sogar 40 Minuten Zeit bekommt, ist einerseits nachvollziehbar. Auf der anderen Seite: Dass der Begriff Pressefreiheit gar nicht gefallen ist, dass Journalismus überhaupt keine Rolle gespielt hat und auch die Verfolgung anderer Berufsgruppen nur am Rande tangiert wurde, das habe ich mit großem Unwillen zur Kenntnis genommen und finde das sehr bedauerlich. Ich glaube, wir brauchen hier einen gesellschaftlichen Diskurs und wir als Verband und wahrscheinlich auch demnächst noch andere Partner werden diesen gesellschaftlichen Diskurs auch hier in Deutschland massiv einfordern.
    Zagatta: Herr Überall, wir fragen uns das auch für unsere Arbeit. Wir hatten in den letzten Tagen immer noch türkische Kollegen, Deutsch sprechende Kollegen bei uns im Programm, die uns aus der Türkei berichtet haben, die sich teilweise recht kritisch geäußert haben. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass die damit Gefängnis riskieren, kann man das überhaupt noch machen, kann man das verantworten?
    Türkischen Journalisten sei bewusst, dass ihr Beruf lebensgefährlich ist
    Überall: Wir müssen sehen: Die Kolleginnen und Kollegen in der Türkei, die dort diesen Beruf gewählt haben, die haben den zu einer Zeit gewählt, als das auch schon nicht ganz ungefährlich war. Es war ja nicht so, dass die Türkei in den letzten Jahren ein Hort der Pressefreiheit gewesen wäre. Das sehen wir auch an den Listen von Reporter ohne Grenzen. Da schneiden sie relativ schlecht ab.
    1980 gab es den letzten großen Militärputsch in der Türkei und danach ist Presse massiv verfolgt worden. Da wurden Kolleginnen und Kollegen umgebracht, verschleppt, die zum Teil bis heute nicht aufgetaucht sind. Das heißt, die Menschen, die heute dort arbeiten, haben ihren Beruf gewählt in einer Zeit, wo man wie als Feuerwehrmann, Polizist oder Soldat damit rechnen musste, dass das im wahrsten Sinne des Wortes sogar lebensgefährlich sein kann.
    Das erklärt mir - das habe ich aus den vielen Gesprächen in der Türkei mitgenommen -, warum sie so aufrecht sind und warum sie zwar Angst haben, ja, aber auf der anderen Seite trotzdem ihren Job machen, und der ist einfach wichtig für ein demokratisches Gemeinwesen, und da muss sich Erdogan, der Präsident, auch dran messen lassen. Er sagt, wir wollen die Demokratie verteidigen; dazu gehört auch Pressefreiheit.
    Zagatta: Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes. Danke schön für das Gespräch.
    Überall: Ich danke auch, Herr Zagatta.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.